Bargteheide. Warum moderne Expresszüge an der 1865 entstandenen Anlage nicht mehr halten. Scharfe Kritik am Verkehrsverbund NAH.SH.

Regelmäßige Nutzer der Regionalbahn (RB) 81 Lübeck-Hamburg sind Kummer gewohnt. Verspätungen und Zugausfälle gehören faktisch zum Alltag. Lange konnten Bahnfahrer aus Bargteheide auf den Regionalexpress (RE) ausweichen. Der legte außerplanmäßige Stopps am Bahnhof der Stadt ein, wenn die Regionalbahn mal wieder nicht verkehrte, wie sie laut Fahrplan eigentlich sollte. Doch damit ist es seit Ende Januar vorbei. Seitdem setzt die Deutsche Bahn auf dieser Strecke die neuen Kiss-Doppelstocker als Expresszüge ein. Doch die rauschen seitdem in Bargteheide ohne Halt vorbei, was dort zunehmend auf Unmut und Unverständnis trifft.

„Der landesweite Nahverkehrsplan bis 2027 hat unter anderem mehr Fahrgäste, mehr barrierefreie Stationen und kürzere Wege zum Ziel. Keines dieser Ziele wird sich mit den bisherigen Planungen zur S 4 in Bargteheide umsetzen lassen“, sagt Sven Meding, CDU-Abgeordneter im Ausschuss für Planung und Verkehr. Vielmehr sei das Gegenteil der Fall: längere Wege, konkurrierende Verkehrsströme von Fußgängern und Radfahrern in der Bahnhofsunterführung und erschwerte Teilhabe von Menschen, die auf Rollstuhl oder Rollator angewiesen sind.

NAH.SH preist höheren Komfort der neuen Flotte

Aktuell hat sich die Situation für Bargteheide durch den Einsatz der Kiss-Züge sogar signifikant verschlechtert. Zwar preist der für die Organisation des Schienennahverkehrs zuständige Nahverkehrsverbund Schleswig-Holstein (NAH.SH) die schicken blau-blauen Züge für ihren höheren Komfort, größere Sitzabstände, mehr Platz für Kinderwagen, Rollstühle und Fahrräder, sowie bessere Barrierefreiheit.

Für die neuen Kiss-Züge sind die Bahnsteige in Bargteheide zu niedrig.
Für die neuen Kiss-Züge sind die Bahnsteige in Bargteheide zu niedrig. © Deutsche Bahn | Uwe Miethe

Doch gerade Letzteres trifft in Bezug auf den Bahnhof Bargteheide eben nicht zu. Weil die Zeit an der im August 1865 entstandenen Anlage vorbei gegangen ist und notwendige Anpassungen nicht erfolgt sind. Den Anforderungen an einen modernen Verkehrsknotenpunkt des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) genügt sie jedenfalls längst nicht mehr.

Bahnsteighöhen sind nicht mehr normgerecht

Hauptgrund sind die Bahnsteighöhen. Auf der Westseite liegt der Perron laut Deutscher Bahn 38 Zentimeter unter der üblichen Norm von 76 Zentimetern, auf der Ostseite beträgt die Differenz sogar 52 Zentimeter. Bei den roten Doppelstockzügen alter Prägung war das bislang kein Problem, weil sie mit einer zusätzlichen Stufe ausgerüstet sind, mit der sich der Höhenunterschied besser überbrücken ließ. Diese Stufe gibt es bei den neuen Kiss-Zügen aber nicht.

„Sie dürfen in Bargteheide nicht halten, weil sie eben auf eine Bahnsteighöhe von 76 Zentimetern ausgerichtet sind, so wie es vom Land in der Ausschreibung gefordert war“, erklärte eine Bahnsprecherin auf Abendblatt-Anfrage. Der Höhenunterschied in Bargteheide sei leider zu groß, um Fahrgäste sicher ein- und aussteigen lassen zu können.

Allein im Januar 30 außerplanmäßige Stopps

Dass mit den Kiss-Zügen die alternative Nutzung der Expresszüge bei Ausfall von Regionalbahnen in Bargteheide entfallen ist, hat bei der Umstellung offenbar niemand bedacht. Was angesichts der mangelnden Verlässlichkeit der RB-Verbindungen zu einem eklatanten Nachteil geworden ist, wie unserer Redaktion mehrfach bestätigt worden ist.

„Allein im Januar hat es unseren Zählungen zufolge 30 außerplanmäßige Stopps von Expresszügen in Bargteheide gegeben, sowohl in Richtung Hamburg als auch in Richtung Lübeck“, sagt Torsten Frehe, Mitglied der WhatsApp-Gruppe RB81. Gegründet wurde sie bereits im Juli 2013 und umfasst aktuell 240 Mitglieder.

