Glinde. Am Alten Gleisdreieck sollen Wohnungen und Reihenhäuser entstehen. Alle Parteien sind dafür. Doch 300 Bürger wollen die Bäume erhalten.
Seit Montag und noch bis zum 7. April liegt im Glinder Rathaus der überarbeitete Entwurf eines Bebauungsplanes für ein Projekt aus, über das seit drei Jahren gestritten wird. Es trägt den Namen Altes Gleisdreieck. Auf dem 2,1 Hektar großen Areal im Zentrum sollen 89 Wohnungen, davon 62 öffentlich gefördert, und 30 Reihenhäuser entstehen. Alle Parteien sind dafür. Eine Bürgerinitiative mit 300 Mitgliedern möchte das Waldstück hingegen erhalten und hat versucht, die Politiker mit Argumenten zu überzeugen. Vergebens. An ihrem Ziel hält sie weiter fest.
Inzwischen haben sich die besorgten Glinder einen Anwalt genommen und dafür bereits mehrere Tausend Euro bezahlt. Er wird den Entwurf genau unter die Lupe nehmen und prüfen, ob die gesetzlichen Vorschriften eingehalten werden. Schon in der Vergangenheit hatte die Initiative sämtliche Schriftstücke, die von der Verwaltung veröffentlicht wurden, intensiv studiert. 2015 führte sie Beschwerde bei der Kommunalaufsicht, warf der Stadt vor, ein 12.405 Quadratmeter großes Grundstück auf dem Areal unter Marktwert an den Investor Semmelhaack verkauft zu haben. Der musste nachzahlen.
Bürgerinitiative fordert Akteneinsicht
Deshalb wurde noch einmal neu geplant. Denn die ursprünglich vorgesehenen 153 Wohnungen mit 60-prozentigem öffentlich geförderten Anteil wollte Semmelhaack unter den neuen Bedingungen nicht mehr bauen. Der Quadratmeterpreis für das Unternehmen erhöhte sich nach Abendblatt-Informationen von 74 auf rund 130 Euro. Den entsprechenden Grundstückskaufvertrag will Initiativensprecher Michael Riedinger inspizieren, um zu erfahren, wie viel Geld Glinde für die Fläche bekommt. Das lehnt Bürgermeister Rainhard Zug ab, beruft sich auf das Betriebsgeheimnis. Die Initiative hat Klage beim Verwaltungsgericht in Schleswig eingereicht, fordert Akteneinsicht.
Im Februar 2014 hatten Zug und der Investor erste Pläne für das Alte Gleisdreieck präsentiert. Ziel war es, das Areal bis 2016 zu bebauen. Doch das Projekt verzögerte sich nicht nur einmal. Inzwischen liegt der Entwurf für den B-Plan zum dritten Mal aus. „Das dauert viel zu lange. Ich hoffe, dass die Sache jetzt schnell über die Bühne geht“, sagt der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank Lauterbach zum Abendblatt.
Semmelhaack investierte bereits eine halbe Million Euro
Ein Satzungsbeschluss ist frühestens im Juni möglich, der Baubeginn im Oktober. Tritt dieser Fall ein, will Semmelhaack das 20-Millionen-Euro-Projekt innerhalb eines Jahres verwirklichen. Die Firma hat schon rund 500.000 Euro in die Planung investiert. Im Zuge der Wohnbebauung soll die Straße Am Sportplatz auf der Seite des jetzigen Waldes einen Gehweg bekommen. Zudem wird an der Möllner Landstraße ein Kreisverkehr gebaut.
Das Glinder Zentrum hat sich in den vergangenen Jahren stark verändert. Auf dem früheren Bundeswehrdepot entstand das Neubaugebiet Alte Wache, daneben Altenheim und Seniorenwohnungen. Nicht zu vergessen das Mühlencenter, ein Einkaufszentrum mit 6000 Quadratmeter Fläche auf einem ehemaligen öffentlichen Parkplatz. Im April 2016 war die Ex-Kult-Kneipe Filou, ein Anfang des 20. Jahrhunderts erbautes Gebäude, abgerissen worden. Sie wird durch ein Hochhaus ersetzt. Die Arbeiten sind weit fortgeschritten.
Pro: „Wünsche mir in der Diskussion einen anderen Ton“
Glindes Bürgermeister Rainhard Zug (46) sagt über ...
... das Projekt: Die öffentlich geförderten Wohnungen am Alten Gleisdreieck haben für viele Menschen in Glinde, die händeringend bezahlbaren Wohnraum suchen, eine ganz hohe Bedeutung. Eine Warteliste von rund 300 Wohnungssuchenden und der starke Anstieg der Grundstückspreise und Mieten in unserer Stadt belegen die zum Teil prekäre Situation auf dem Glinder Wohnungsmarkt. Das Grundstück war im Flächennutzungsplan stets für die eine Bebauung vorgesehen, bis zum Projektbeginn allerdings für den Gemeinbedarf.
