Ahrensburg. Über Jahre musste sich die Ahrensburger Justiz immer wieder mit einem Pöbler aus Großhansdorf befassen. Jetzt gibt es ein Urteil.

Neun Monate auf Bewährung wegen Beleidigung in 15 Fällen: Mit diesem Urteil ging vor dem Amtsgericht in Ahrensburg ein bizarrer Prozess zu Ende, der die Justiz jahrelang beschäftigt und Richter sowie Staatsanwälte auf eine harte Geduldsprobe gestellt hat. Obwohl bereits zu Beginn der Hauptverhandlung alle Beweise für die Tatvorwürfe schwarz auf weiß in den Akten zu finden waren und selbst der Angeklagte die Vorwürfe nicht bestritt, zog sich der Prozess mit 20 Verhandlungstagen in die Länge.

So beschäftigte Erwin T. (Name geändert) das Gericht mit bis zu 40 Befangenheits- oder Beweisanträgen. Auf Fragen des Richters oder Staatsanwaltes antworte der 59 Jahre alte Großhansdorfer nur schriftlich. „Ich habe das Gefühl, sie wollen mir eine Falle stellen“, begründete Erwin T. sein Vorgehen und fügte im selben Atemzug hinzu: „Wenn der Deutsche zu freundlich ist, muss man aufpassen.“ Es folgten ermüdende Monologe, die meist nicht im Zusammenhang mit dem Verfahren standen. Darin gab Erwin T. unter anderem Buchempfehlungen ab, sprach über die Barschel-Affäre oder attestierte Donald Trump eine psychische Störung.

Angeklagter nutzt sein letztes Wort, um weiter zu pöbeln

„Es war schwer nachzuvollziehen, was das soll“, sagt Richter Paul Holtkamp, der sich selbst als sehr geduldig bezeichnet. Selbst das letzte Wort, das einem Angeklagten vor dem Urteil eingeräumt wird, erstreckte sich bei dem Großhansdorfer auf drei Tage. „Jeder Angeklagte kann frei reden, wenn er meint, es diene seiner Verteidigung“, sagt Holtkamp.

Doch die Redefreiheit vor Gericht nutze der 59-Jährige nicht für seine Verteidigung. Er beleidigte und pöbelte weiter und unterstrich damit einmal mehr den Anklagevorwurf. So bezeichnete er einen Zeugen als Nazi-Anwalt, CDU-Politiker als Scientologen und dem Richter selbst warf T. Nazi-Methoden vor. „Seien Sie vorsichtig“, ermahnte Richter Holtkamp T. an dieser Stelle. Doch Konsequenzen in Form eines Ordnungsgeldes oder eines weiteren Strafantrages gab es nicht.

Weitere Strafanträge hätten Verfahren nur verlängert

Warum nicht? „Es liegt im Ermessen des Gerichts, für Ordnung zu sorgen“, sagt Holtkamp und fügt hinzu, dass der Angeklagte nicht freiwillig hier sitze, es für ihn eine Ausnahmesituation sei. „Da legt man nicht jedes Wort auf die Goldwaage.“ Ferner würden weitere Strafanträge das Verfahren nur noch weiter verlängern und beim Urteil kaum noch ins Gewicht fallen.

Besonders schwer wog bei der Strafzumessung das „komplett nicht vorhandenen Unrechtsbewusstsein“, wie es Staatsanwalt Jens Buscher zuvor auch in seinem Plädoyer beschrieb. Der Ankläger erklärte darin auch das Muster, nachdem Erwin T. vorgeht. „Passen ihm Entscheidungen von Richtern oder Schreiben von Anwälten nicht, fühlt er sich als Verfolgter und setzt alles mit den Machenschaften im Dritten Reich gleich“, sagte Buscher: „Das ist grotesk und absurd. Es zeigt ein fragwürdiges Geschichtsbewusstsein.“

Jahrelange Feindschaft mit gegenseitiger Diffamíerung

Die Hauptverhandlung hat dabei auch die perfide Art des 59-Jährigen offenbart, Menschen zu diffamieren: Gerät jemand in seinen Fokus, wird er öffentlich durch den Schmutz gezogen. Briefe, in denen eine Anwältin obszön beleidigt wird oder Juristen als Nazis beschimpft werden, schickt T. ans Gericht. E-Mails, in denen Erwin T. seinen Erzrivalen, den Ahrensburger Blogger Horst L. (Name geändert) beleidigt, adressiert er laut Zeugenaussage an dessen Werbekunden oder Ahrensburger Stadtverordnete. Darin beschimpft er Horst L. unter anderem als Frauenhasser und Nazi. Der Name seines Erzfeindes zieht sich dabei wie ein roter Faden durch den Prozess. Dieser gehöre auf die Anklagebank, nicht er.