Rund 24.000 Fahrgäste nutzen die Strecke

Es sind Menschen wie Frehe, die regelmäßig die Bahnverbindung nach Hamburg nutzen und mehr oder weniger auf diese angewiesen sind, so wie rund 24.000 Fahrgäste auf dieser Strecke. „Ich muss regelmäßig nach Hammerbrock in die City Süd pendeln, da macht die Bahnfahrt schon Sinn“, so Christdemokrat Frehe, der als Stadtvertreter zugleich Vorsitzender des Ausschusses für Planung und Verkehr ist.

Initiatorin der Whatsapp-Gruppe sei eine Frau gewesen, die sich immer wieder über Zugausfälle geärgert habe. Um Mitreisende vorab zu warnen und sie über die aktuellen Entwicklungen zu informieren, rief sie die Gruppe ins Leben. „Das Beispiel machte Schule. Seitdem sorgt der Schwarm dafür, dass man sich nun besser und flexibler aufs Bahn-Ungemach einstellen kann“, so Frehe.

Im März zwei Wochen Schienenersatzverkehr

Wie sehr die Express-Option fehlt, erwies sich gerade erst in den beiden zurückliegenden Wochen. Wegen Gleisbauarbeiten in Hamburg war bis 18. März ein Schienenersatzverkehr eingerichtet. „Zwischen 9 und 18 Uhr fuhr nur jeder zweite Zug, weshalb es in Bargteheide je Richtung nur einen Halt pro Stunde gab“, berichtet Frehe. Er selbst ist daraufhin wieder aufs Auto umgestiegen. Den deutlich länger umherkurvenden Ersatzverkehr mit dem Bus quer durch den Hamburger Verkehr wollte er sich dann doch nicht antun.

„Mit solchen unbedachten Änderungen macht man den ÖPNV jedenfalls nicht attraktiver“, ist Parteifreund Sven Meding überzeugt. Deshalb sollte sich seiner Meinung nach die Stadtverwaltung bei NAH.SH umgehend dafür einsetzen, dass auf der Strecke Lübeck-Hamburg Expresszüge eingesetzt werden, die wieder einen Halt in Bargteheide ermöglichen. Oder schnellstmöglich für eine Anhebung der örtlichen Bahnsteige sorgen.

Bahnfahrer Ingo Naefcke sieht in dem S 4-Vorhaben und allen damit zusammenhängenden Veränderungen eine „gewaltige Fehlplanung“, die eindeutig zu Lasten der Fahrgäste gehe. „Die Anpassung der Bahnsteige war schon 2011 vorgesehen, passiert ist seitdem nichts“, sagt Naefcke. Aus seiner Sicht müssten die Strecken zwischen Hamburg und Lübeck grundsätzlich neu geordnet und Bargteheide viel besser eingebunden werden.

Das fordert auch Torsten Frehe. Es sei doch sehr gewöhnungsbedürftig, dass die Bahn-App bei Ausfall der Regionalbahn Richtung Hamburg empfehle, doch zurück nach Bad Oldesloe zu fahren, um von dort den Expresszug zu nehmen. „Blöd nur, dass dann ein Zusatzticket fällig wird, weil der Ring C in Kupfermühle endet, während die Kreisstadt bereits im Ring D liegt. Das nenne ich unausgegoren, unlogisch und letztlich auch ungerecht“, so Frehe.

Ingo Naefcke moniert zudem, dass etwa Lübeck durch den neuen Express-Halt in Moisling besser gestellt werde, die Kiss-Züge in Bargteheide aber einfach durchrauschen. Sein Vorschlag: Die Regionalbahn 82 von Neumünster nach Bad Oldesloe bis Ahrensburg durchleiten, samt Stopps in Kupfermühle, Bargteheide und Ahrensburg-Gartenholz. Während der Regionalexpress in Bargteheide und Ahrensburg hält, um schnellere Verbindungen nach Hamburg und Lübeck zu ermöglichen.

Zahlen und Fakten: 405 Sitzplätze pro Zugteil

18 der neuen Kiss-Züge verkehren bislang auf der Strecke Lübeck-Hamburg . Bis zum Sommer sollen noch sechs weitere hinzukommen.

Jeder Zugteil verfügt über 405 Sitzplätze und 36 Fahrradstellplätze. Da auf der Strecke durch Stormarn immer zwei Zugteile gekoppelt werden, stehen rein rechnerisch also 810 Sitz- und 72 Veloplätze zur Verfügung.

Echtzeitanzeigen im Zug informieren die Fahrgäste auf Monitoren erstmals in Schleswig-Holstein über die aktuelle Auslastung der Waggons.

Kostenfreies WLAN und ein elektronisches Reservierungssystem gehören ebenso zu den Ausstattungsmerkmalen wie Steckdosen in 1. und 2. Klasse und rollstuhlgerechte Toiletten.

Bei der Gestaltung der Kiss-Züge habe aber nicht nur eine hohe Funktionalität im Fokus gestanden, sondern auch eine ansprechende und wertige Optik innen und außen, so die Bahn.