Ahrensburg. Erzieher sind in Kindergärten immer noch die Ausnahme. Der in Ahrensburg beschäftigte Andreas Kirsch ist schon seit 20 Jahren dabei.

„Seid mal ein bisschen leiser, Jungs“, ruft Andreas Kirsch drei Kindern in der Ahrensburger Kita Schäferweg zu. Die tiefe Stimme des 55-Jährigen durchdringt den Raum, dann ist es ruhiger. „Hart, aber liebevoll“: So bezeichnet Kirsch seinen Betreuungsstil. Seit 20 Jahren ist er Erzieher. Davor hatte er Fernsehtechniker gelernt, beim Radio, als Taxi- sowie Kurierfahrer sowie auf dem Bau gearbeitet.

Fast alle der rund 130 Kinder kennen den Grönwohlder. „Ich bin der einzige Mann hier, da falle ich natürlich auf“, sagt Kirsch. Im Kreis Stormarn sind männliche Erzieher immer noch die Ausnahme: 2016 lag der Männeranteil bei 6,9 Prozent. Dazu zählen Erzieher, aber auch Praktikanten und Absolventen eines Freiwilligen Sozialen Jahres. Landesweit liegt der Männeranteil bei 7,1 Prozent. Hamburg nimmt im bundesweiten Vergleich mit 10,9 Prozent den Spitzenplatz ein. Schlusslicht ist Bayern mit 2,9 Prozent.

Auch Quereinsteiger können Erzieher werden

Die Ausbildung zum Erzieher an Fachschulen kann in Schleswig-Holstein in drei Formen absolviert werden.

Die vollzeitschulische Ausbildung dauert drei Jahre und enthält eine berufspraktische Ausbildung von einem Jahr.

Eine berufsbegleitende Teilzeitausbildung kann in dreieinhalb Jahren abgeschlossen werden. Die Schüler sind in der Regel drei Tage in der Woche in einer sozialpädagogischen Einrichtung angestellt und besuchen zwei Tage die Fachschule. Zusätzlich kann Blockunterricht an Wochenenden erfolgen.

Eine verkürzte Ausbildung ist möglich, wenn Vorkenntnisse vorliegen. Dies trifft zum Beispiel für Sozialpädagogische Assistenten zu. Auch Abbrecher eines pädagogischen Studiengangs haben Chancen auf eine Verkürzung.

Schulgeld wird an den staatlichen Fachschulen in Schleswig-Holstein nicht erhoben, an Fachschulen in privater und freier Trägerschaft dagegen ja.

Beim Modellprojekt QUESTO haben berufserfahrene Frauen und Männer die Möglichkeit, sich in drei Jahren zum staatlich anerkannten Erzieher ausbilden zu lassen. Quereinsteiger erhalten eine Vergütung von mindestens 1250 Euro. 2019 endet das Projekt, wenn der zweite Jahrgang fertig ist. ltr

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Bei Eltern seien männliche Erzieher durchaus gefragt. „Mitunter schicken sie ihr Kind ganz bewusst in meine Gruppe, weil sie wollen, dass ihr Nachwuchs von einem Mann betreut wird“, sagt Andreas Kirsch. „Das ist zum Beispiel manchmal bei alleinerziehenden Müttern so.“

„Männer sind vielleicht ein bisschen entspannter“

Vor allem für Jungen kann der 55-Jährige eine wichtige Bezugsperson sein. „Wir reden viel über Fußball“, sagt der Bayern-München-Fan. Zwischen Frauen und Männern gebe es im Beruf aber keine großen Unterschiede. Kirsch: „Männer sind vielleicht ein bisschen entspannter und lassen auch mal Fünf gerade sein.“

Tatsächlich ergab eine vom Bundesfamilienministerium veröffentlichte Studie, dass männliche Auszubildende und Erzieher den Kindern eher als weibliche Fachkräfte Handlungen zutrauen, die auf den ersten Blick gefährlich erscheinen. So ergaben Interviews, dass Männer die Kinder höher klettern oder auch mal mit der Schere herumrennen lassen. Erzieherinnen schreiten tendenziell schneller ein aus Sorge vor Verletzungen. Männliche Erzieher toben und raufen häufiger mit den Kindern, sind außerdem vielfach für die Haustechnik sowie für Sport- und Bewegungsangebote zuständig.