Es gab kaum einen Verhandlungstag, an dem der Name des Bloggers nicht fiel. Dabei hatte Richter Holtkamp schon nach den ersten Verhandlungstagen jene Anklagepunkte eingestellt, in denen es um Beleidigungen gegen den 73 Jahre alten Ahrensburger ging. Der Richter begründete seine Entscheidung mit dem Recht auf Gegenschlag. Kurz gesagt: Beleidigen sie sich gegenseitig, bleiben beide straffrei. Und das gegenseitige Diffamieren hat bei den beiden offenbar Tradition. Sie verbindet eine jahrelange Feindschaft, die in Zivilverfahren mündete, in denen L. sogar ein Kontaktverbot erwirkte.

Erwin T. sagt, er habe lediglich seine Meinung geäußert

Der Richter, der diesen Beschluss fasste, wurde anschließend in einem Fax ans Gericht von Erwin T. beschimpft. Zudem stand in dem Schreiben, dass T. dem Richter den Verlust eines Kindes wünscht, genauso wie eine Vergewaltigung, einen schweren Unfall mit Querschnittslähmung und einen versuchten Totschlag. Den Anwalt, der seinen Erzrivalen L. vertreten hat, bezeichnete er als Nazi und Kriminellen. Selbst die Ehefrau des Juristen, wird obszön in E-Mails an das Gericht beleidigt. „Bloß, weil sie auch auf dem Briefbogen der Kanzlei auftaucht“, sagte Richter Holtkamp: „Sie haben sich über Menschen ausgelassen, die nicht für die Taten von L. verantwortlich sind.“ Erwin T. schüttelte an dieser Stelle der Urteilsbegründung uneinsichtig den Kopf.

Doch es sind auch andere Anwälte und Richter Ziel von Beleidigungen geworden. Mal nach einem Mietstreit vor Gericht, an dem T. beteiligt war, mal nach einem Prozess, bei dem Erwin T. nur als Zuschauer dabei war und nichts mit dem Verfahren zu tun hatte.

Gutachten: Angeklagter nicht seelisch krank

Natürlich wurde in dem Prozess auch die Frage der Schuldfähigkeit des Angeklagten erläutert. Doch krankhaft ist dieses Verhalten nach Ansicht eines psychiatrischen Gutachters nicht. Der Mediziner kam zu dem Ergebnis, dass T. keine seelische Krankheit habe. Er sei Impulsen nicht hilflos ausgesetzt.

Bis zum letzten Verhandlungstag beharrte Erwin T. darauf, dass er niemanden beleidigt, er nur seine Meinung geäußert habe und mit manchen Aussagen zum Nachdenken anregen wollte. Gleichwohl machte der am Ende noch ein Angebot: Sollte das Gericht ihn freisprechen, „wäre ich bereit über meine Meinung über die Justiz nachzudenken, und vielleicht etwas zurücknehmen“.

Grenzen der Meinungsfreiheit in 15 Fällen überschritten

Dies beeindruckte den Richter jedoch nicht. In seinem Urteil begründete er, warum die Grenzen der Meinungsfreiheit bei 15 von ursprünglich 34 Tatvorwurf überschritten waren. Dabei orientierte er sich an einem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes. Danach könne Kritik auch polemisch und überspitzt sein. Entscheidend sei, welchen Sachbezug es gab. Und diesen gab es oft nicht.

Genauso wenig wie die Einsicht bei dem Angeklagten. Nach dem Urteil legte er Berufung ein. Ist sie zulässig, muss sich das Landgericht mit dem Fall beschäftigen. Das bizarre Verfahren ginge dort dann in die nächste Runde.