Travenbrück. Die Cousine der getöteten Travenbrückerin wendet sich an das Abendblatt. Darin schildert sie auch das Leid der Angehörigen.
Vor drei Monaten entdeckte ein Landwirt durch Zufall die Leiche der lange vermissten Ivonne Runge in einem Waldstück in Hammoor. Damit wurde traurige Gewissheit, was viele befürchtet hatten, aber nicht glauben wollten. Jetzt hat sich die Familie der Frau aus Travenbrück mit einem offenen Brief an das Hamburger Abendblatt gewandt, um den vielen Helfern zu danken, die sich an der Suche beteiligten.
Kein einfacher Schritt nach zwei Jahren voller Leid, Trauer und der durch kleine Hinweise immer wieder aufkeimenden Hoffnung, die Geschichte könne doch noch ein gutes Ende nehmen. Die richtigen Worte zu finden, ist schwer. „Wir haben uns als Familie immer sehr zurückhaltend in der Öffentlichkeit zu dem Fall geäußert. Zum einen zu unserem Schutz und zum anderen, um die Ermittlungen nicht zu gefährden“, schreibt Ivonne Runges Cousine Rita im Namen der Familie. Ihren vollen Namen möchte sie nicht veröffentlicht wissen. Lange hatten sie gehofft, dass Ivonne lebend gefunden wird. Doch mit jeder Woche sei ihnen bewusster geworden, dass sie wohl nie wieder zurückkehren werde.
Jeder noch so kleine Hinweis ließ die Hoffnung nach einem Happy End wieder aufkeimen. Etwa, als ein Jahr nach dem Verschwinden plötzlich das Smartphone der Vermissten unter mysteriösen Umständen wieder auftauchte: War Ivonne doch noch am Leben?
Landwirt entdeckte Leiche in einem Waldstück
„Man wusste schon gar nicht mehr, was man noch anstellen sollte, wo man noch suchen sollte. Aber aufgeben wollten wir nicht. Wir wollten Ivonne zurück“, schreibt Rita. Von einem gewissen Zeitpunkt an sei der Gedanke, sie nicht verabschiedet zu haben, kaum mehr zu ertragen gewesen. Nicht zu wissen, was mit ihr ist, wo sie sich befindet. „Diese Gedanken haben uns alle nicht losgelassen, bis zu dem Tag ihres Auffindens.“
Dann kam der 2. Mai 2019. Die Polizei gab bekannt, einige Tage zuvor bei Hammoor eine Leiche gefunden zu haben. Der Hinweis kam von einem örtlichen Landwirt, der die sterblichen Überreste in einem Waldstück entdeckte. Der Verdacht bestätigte sich schnell: Es ist Ivonne Runge aus Travenbrück, deren ungewisses Schicksal seit anderthalb Jahren so viele Menschen bewegt.
„Die plötzliche Gewissheit erschlägt einen“, schreibt Rita. Dann kam die Nachricht, dass die Polizei den ehemaligen Lebensgefährten von Ivonne erneut festgenommen hat: „Das Gefühl, dass Herr B. etwas mit ihrem Verschwinden zu tun hatte, war immer da, nur wir können niemanden ohne Beweise beschuldigen.“ Was jetzt bleibt, sei unglaubliche Trauer, Wut und Hass auf den Mörder von Ivonne Runge.
Der mutmaßliche Täter sitzt in Untersuchungshaft
Die Anklage ist laut Staatsanwaltschaft in Vorbereitung. B. sitzt seit seiner Festnahme in Untersuchungshaft. Jetzt hofft die Familie auf einen Prozess mit einem gerechten Urteil. Doch was ist gerecht? Was eine angemessene Strafe für das Auslöschen eines Lebens? „Wir wollen, dass der Mörder von Ivonne jede Sekunde daran erinnert wird und jeden Tag genauso leidet wie Ivonne in den letzten Sekunden ihres Lebens. Uns wurde ein Mitglied der Familie entrissen, für Fremde ein einziger Mensch im Universum, aber für uns ein wertvoller Teil der Familie; es fehlt ein Stück zum Ganzen.“
Ivonne Runge habe immer ein Lächeln auf dem Lippen gehabt, sei arglos und unbefangen gewesen: „Sie liebte ihre Freiheit, war so unglaublich spontan und von jetzt auf gleich konnte sie einen mitreißend umhüllen. Nun ist sie zu uns zurückgekehrt; nicht auf ihren eigenen Beinen, wie wir es uns wünschten, aber mit den Flügeln eines Engels.“
Der Fall Ivonne Runge bewegt bis heute viele Menschen, Freunde wie Fremde, Nachbarn Arbeitskollegen, Ermittler, Journalisten, Leser der Fahndungsaufrufe. Seit ihrem Verschwinden hatten die Behörden mehrere Suchmeldungen veröffentlicht, mit Fotos der Vermissten, mit Bildern ihres Smartphones, ihres Opel Cabrios und des SUV ihres Ex-Lebensgefährten. Wälder wurden abgesucht, teils mit Hubschraubern und Wärmebildkameras. Menschen hielten die Augen auf und verbreiteten die immer neuen Artikel über den Fall Runge in der Hoffnung, dass sich Zeugen oder Hinweise finden.
„Wir möchte uns bedanken bei allen Helfern für das Lesen der verteilten Handzettel, für den Blick auf die aufgehängten Plakate an den Autobahnen, für das Teilen von Ivonnes Suchanzeige in den sozialen Netzwerken, für jeden kleinen Hinweis der an die Kripo in Lübeck ging“, formuliert Rita in dem offenen Brief. „Ein Danke an Kollegen und Arbeitgeber, an all die Menschen, die uns Trost und Mut zusprachen oder einfach nur zuhörten. Auch vielen Dank an das ZDF und ,Aktenzeichen XY … ungelöst’, Bojens Truck-Wash Lübeck und das Hamburger Abendblatt“, schreibt Rita im Namen der Familie. „Wir können uns jetzt verabschieden, ihr einen Platz der Ruhe geben und trauern. Die Suche hat ein Ende.“
Die Chronik des Falls
25. Oktober 2017: Ivonne Runge fährt zu ihrem Ex-Freund Stefan B. nach Rümpel, um Papierangelegenheiten zu erledigen. Gegen 22 Uhr bekommt ihr neuer Freund eine Sprachnachricht, das letzte Lebenszeichen.
26. Oktober 2017: Runges Partner meldet seine Freundin vermisst. Freunde starten einen Hinweisaufruf auf Facebook.
3. November 2017: Die Polizei geht von einem Tötungsdelikt aus, vernimmt Stefan B. Er bestreitet die Tat, gibt an, die Frau mit dem Auto an einer Bushaltestelle nahe ihrer Wohnung im Travenbrücker Ortsteil Schlamersdorf abgesetzt zu haben. B. wird freigelassen.
10. November 2017: Die Polizei fahndet jetzt öffentlich mit Fotos.
14. Januar 2018: Runges Smartphone wird an jener Bushaltestelle gefunden, an der Stefan B. sie abgesetzt haben will. Die Polizei vermutet, dass es dort nachträglich deponiert wurde.
19. September 2018 : Der Fall wird in der ZDF-Sendung „Aktenzeichen XY...ungelöst“ vorgestellt.
Ende April 2019: Ein Landwirt findet Runges Leiche in einem Waldstück nahe Hammoor.
1. Mai 2019: Stefan B. wird in Reinfeld festgenommen.
Juli 2019: Die Staatsanwaltschaft Lübeck bereitet eine Anklage wegen Mordes gegen B. vor.