Lübeck/Grönwohld. 23-Jähriger hatte im Oktober 2020 Bekannten mit 27 Messerstichen getötet. Staatsanwaltschaft geht von heimtückischem Mord aus.

Im Prozess um den blutigen Tod des 22 Jahre alten Mohamed C. auf einem Spielplatz in der Gemeinde Grönwohld fordert die Staatsanwaltschaft eine lebenslange Haftstrafe für den Angeklagten. Der 23-Jährige habe seinem Bekannten eine Falle gestellt, um das arg- und wehrlose Opfer zu töten und sich damit des heimtückischen Mordes schuldig gemacht, sagte Staatsanwalt Niels-Broder Greve in seinem Schlussvortrag am Freitag vor dem Landgericht Lübeck.

Seit Anfang November sitzt Nick G. (Name geändert) dort bereits zum zweiten Mal auf der Anklagebank. Die Staatsanwaltschaft wirft dem 23-Jährigen vor, seinen Bekannten am Abend des 21. Oktober 2020 gegen 22 Uhr nach einem Streit über Schulden und gemeinsame Drogengeschäfte mit 27 Messerstichen auf einem Spielplatz getötet zu haben. Ein Anwohner hatte am Folgetag den leblosen Körper von Mohamed C. entdeckt.

Bluttat in Grönwohld: Staatsanwaltschaft fordert lebenslange Haftstrafe

Eine erste Verurteilung zu zehn Jahren Haft wegen Totschlags aus dem Juli 2021 hatte der Bundesgerichtshof (BGH) im Mai annulliert. Die Richter monierten, das Landgericht Lübeck habe nicht ausreichend begründet, warum es sich nicht um einen Mord handele. Der BGH gab damit dem Revisionsantrag der Eltern und Geschwister von Mohamed C. statt, die in dem Verfahren als Nebenkläger auftreten.

Staatsanwalt Greve führte vor Gericht detailliert aus, warum aus Sicht der Anklagebehörde von einem heimtückischen Handeln G.s auszugehen ist. Zum Motiv sagte Greve, der 23-Jährige habe sich in einer ausweglosen Situation befunden, weil er C. wiederholt darüber belogen habe, was seine Fähigkeit betraf, Geld- und Drogenschulden zu begleichen. Dies belegten Chatprotokolle. Tatsächlich habe G. weder über die finanziellen Mittel noch über die Drogen verfügt.

Angaben des Angeklagten zur Tat sind für Staatsanwalt „nicht glaubwürdig“

Nick G. habe an jenem Abend, wie ebenfalls Chatprotokolle belegten, seinen Ausstieg aus den gemeinsamen Drogengeschäften erklären wollen. So habe er seiner damaligen Freundin zugesichert, die Zusammenkunft auf dem Spielplatz werde die letzte dieser Art sein. „Dabei hat der Angeklagte gewusst, dass der Geschädigte seine Entscheidung nicht akzeptieren würde“, so Greve. „An jenem Abend drohte das Kartenhaus aus Lügen zusammenzubrechen.“ G. sei deshalb mit dem festen Vorsatz, seinen Freund zu töten, zu dem Spielplatz gegangen.

Die Angaben, die der Angeklagte bei seinem Geständnis zum Tatgeschehen gemacht hatte, bezeichnete der Staatsanwalt als „nicht glaubwürdig“. Nick G. hatte am ersten Verhandlungstag zwar eingeräumt, Mohamed C. getötet zu haben, aber bestritten, dies geplant zu haben. Auch habe nicht er die Waffe mit zu dem Treffen gebracht, sondern Mohamed C. Dieser habe ihn nach seiner Ankündigung, aus dem Drogengeschäft aussteigen zu wollen, mit einem Messer bedroht.

Beschreibung der Tatwaffe passt nicht zu Feststellungen der Rechtsmedizin

Darauf sei es zu einer Rangelei gekommen, bei der der 22-Jährige zu Boden gestürzt sei und die Waffe verloren habe. „In Panik habe ich das Messer aufgehoben und wahllos auf ihn eingestochen“, so G. Anschließend sei er „wie in Trance“ nach Hause gegangen und habe das Messer am Folgetag entsorgt. Die Waffe hatte der 23-Jährige auf Nachfrage detailliert beschrieben: schwarz, gebogen, mit 15 Zentimeter langer Klinge. Wo er sie entsorgte, wollte G. aber nicht beantworten. Die Tatwaffe wurde bis heute nicht gefunden.

„Das vom Beschuldigten beschriebene Messer ist zur Tat nicht verwendet worden“, sagte Greve. Er verwies darauf, dass eine Rechtsmedizinerin aufgrund des Verletzungsmusters an der Leiche von Mohamed C. eine gebogene Klinge ausgeschlossen hatte. Die Sachverständige geht davon aus, dass G. einen Schlagring mit ausklappbarem Messer verwendete. Einen solchen soll der 23-Jährige nach Angaben mehrerer Zeugen besessen haben.