Therapeutin sieht viele Vorteile in geteilter Betreuung

Maren Broscheit, die in Ahrensburg eine psychotherapeutische Praxis für Kinder und Jugendliche führt, sieht viele Vorteile in der Betreuung durch männliche Erzieher. „Die Kinder lernen schon früh, dass auch ein Mann sie wickelt oder den Tisch deckt“, sagt Broscheit. „Auch für Jungs ist es wichtig zu sehen, dass es sich hierbei nicht um Frauen-Tätigkeiten handelt.“

Männer wirkten aufgrund einer tieferen Stimme und einer anderen körperlichen Konstitution mitunter in ihrer Haltung deutlicher und klarer. Allerdings warnt Broscheit davor, die individuellen Fähigkeiten von Erziehern zu pauschalisieren. Broscheit: „Manche männlichen Erzieher bringen auch viele weibliche Anteile mit und umgekehrt.“

Kinderschutzbund fordert mehr Geld und Anerkennung

Ein Problem sei es, dass der Erzieher-Beruf immer noch nicht genug Anerkennung bekomme, meint Ingo Loeding, Geschäftsführer des Deutschen Kinderschutzbunds in Stormarn. „Männliche Erzieher erhalten noch immer nicht eine ausreichende gesellschaftliche Akzeptanz“, sagt er. Loeding weiß das aus eigener Erfahrung: Nach seiner Lehre als Schifffahrtskaufmann ließ er sich 1976 an einer Hamburger Fachschule zum Erzieher ausbilden.

Andreas Kirsch betreut die Lila-Gruppe gemeinsam mit seiner Kollegin Nicole Gienk
Andreas Kirsch betreut die Lila-Gruppe gemeinsam mit seiner Kollegin Nicole Gienk © HA | Laura Treskatis

Während die Arbeit von Zivildienstleistenden in früheren Jahren oder auch jetzt im Freiwilligen Sozialen Jahr eher akzeptiert werde, erfordere die langfristige Entscheidung für den Beruf weitere Wertschätzung. Loeding: „Wenn Männer mit Jugendlichen und nicht mit kleinen Kindern arbeiten, ist die gesellschaftliche Anerkennung meist sehr viel höher.“

Ein weiteres Problem sieht Loeding in der eher schlechten Bezahlung. „Egal ob Mann oder Frau: Wir benötigen das am besten ausgebildete Personal, wenn es um die Betreuung von Kindern geht“, sagt Loeding. Er spricht sich daher für höhere Gehälter in sozialen Bereichen aus.

Sexuelle Gewaltdelikte sorgen für Unsicherheit

Sexuelle Gewaltdelikte, die Kinder größtenteils durch Männer erfahren, schaffen zudem eine große Unsicherheit in der Gesellschaft. „Hierbei wurde auch immer wieder öffentlich die Rolle von Männern in Kitas thematisiert“, sagt Loeding. Dadurch sei für Männer auch eine höhere Schwelle für den Berufseinstieg geschaffen worden.

In seinem Alltag hat Andreas Kirsch bisher noch keine Nachteile als Mann erfahren müssen. Doch wenn über einen neuen Fall von Kindesmissbrauch durch männliche Erzieher berichtet werde, gebe das auch ihm zu denken. „So etwas ist wirklich furchtbar“, sagt Kirsch.

Exot in der Ahrensburger Kitalandschaft

Noch ist der Grönwohlder mit seiner tiefen Stimme, dem Dreitagebart und der schwarzen Schirmmütze quasi ein Exot in der Ahrensburger Kindertagesstätte. Doch sein Job macht ihm immer noch Spaß, auch wenn sich die Bedingungen in den vergangenen 20 Jahren verändert hätten.

„Beide Elternteile stehen heutzutage unter gesellschaftlichem Druck, berufstätig zu sein“, sagt Kirsch. Das führe dazu, dass die Erziehung heutzutage immer mehr in der Öffentlichkeit stattfinde. „Viele Eltern gehen heutzutage Stresssituationen mit ihren Kindern aus dem Weg“, sagt Kirsch. „Diese Arbeit müssen dann wir übernehmen.“