Reinfeld. Bedrohungslage am Reinfelder Schulzentrum simuliert. Zwei Ministerinnen aus Schleswig-Holstein beobachten das Geschehen.

Die Tür eines Gebäudes auf dem Gelände des Reinfelder Schulzentrums öffnet sich. Ein junger Mann mit zerrissenem T-Shirt und Blut am Arm humpelt heraus, er schreit um Hilfe. Wenige Sekunden später ist ein anderer Mann zu sehen, der mit einer Pistole schießt und sich schnell wieder ins Gebäude zurückzieht. Die Verletzung des Opfers, ein Komparse, ist aufgeschminkt, die Munition nicht scharf. Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst und Technischem Hilfswerk (THW) trainieren ihr Vorgehen im Fall einer Bedrohung durch einen Amokläufer.

Schüler und Lehrer werden von Studierenden und Auszubildenden im Pflegebereich der Universität zu Lübeck gespielt. 239 Menschen sind an der Großübung beteiligt, davon 97 Ordnungshüter.

Der Täter wird von einem Polizisten gespielt

An einer Sammelstelle wurden die Verletzten, gespielt von Studierenden und Auszubildenden, versorgt.
An einer Sammelstelle wurden die Verletzten, gespielt von Studierenden und Auszubildenden, versorgt. © René Soukup

In der Mensa verfolgten mehr als 50 geladene Gäste das Geschehen über eine Leinwand. Sie hören Knallgeräusche, es wird Pyrotechnik verwendet. Live-Bilder kommen aus den Kameras von Beamten, die im Schulzentrum sind, sowie von Drohnen. Zu den Besuchern zählen Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack und Justizministerin Kerstin von der Decken (beide CDU). Sie sehen, wie der Täter – gespielt von einem Polizisten – außer Gefecht gesetzt wird.

Simuliert wurde diese Lage: Die Feuerwehr wird alarmiert wegen eines Brands im Gebäude. Beim Eintreffen steigen Rauchschwaden auf. Als die Helfer die Wasserversorgung aufbauen und den Löschangriff vorbereiten, erblicken sie den Amokläufer, brechen die Aktion sofort ab und lassen die Schläuche am Boden liegen. Jetzt gilt es, sich untereinander gut abzustimmen.

Zwölf Minuten später erscheint der erste Polizeiwagen. Es sind Beamte, die auf Streifenfahrt sind. Das Sondereinsatzkommando ist nicht involviert. Nach und nach trudeln Polizisten aus Stationen der Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg ein. Sie tragen über der normalen eine weitere Schutzausrüstung speziell für solch ein Szenario. Bestandteil ist eine Tasche mit Verbandsmaterial. Das Gewicht: mehr als 20 Kilogramm.

Technische Einsatzleitung des Kreises Stormarn setzt Drohnen ein

Während Trupps in Formation von allen Seiten in Intervallen heranrücken, haben Kollegen Drohnen gestartet, zum Beispiel das Modell Matrice 300. Das Gerät kann bis zu 500 Meter hoch fliegen, hat zwei Kameras. Es wird genutzt bei der Brandermittlung und Großveranstaltungen wie der Kieler Woche. Auch die Technische Einsatzleitung des Kreises Stormarn setzt zwei Flugobjekte ein. Das Team um Gruppenführer Christian Kosbab umfasst fünf Personen. Kurz vor Beginn der Übung haben sich die Männer mit Gummibärchen gestärkt – Nervennahrung. Es ist höchste Konzentration gefragt.

Sie schauten beim Training zu (v. l.): Bernd Olbrich (Leiter der Polizeidirektion Ratzeburg), Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack, Justizministerin Kerstin von der Decken, Klaas Franzen (Oberarzt an der Universität zu Lübeck) und Stormarns Landrat Henning Görtz.
Sie schauten beim Training zu (v. l.): Bernd Olbrich (Leiter der Polizeidirektion Ratzeburg), Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack, Justizministerin Kerstin von der Decken, Klaas Franzen (Oberarzt an der Universität zu Lübeck) und Stormarns Landrat Henning Görtz. © René Soukup

Immer wieder laufen Statisten jammernd aus dem Gebäude. Sie verkriechen sich hinter den Holzbänken auf dem Hof, haben Angst, in die Schusslinie des Amokläufers zu geraten. Einige klopfen an einem geparkten Rettungswagen, der zu Beginn der Übung mit zwei Feuerwehrfahrzeugen eingetroffen war. Die Tür geht aber nicht auf. Es könnte ja auch der Täter sein, der auf diese Weise die Flucht beabsichtigt. „Es gibt ein schriftliches Konzept, wie in so einem Fall zu verfahren ist“, sagt Christian Oehme, Sprecher des Rettungsdienstes Stormarn.

Im Schulzentrum sichern Polizisten derweil Raum für Raum, auf den Fluren liegen Verletzte mit Schusswunden. Sie werden zu einer Sammelstelle im hinteren Teil des Areals gebracht, dort von Sanitätern versorgt. Die Rettungswagen fahren an diesem Tag Auszubildende.

Ordnungshüter und Sanitäter arbeiten Hand in Hand

Christian Kosbab von der Technischen Einsatzleitung des Kreises Stormarn steuerte Drohnen.
Christian Kosbab von der Technischen Einsatzleitung des Kreises Stormarn steuerte Drohnen. © René Soukup

Die Darsteller sind von der Gruppe „Rund“ des Deutschen Roten Kreuzes geschminkt. Wunden an Kopf, Arm und zum Beispiel im Brustbereich wirken wie echt. Ordnungshüter und Sanitäter arbeiten Hand in Hand. Vom ersten Stock eines Nebengebäudes beobachtet Torsten Gronau den Einsatz. Ein Ziel definiert der Stabsstellenleiter der Polizeidirektion Ratzeburg so: „Den Täter handlungsunfähig machen.“ 25 Minuten, nachdem klar war, dass es sich um einen Amoklauf handelt, kommt die Meldung über Funk: Der Mann ist festgenommen. Allerdings wissen die Polizisten da noch nicht, dass es ein Einzeltäter ist. Also durchkämmen sie das Gebäude noch eine Weile.

„Ein Amokfall an einer Schule gehört zu unserem Einsatztraining. In dieser Größenordnung und mit Beteiligung so vieler Personen aus den verschiedenen Bereichen haben wir aber noch nie geprobt. Im Ergebnis konnte dabei eine gute Zusammenarbeit zwischen den Rettungskräften und der Polizei festgestellt werden“, sagt Jacqueline Fischer von der Polizeidirektion Ratzeburg.

Ideengeber für die Aktion war Klaas Franzen, Oberarzt an der Universität zu Lübeck und zugleich Mitglied der Reinfelder Feuerwehr. Schleswig-Holsteins Justizministerin Kerstin von der Decken war voll des Lobes: „Es hat mich zutiefst beeindruckt, was ich gesehen habe. Hier wurde hochprofessionell gearbeitet.“ Ähnlich klang ihre Parteikollegin Sabine Sütterlin-Waack. „Man konnte sehen, dass die Zusammenarbeit gut funktioniert.“ Die Innenministerin erwähnte explizit das besonnene Agieren in einer Extremsituation. Landrat Henning Görtz sagte: „Es gibt mir ein gutes Gefühl, dass wir in Stormarn hohe Ausbildungs- und Ausrüstungsstandards haben.“ Am 28. Juni werden die Erkenntnisse aus der Übung mit allen Beteiligten analysiert.