Es gibt keine Hinweise auf eine Gegenwehr des Opfers

Als Beleg für das heimtückische Vorgehen führte Greve an, dass es laut Rechtsmedizin keine Spuren für eine Gegenwehr des Opfers gebe, obwohl C. nach Aussage mehrerer Zeugen jahrelang Box- und Karateunterricht nahm, Fitnesstraining betrieb und dem zu diesem Zeitpunkt unsportlichen und übergewichtigen Angeklagten von der körperlichen Konstitution her deutlich überlegen gewesen sei.

„Die fehlende Abwehrreaktion lässt sich nur dadurch erklären, dass der Geschädigte den Angriff nicht hat kommen sehen“, folgerte der Staatsanwalt. Dies sei laut Rechtsmedizinerin nur für zwei Varianten denkbar: Entweder, wenn der 22-Jährige, wie vom Angeklagten geschildert, zum Zeitpunkt des ersten Messerstichs bereits am Boden gelegen habe, oder, wenn G. sein Opfer überraschend gepackt hätte.

Staatsanwalt: Angeklagter nutzte Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers aus

Gegen erstere Variante spreche aber, dass unklar sei, wie C. zu Boden gelangt sei, wenn es keine Spuren stumpfer Gewalteinwirkung am Leichnam gebe. Wahrscheinlicher sei deshalb die andere Version, nach der G., den Schlagring mit bereits ausgeklappter Klinge am Körper verborgen, seinen Bekannten direkt bei der Begrüßung mit dem linken Arm unter der Schulter hindurch fixiert und anschließend mit rechts zugestochen habe. So lasse sich auch erklären, dass sämtliche Stiche die Körperrückseite, vor allem Nacken und Kopf, getroffen hätten.

„In dem Wissen, in einer offenen Auseinandersetzung körperlich unterlegen zu sein, hat der Angeklagte die Arg- und Wehrlosigkeit seines Opfers ausgenutzt“, so Greve. Für eine vorsätzliche Tat spreche auch G.s Verhalten danach. Dessen Freundin und der Lebensgefährte der Mutter hatten angegeben, keine Veränderung in seinem Benehmen bemerkt zu haben. „Der Angeklagte war von der Tat nicht überrascht, er wusste ganz genau, worauf sein Handeln hinausläuft und wie er damit im Nachhinein umzugehen hat“, so der Staatsanwalt.

Anwälte der Familie des Getöteten zeigen sich erleichtert

Die Vertreter der Nebenklage zeigten sich nach dem Schlussvortrag der Staatsanwaltschaft erleichtert. „Mir ist selten vor einem Plädoyer ein solcher Stein vom Herzen gefallen“, sagte Anwältin Jutta Heck und schloss sich den Ausführungen Greves an. Ihr Partner Joachim Breu sprach mit Blick auf das Geständnis des Angeklagten von einer „Legende, die auf Notwehr zielt“. Dabei gebe es keine Anhaltspunkte, dass Mohamed C. sich bewaffnet habe.

Für eine geplante Tat spreche hingegen G.s sorgfältiges Vorgehen bei der Beseitigung belastender Beweise im Anschluss. So habe der 23-Jährige Chatverläufe auf seinem Handy gelöscht, seine Kleidung von jenem Abend mit möglichen Blutspuren darauf ebenso verschwinden lassen wie die Tatwaffe. „So verhält sich niemand, der unbeabsichtigt einen Menschen getötet hat“, sagte Breu.

Verteidigung sieht mehrere Anhaltspunkte, die gegen geplante Tat sprechen

Die Verteidigung widersprach dieser Darstellung. „Was tatsächlich auf dem Spielplatz geschehen ist, bleibt reine Spekulation“, sagte G.s Anwalt Eric Goldbach. Die Angaben seines Mandanten seien nicht widerlegt. Für ein spontanes Handeln des 23-Jährigen gebe es mehrere Anhaltspunkte. „Warum hat er das Handy des Getöteten nicht mitgenommen, wo es doch das Beweismittel gegen ihn schlechthin war?“, fragte der Verteidiger. Auch mache es wenig Sinn, sich an einem Ort zu verabreden, der als Treffpunkt der beiden Männer bekannt gewesen und somit schnell mit seinem Mandanten in Verbindung zu bringen sei.

Goldbach forderte eine erneute Verurteilung wegen Totschlags. Einen konkreten Strafantrag stellte er nicht, sagte aber, die zehn Jahre aus dem ersten Verfahren seien „aus meiner Sicht sehr hoch gegriffen.“ Das Gericht möchte seine Entscheidung am Dienstag, 22. November, bekanntgeben.