... den Grundstückskaufvertrag: Die Stadt wollte das Grundstück immer zum Marktwert verkaufen – dies ist auf der Grundlage des Grundstückswertgutachtens des Gutachterausschusses des Kreises geschehen. In 2014 wurde das Grundstück als Bauerwartungsland eingeordnet – also als Fläche, die grundsätzlich für eine Bebauung vorgesehen ist, für die aber viele Dinge wie die Erschließung oder die Belastungen noch nicht eindeutig beziffert werden konnten. Ausgangslage war auch, dass das Sonderprogramm Öffentlich geförderter Wohnraum der Landesregierung nur bis zum 31. Dezember 2014 begrenzt war, sodass wir auf diese Einschätzung zeitlich angewiesen waren. Inzwischen wurde das Programm mehrfach verlängert. Durch die Erarbeitung der Verträge, die Hinweise der Kommunalaufsicht und die externe Überprüfung der durch den Investor vorgelegten Kostenschätzungen hat es eine Änderung zum Rohbauland gegeben und damit zu einer Steigerung der Kosten geführt. Auf der Basis des aktuell vorliegenden Wertgutachtens wird der Verkauf nunmehr realisiert. Alle Änderungen sind klar belegbar und juristisch nachvollziehbar.
... das Verhältnis zur Initiative: Dass es unterschiedliche Meinungen über die Entwicklung der Fläche zwischen einigen Anwohnern und der Stadt gibt, liegt in der Sache begründet. Die Schaffung von öffentlich gefördertem Wohnraum für das Gemeinwesen ist dabei größer zu bewerten als die individuellen Interessen am Erhalt der Fläche, die zu keiner Zeit als Waldfläche vorgesehen war. Mit harten Worten müssen die Verwaltung, ich persönlich, aber auch die Politiker in Glinde umgehen, auch wenn ich mir in der Diskussion einen anderen Ton wünschen würde.
... sozialen Wohnungsbau in Glinde: Glinde hatte Anfang dieses Jahres 275 öffentlich geförderte Wohnungen, Tendenz weiter fallend. Politik und Verwaltung müssen sich laufend damit beschäftigen, mehr bezahlbaren Wohnraum zu realisieren. Wir laufen sonst Gefahr, dass sich viele Menschen das Wohnen in Glinde nicht mehr leisten können.
... über die Klage der Initiative: Da ein Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht anhängig ist, kann ich hierzu wenig sagen, ebenso wenig über den Zeitablauf, den das Gericht festlegt. Im Kern der Klage geht es um die Frage, ob die Gutachten und Verträge schützenswerte Daten enthalten oder nicht.
Contra: „Die Geheimniskrämerei muss ein Ende haben“
Initiativensprecher Michael Riedinger (66) sagt über ...
... das Projekt: Damit soll eine der wenigen Waldflächen, die es im Bereich von Wohngebieten in Glinde noch gibt, vernichtet werden. Wir kämpfen für den Erhalt. Der Projektverlauf zeigt, dass die Verwaltung und leider auch die von uns gewählten Politiker dieses Projekt weder inhaltlich noch bauplanungsrechtlich im Griff haben. Zu gravierend sind die Verletzungen von Baurechts-, Umwelt- und Lärmschutzvorschriften, von denen die im Umfeld des Gleisdreiecks lebenden Menschen betroffen sind. Mit der erneuten öffentlichen Auslegung der Planungsunterlagen versucht die Stadt nun schon im vierten Anlauf, diesen B-Plan-Entwurf beschlussreif zu machen.
... den Grundstückskaufvertrag: Es gab einen rechtlich nicht haltbaren Grundstückskaufvertrag mit einem vereinbarten Preis von 74 Euro pro Quadartmeter. Da die Grundstückspreise bereits in 2014 für Mehrfamilienhäuser bei 245 Euro pro Quadratmeter lagen und wir wegen eines möglichen Schadens für die Stadt von über zwei Millionen Euro die Kommunalaufsicht eingeschaltet hatten, musste der Vertrag neu vereinbart werden.
... den Bürgermeister und die Politik: Einfach gesagt: Das Verhältnis ist sehr gestört. Zu sehr hat man versucht, uns als Querulanten und Sozialwohnungsgegner zu verunglimpfen – ohne sich später, als feststand, dass unsere Argumente stichhaltig waren, zu entschuldigen. Unser am 2. Mai 2014 gemachtes Angebot, an Lösungsvorschlägen für die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum mitzuwirken, wurde bereits nach 60 Minuten per E-Mail von Bürgermeister Zug aus Datenschutzgründen abgelehnt. Dies und die vielen Halb- und Unwahrheiten, die man uns vorgesetzt hat, haben das Verhältnis stark beeinträchtigt und zeigen, wie Bürgerbeteiligung in Glinde gehandhabt wird.
... sozialen Wohnungsbau in Glinde: Seit Ende der 50er-Jahre ist der Bestand von rund 1900 öffentlich geförderten Wohnungen auf unter 300 zurückgegangen. In der gleichen Zeit hat sich die Einwohnerzahl auf rund 18.500 nahezu verdreifacht. Und obwohl in den vergangenen zehn Jahren mit der Alten Wache und Olande zwei große Wohnbauprojekte für mehrere Tausend neue Bürger realisiert worden sind, wurde hier nicht eine Sozialwohnung geschaffen. Wer mit offenen Augen durch Glinde geht, sieht, dass es durchaus noch bebaubare Grundstücke gibt. Zum Beispiel im Bereich des Alten Bahnhofs oder gegenüber vom Schützenverein. Aber auch über die vielen landwirtschaftlich genutzten Flächen – etwa im Bereich des Golfplatzes - könnte man sich mal Gedanken machen.
... das weitere Vorgehen: Wir werden weiterhin für den Erhalt unseres Waldes kämpfen – und vor dem Verwaltungsgericht um Akteneinsicht, um unter anderem zu erfahren, zu welchem Preis das Grundstück verkauft werden soll. Die Geheimniskrämerei, die Vernichtung wertvoller Grünflächen und die Verschwendung öffentlichen Eigentums in Millionenhöhe müssen ein Ende haben.