Bargteheide/Lübeck. Sven S. gibt zu, für Tod verantwortlich zu sein. Allerdings hätten sich die Schüsse „versehentlich gelöst“. Den Richter lehnt er ab.
Mit einem Befangenheitsantrag des Angeklagten gegen den Vorsitzenden Richter hat am Donnerstag der Prozess um die tödlichen Schüsse auf die Bargteheiderin Svea T. zum dritten Mal von vorn begonnen. Es ist der nächste Versuch des Landgerichts Lübeck, zu einem rechtskräftigen Urteil gegen ihren Ex-Freund Sven S. zu kommen. Der 37 Jahre alte Gerüstbauer soll die Frau im August 2016 unter einem Vorwand in seine Wohnung gelockt und mit drei Schüssen hingerichtet haben, weil er die Trennung nicht akzeptieren wollte.
Die Erste Große Strafkammer am Landgericht Lübeck hatte ihn wegen heimtückischen Mordes in Tateinheit mit unerlaubtem Waffenbesitz und dem Führen einer Schusswaffe im November 2017 zu lebenslanger Haft verurteilt. Doch der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe hob das Urteil wegen eines Formfehlers auf, gab damit der Revision des Angeklagten statt. Der BGH sah einen Widerspruch zwischen dem Protokoll der Hauptverhandlung und der schriftlichen Urteilsgründung.
Sven S. gibt seinem Anwalt im Prozess viele Anweisungen
Die Folge: Der Prozess muss wiederholt werden – mit neuen Richtern. Das Urteil soll nun die Dritte Große Strafkammer unter dem Vorsitz von Kai Schröder fällen. Doch mit dieser Wahl zeigt sich der neue Anwalt des Angeklagten, Strafverteidiger Gerd-Manfred Achterberg, zu Prozessbeginn alles andere als zufrieden. Sein Mandant habe bei einer anderen Gerichtsverhandlung, bei der er als Zeuge aussagen musste, schon einmal mit dem Richter zu tun gehabt. Dabei soll es auch um die Tatwaffe im Bargteheider Fall gegangen sein. Damals, im Frühjahr 2017, habe es „erhebliche Spannungen“ zwischen den Männern gegeben. Der Anwalt spricht von einem als „süffisant und abwertend empfundenen Lächeln des Richters“ und von gegenseitigen „verbalen Angriffen“. „Nach dem Empfinden meines Mandanten hat man sich dort angeschrien“, so Achterberg. Sven S. gehe deshalb davon aus, dass der Richter ihm gegenüber nicht mehr unbefangen sein könne.
Über den Befangenheitsantrag soll in den kommenden Tagen entschieden werden
Der Prozess wird trotzdem wie geplant begonnen, über den Antrag soll zu einem späteren Zeitpunkt entschieden werden – voraussichtlich in den kommenden Tagen. Über seinen Verteidiger lässt Sven S. ein Teilgeständnis vorlesen. „Zu der großen Schuld bekenne ich mich erneut“, heißt es darin. Und dass er den Tod von Svea T. „zutiefst bereue“. Er könne nicht erwarten, dass ihre Eltern ihm verzeihen. Deshalb wolle er sich nicht direkt an sie wenden.
+++ Was die Eltern des Opfers durchmachen müssen +++
Das Ehepaar tritt im Prozess als Nebenkläger auf. Dem Abendblatt hatten die beiden vor Prozessbeginn erzählt, wie viel Leid ihnen die Wiederholung des Verfahrens bereitet. Wie schlimm es für sie ist, Sven S. immer wieder sehen zu müssen. Den Mann, der bereits vor der Tat ihre Tochter und auch sie selbst massiv bedroht hatte. Und trotzdem wollen sie wieder dabei sein. „Wir werden es auch diesmal schaffen“, sagt der Vater, der den Prozessauftakt ohne seine Frau verfolgt. „Svea zuliebe.“
Richter Kai Schröder rät ihm, dem Prozess zunächst fern zu bleiben, weil er in zwei Wochen selbst noch als Zeuge vernommen werden soll. Doch der Vater will bleiben. Und so hört er, dass Sven S. wie im vorangegangenen Prozess wiederholt, er habe Svea T. nicht umbringen wollen. Er habe sich an dem Vormittag in einer „weinerlichen Stimmung“ befunden und sich umbringen wollen. Svea T. habe ihn bei seinem Vorhaben überrascht, die Schüsse auf sie hätten sich versehentlich gelöst.
Das Urteil in dem neuen Prozess soll im Mai fallen
Während sein Anwalt die Worte verliest, blickt Sven S. nahezu regungslos nach unten. Er trägt einen grauen Kapuzenpullover, blaue Jeans und schwarze Sneakers. Seine dunklen Haare hat er mit einem schwarzen Band nach hinten gebunden. Der 37-Jährige antwortet ruhig auf die Nachfragen des Richters, bespricht sich während der Befragung der ersten Zeugen immer wieder mit seinem Anwalt. Im Flüsterton raunt er seinem Verteidiger Fragen zu, die dieser zum Beispiel den Polizisten, die als erste am Tatort waren, stellen soll.
47 Zeugen hat das Gericht für den neuen Prozess bisher geladen, die meisten davon haben bereits ein- oder zweimal zu dem Fall ausgesagt. Denn das Urteil vom November 2017 fiel bereits bei einem Wiederholungsprozess. Die erste Hauptverhandlung musste wegen einer längeren Erkrankung des ersten Verteidigers von Sven S. abgebrochen und von vorn begonnen werden.
Viele Zeugen haben bereits mehrfach vor Gericht ausgesagt
Auch für eine Nachbarin, die in der Wohnung über Sven S. gewohnt und die tödlichen Schüsse mitangehört hatte, ist es bereits der dritte Auftritt vor Gericht. Das Haus sei „furchtbar hellhörig“, sagt die 57-Jährige. Am Morgen der Tat habe sie zunächst eine Frau im Treppenhaus, dann einen gellenden Schrei gehört – und später zweimal lautes Knallen. An Schüsse habe sie nicht gedacht, daher zunächst nicht die Polizei gerufen. Sven S. hatte selbst den Notruf gewählt, war danach aber geflüchtet.
„Wissen Sie denn, ob ich noch einmal wiederkommen muss?“, fragt die Nachbarin den Vorsitzenden Richter, als sie nach ihrer Zeugenaussage entlassen wird. Kai Schröder zuckt mit den Schultern. „Das kann ich Ihnen nicht sagen. Wahrscheinlich nicht. Aber man sollte nie ,nie’ sagen...“
In den kommenden Wochen sind elf weitere Verhandlungstermine vorgesehen, ein Urteil wird im Mai erwartet.