Kiel/Bargteheide. In Stormarn reagieren vor allem FDP und Linke mit harscher Kritik an der geplanten Novelle des Wahlrechts.
Wie viele Abgeordnete sollten es mindestens sein, um in einem Kommunalparlament eine Fraktion bilden zu können? Claus Christian Claussen, bis zur Landtagswahl im Mai Justizminister des Landes Schleswig-Holstein, hat da eine ganz klare Meinung. „In größeren Kommunen sollte die Anzahl auf drei erhöht werden“, sagt der CDU-Landtagsabgeordnete aus Bargteheide. Aus seiner Sicht würden zu viele kleine Fraktionen und Einzelbewerber die kommunale Selbstverwaltung erschweren. „Das ist eine Fehlentwicklung, die unbedingt korrigiert werden sollte“, so Claussen.
Novelle soll bis 14. Mai nächsten Jahres stehen
Mit dieser Meinung steht der erfahrene Jurist nicht allein da. Ganz im Gegenteil. Dass die Gemeindeordnung auf Anpassungsbedarf hin überprüft werden sollte, ist offenbar Konsens im neuen Bündnis auf Landesebene. Jedenfalls hat es der Vorstoß sogar mit drei Absätzen in den schwarz-grünen Koalitionsvertrag geschafft.
„Wir werden prüfen, wie das Wahlrecht im Hinblick auf mehr Stimmengerechtigkeit überarbeitet werden kann“, heißt es dort im Kapitel Kommunales auf Seite 81. Ziel sei es, das kommunale Ehrenamt und die Funktionsfähigkeit der Kommunalvertretungen zu stärken. „Die Fraktionsstärke soll dabei im Vorwege entsprechend der Größe der Kommune gestaffelt und in größeren Kommunen auf drei erhöht werden“, ist an gleicher Stelle zu lesen. Verbunden mit der Ankündigung, diese Anpassung bereits zur nächsten Kommunalwahl am 14. Mai nächsten Jahres vorzunehmen.
FDP und USB würden Fraktionsstatus verlieren
In Claussens Heimatstadt Bargteheide würde die Novelle nach aktuellem Stand sowohl die FDP, als auch die erst kürzlich gebildete USB (Unabhängige Stadtvertreter Bargteheide) den Fraktionsstatus kosten, da sie nur mit je zwei Sitzen in der Stadtvertretung vertreten sind. In der Kreisstadt Bad Oldesloe wären die FDP, die Linke und die Stadtfraktion betroffen.
Entsprechend deutlich fiel dort das Echo auf das Ansinnen der Kieler Koalitionäre aus. „Geht es nicht nur darum, die eigene Machtposition zu stärken und kleinere Parteien durch die Hintertür vom parlamentarischen Betrieb auszuschließen“, fragt Thomas Bellizzi, seit 1. Juli neuer FDP-Fraktionschef im Stormarner Kreistag.
Duette müssen sich bis zu sieben Fachausschüsse teilen
Offenbar trauere die CDU den Zeiten nach, in denen sie in einigen Kommunen dank absoluter Mehrheit durchregieren konnte, ohne sich mit irgendjemandem wirklich abstimmen zu müssen. „Solch eine Einstiegshürde zur Fraktionsbildung macht kleinere Parteien unattraktiv, beschneidet ihre Einflussmöglichkeiten, verurteilt sie zum Zuschauen und schließt sie letztendlich aus dem politischen Wettbewerb aus“, kritisiert Bellizzi.
In Zeiten zunehmender Politikverdrossenheit sei der Vorstoß der Kieler Koalition das falsche Signal und passe deshalb nicht in die Zeit. „Wer wäre denn noch bereit, sich ohne stimm- und antragsberechtigten Sitz in Ausschüssen kommunalpolitisch zu engagieren?“, moniert der Freie Demokrat. Schon jetzt sei es für Minifraktionen mit zwei Sitzen schwierig genug, bis zu sieben Fachausschüsse, diverse Arbeitsgruppen und das Kommunalparlament selbst regelmäßig und konstruktiv zu begleiten. Das werde aber geradezu unmöglich, wenn man ohne Fraktionsstatus nicht einmal mehr bürgerliche Mitglieder entsenden dürfte.
Fünf-Prozent-Hürde war 2008 gekippt worden
Hendrik Holtz, Stadtverordneter der Linken in Bad Oldesloe, erinnert daran, dass der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts nicht ohne Grund bereits Mitte März 2008 die Fünf-Prozent-Hürde bei Kommunalwahlen für verfassungswidrig erklärte. Die Klausel verletze die Chancengleichheit kleinerer Parteien und Wählervereinigungen, begründeten die Karlsruher Richter ihre Entscheidung. Auch (Einzel-) Kandidaten mit ortsgebundenen, lediglich kommunalen Interessen müsse eine chancengleiche Teilhabe an den Wahlen ermöglicht werden.
Geklagt hatten seinerzeit Schleswig-Holsteins Grüne und die Linken. „Das Urteil sollte eine größere Partizipation breiterer Bevölkerungsschichten ermöglichen. Ebenso wie die Festlegung, dass politische Gruppierungen bereits mit zwei Abgeordneten eine Fraktion bilden dürfen. Dass die Grünen das inzwischen gänzlich anders sehen, überrascht doch sehr“, sagt Holtz. Werde an der Proporz-Erhöhung herumgeschraubt, würde der Wählerwille, insbesondere des unteren Drittels der Gesellschaft, nicht mehr repräsentiert und gehört.
In Lütjensee ist die CDU konkurrenzlos
„Weil so wahre Demokratie nicht funktioniert, lehnen wir die plumpen und durchschaubaren Pläne der Kieler Koalition kategorisch ab“, sagt Hendrik Holtz. Sie erinnerten stark an Bestrebungen lateinamerikanischer Despoten. „Was wünscht sich die Landesregierung als Nächstes? Vielleicht das US-amerikanische System, wonach ein Wahlsieger automatisch alle Stimmen kassiert?“, fragt der Linke sarkastisch.
Dass eine Partei die Geschicke einer Kommune allein bestimmt, ist unterdessen selbst Christdemokraten suspekt. Bei der Kommunalwahl 2018 hatte die CDU zwölf der 17 Sitze in der Gemeindevertretung Lütjensee geholt, die restlichen fünf waren an die SPD gegangen. Deren Fraktion hat sich nach Parteiaustritten und Verzichten inzwischen aufgelöst.
In Großensee dominieren zwei Wählergemeinschaften
„Dass wir nun allein schalten und walten können, verstärkt den Eindruck, dass die Gemeindevertretung die Einwohnerschaft, deren Vorstellungen und Wünsche nicht adäquat repräsentiert“, sagt Bürgermeisterin Ulrike Stentzler (CDU). Die gute Infrastruktur und die Finanzstärke der großen Parteien dürfe nicht alles dominieren, da sonst die Bereitschaft in der Bevölkerung sinke, sich selbst zu engagieren.
Deshalb hat die CDU Lütjensee ihre Kandidatenliste bereits vor Jahren auch für Parteilose geöffnet. „Wenn sich zwei finden und einen gemeinsamen Weg gehen wollen, ist das doch gut“, findet Stentzler und plädiert dafür, es bei dieser Mindestzahl für die Bildung eine Fraktion zu belassen. Anderenfalls werde sich wohl die Tendenz zur Bildung von Wählergemeinschaften verstärken. So wie in der Nachbargemeinde Großensee, die von der BfG (Bürger für Großensee) und der AWG (Aktive Wählergemeinschaft) dominiert wird. Hier hat die CDU inzwischen nur noch zwei der insgesamt 13 Sitze inne.