Ahrensburg/Kiel. Die Eigenanteile sind zum 1. September in vielen Einrichtungen um mehrere Hundert Euro gestiegen. Das schockt die Bewohner.
Werden Plätze in stationären Alten- und Pflegeeinrichtungen zum unbezahlbaren Luxus, den sich bald nur noch frühere Großverdiener und ehemalige Beamte mit üppigen Pensionen leisten können? Die jüngsten Entgeltbescheide waren für Hunderte Bewohner von Seniorenzentren und deren Angehörige jedenfalls ein Schock. Die Erhöhungen der Eigenanteile für Pflegeleistungen, Unterbringungs-, Verpflegungs- und Investitionskosten zum 1. September betrugen in der Regel mehrere Hundert Euro, die in Einzelfällen sogar die 1000-Euro-Marke deutlich überschritten.
Diese Zahlen haben offenbar auch die Landesregierung in Schleswig-Holstein aufgeschreckt. Sozialministerin Aminata Touré (Grüne) drängte Ende vergangener Woche auf schnelle finanzielle Hilfen des Bundes. „Die Situation in der Pflege ist äußerst angespannt. Viele Einrichtungen können kaum noch auskömmlich wirtschaften, viele Pflegebedürftige und ihre Angehörigen sind nicht mehr in der Lage, ihre Pflegeleistungen zu finanzieren“, erklärte Touré.
Sozialministerin schlägt rasche Maßnahmen vor
Hauptgründe der explodierenden Kosten seien die durch den russischen Angriffskrieg auf die Ukraine bedingten Gaspreissteigerungen sowie die Umsetzung der Tarifbindung für Pflegebeschäftigte zum 1. September. „Wir haben jetzt einen Punkt erreicht, an dem Bund und Länder dringend gemeinsam handeln und helfen müssen. Pflege ist für alle da und muss bezahlbar bleiben“, so Touré.
Die Ministerin hat vorgeschlagen, die Leistungszuschläge zu den von den Pflegebedürftigen zu zahlenden Eigenanteilen deutlich anzuheben. Sie sollen bereits im ersten Jahr auf 25 Prozent (bisher 5), im zweiten Jahr auf 50 Prozent (bisher 25) und bereits ab drittem Jahr auf 70 Prozent (bisher 45) steigen. Zudem fordert Touré, das Pflegegeld und den Entlastungsbetrag rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres um mindestens fünf Prozent anzuheben, um die bereits erfolgten Kostensteigerungen zu kompensieren.
Preissteigerungen sind enorme finanzielle Belastung
Wie nötig das ist, zeigen aktuelle Zahlen aus dem Kreis Stormarn. „Bei uns sind die Eigenanteile um 427 Euro von 2218 auf 2645 Euro gestiegen“, sagt Andreas Schulz, Geschäftsführer im Haus Billetal in Trittau. Allerdings sei es schon vier Jahre zuvor zu deutlichen Entgeltaufschlägen gekommen, weil bereits zu dieser Zeit viele Pflegekräfte in Anlehnung an einen Tarifvertrag besser bezahlt wurden.
Trotz der bereits jetzt gültigen Abschläge durch die Zahlungen aus der Pflegeversicherung (zwischen fünf und 70 Prozent je nach Länge des Heimaufenthalts), die allerdings ausschließlich für pflegerische Leistungen gelten, würden die zu zahlenden Eigenanteile für viele der 170 Bewohner eine enorme finanzielle Belastung bedeuten. „Schon jetzt liegt der Anteil an Sozialhilfeempfängern bei 37 Prozent. Wenn sich an der Finanzierung der stationären Pflege nichts ändert, wird sich diese Zahl noch deutlich erhöhen“, sagt Schulz. Im Haus am See, das ebenfalls zum Unternehmen Seniorenpartner Schulz gehört, sind es bereits 50 Prozent.
Auch Energiekrise macht Pflegeheimen große Sorgen
Von 2222 auf 2832 Euro gestiegen sind die Eigenanteile in den Einrichtungen der Pflegeheime Riedel GmbH, die im Kreis das Haus am Kurpark in Bad Oldesloe mit 91 Plätzen und den Wohnpark Rohlfshagen in Rümpel mit 70 Plätzen betreibt. Kündigungen habe es bislang nicht gegeben. Vor allem aber deshalb, weil die Bewohner in der Regel weder zu Hause noch ambulant betreut werden können.
Bei der Erhöhung um 610 Euro wird es aber nicht bleiben. „Da uns noch keine Erhöhung der Energiekosten vonseiten der Versorger vorliegt, wurde für Wasser, Energie und Brennstoffe erst mal nur pauschal ein Mehrbetrag von 13,90 Prozent angesetzt“, so Geschäftsführer Daniel Schöneberg. Er wüsste aber von Einrichtungsträgern aus Nachbargemeinden, die bereits Erhöhungen von bis zu 400 Prozent verzeichnen. „Wenn die Pflegekassen hier nicht rasch einlenken, werden viele Heime Insolvenz anmelden müssen“, fürchtet Schöneberg. Von den ehemals 50 Alten- und Pflegeheimen in Stormarn sind in den vergangenen drei Jahren bereits vier aufgegeben worden.
Pflegeeinrichtungen geraten in Existenznot
„Bei uns steigen die Eigenanteile ebenfalls um rund 600 Euro“, sagt Mathias Steinbuck, Geschäftsführer des Familienunternehmens stb care mit Sitz in Bargteheide, das in fünf verschiedenen Einrichtungen knapp 300 Senioren betreut. Bereits jetzt stehe allerdings fest, dass in Kürze noch ein monatlicher Notaufschlag für die exorbitant gestiegenen Gaskosten in Höhe von 270 Euro erhoben werden müsse.
Belief sich die Abschlagszahlung des Versorgers für das Malepartus-Areal in Bargteheide, in dem neben dem Seniorenwohnpark noch eine Pflegeschule und zwei Kita-Standorte betrieben werden, im Januar noch auf 7000 Euro, so waren es im Juni bereits 28.000 Euro. Seit August werden nunmehr 43.000 Euro fällig, das Sechsfache innerhalb von acht Monaten. „Das ist kompletter Wahnsinn, solche Erhöhungen bringen selbst grundsolide wirtschaftende Pflegeeinrichtungen in zunehmende Existenznöte“, sagt Steinbuck, der zugleich Landesvorsitzender des Bundesverbands privater Anbieter sozialer Dienste (bpa) ist.
Kassen verweigern Refinanzierung der Sachkosten
Von „unkomplizierten Lösungen“ sei man indes weit entfernt. In den Verhandlungen träfen die Einrichtungen auf Kostenträger, die eine Sachkostenrefinanzierung verweigerten und stattdessen Tipps zur energetischen Sanierung gäben. „Jetzt rächt sich bitter, dass Pflegeeinrichtungen bislang keine Wagniszuschläge kalkulieren durften, um Rücklagen für unvorhersehbare Entwicklungen zu bilden“, sagt Steinbuck. Die Pflegekassen stünden deshalb in der Pflicht, mit den Pflegeunternehmen kurzfristig nach pragmatischen Lösungen zu suchen.
Gängige Einsparreserven wie etwa die Absenkung der Raumtemperatur oder das Abstellen der Warmwasserversorgung sieht Mathias Steinbuck in der Altenpflege nicht. „Viele unserer Bewohner entstammen der Kriegsgeneration, sie haben schon einmal gefroren und gehungert. Einfach den Hahn zudrehen- und das Licht abschalten, sind also keine Optionen“, sagt Steinbuck.