Ahrensburg. In der Bürgerwerkstatt wird weiter am Innenstadtkonzept gearbeitet. Stadtplaner haben dem Abendblatt gezeigt, wo Handlungsbedarf ist.
Sich nicht so gut in einer Stadt auszukennen, kann von Vorteil sein. Denn der unvoreingenommene Blick macht manches sichtbar, was Einheimische nicht mehr wahrnehmen.
Frank Schlegelmilch und seine Kollegin Claudia Dappen schätzen es von Berufs wegen, sich einer zunächst fremden Stadt unbefangen zu nähern. Die beiden sind Stadt- und Raumplaner und arbeiten für das Bremer Büro BPW/baumgart + partner. Ahrensburg haben sie im vergangenen halben Jahr Stück für Stück erkundet. Im Auftrag der Stadt bereiten sie das neue Innenstadtkonzept vor, das durch die Aufnahme Ahrensburgs in das Programm „Städtebaulicher Denkmalschutz“ der Städtebauförderung des Bundes und der Länder möglich wird.
Vor einem Jahr bekam die Stadt die Zusage über ein Investitionsvolumen von etwa 21 Millionen Euro bis 2030, von dem Ahrensburg selbst nur ein Drittel tragen muss. Voraussetzung ist allerdings ein detailliertes Konzept, das über die Förderung von großen Einzelprojekten wie Rathaussanierung oder Neugestaltung der Hamburger Straße hinausgehen und die komplette Innenstadt im Blick haben soll.
BPW hat in diesem Prozess die Aufgabe, verschiedene Fachgutachter, etwa Experten für Verkehr und Barrierefreiheit, einzubinden und mit allen „Innenstadtakteuren“ ein Bild des künftigen Ahrensburgs zu entwerfen. Das Ergebnis soll Denkanstoß sein, die Umsetzung erfolgt erst dann durch Spezialisten, wenn breiter Konsens über die Ziele erreicht ist. „Im Unterschied zu den 70er- und 80er-Jahren geht es bei Stadtplanung nicht mehr um große Leitbilder, sondern es sollen viele Menschen in der Stadt mitgenommen werden. Mit Ortswissen entsteht gute Planung“, sagt Schlegelmilch.
Wichtiger Bestandteil dieser Konsensbildung ist die Bürgerwerkstatt an diesem Sonnabend, 21. November, von 14 bis 18 Uhr im Peter-Rantzau-Haus. Zur Einstimmung hat Frank Schlegelmilch uns gezeigt, wo es in Ahrensburg besonderen Handlungsbedarf gibt.
Rondeel
Schlegelmilch hat das Rondeel als Herzstück der Stadt zum Ausgangspunkt gewählt. Es liegt auf der historischen Achse vom Schloss zur Innenstadt und am Schnittpunkt der Querachse zum Rathaus. Außerdem geht vom Rondeel der „Dreizack“ Manhagener Allee, Hagener Allee und Hamburger Straße aus, der dem dreistrahligen „Gänsefuß“ („patte d’oie“) des französischen Barockgartens aus dem 17. Jahrhundert nachempfunden wurde. Das Rondeel selbst hält der Stadtplaner für einen funktionierenden Begegnungsort mit kleinstädtischem Charakter.
Schlegelmilch schlägt vor, auf dem Rundgang einem Abschnitt Ahrensburgs besondere Aufmerksamkeit zu schenken, der bei der Auftaktveranstaltung zum Innenstadtkonzept im September besonderes Interesse der Bürger weckte. „Der Alte Markt war auf der Karte, auf der die Bürger besonderen Handlungsbedarf markieren sollten, mit ganz vielen roten Punkten versehen worden“, sagt er. „Dieser Bereich hat hohe Priorität, aber auch das, was nördlich davon liegt.“
Südliche Große Straße
Beim Übergang vom Rondeel zur Großen Straße hält Schlegelmilch inne und deutet auf das alltägliche kleine Ahrensburger Verkehrschaos: „Das ist ein Ort, an dem Konflikte programmiert sind. Für Autofahrer ist es uneindeutig, dass hier ein anderer Bereich kommt und sie Rücksicht nehmen müssten. Das müsste durch Gestaltung sichtbar gemacht werden.“
Es folgt ein großzügiger Raum, der südliche Teil der Großen Straße. „Leider wird die tolle Dimension des Platzes nicht erfasst, weil parkende Autos das Bild verstellen. Ungünstig ist auch, dass Radfahrer annehmen, der Fußweg sei ein Radweg. Eigentlich sollte der Radverkehr auf die Straße, die aber durch parkende Autos zu schmal erscheint.“ Positiv bewertet Schlegelmilch die hohe Aufenthaltsqualität mit Kinderspielangeboten, Sitzflächen am Brunnen und Straßencafés.
Nördliche Große Straße
An der Ecke Woldenhorn deutet Schlegelmilch auf die gegenüberliegende Seite, wo sich die Große Straße verengt. „Der Raum verändert sich radikal. Das liegt am stärkeren und lauteren Verkehr. Die Fahrbahn ist breiter, wir sehen den Belag der alten Bundesstraße“, sagt er. Scheinbar Äußerlichkeiten, aber psychologisch wirksam, weil es zu höherem Tempo verleitet. „Wir müssten hier Gestaltungsideen der südlichen Großen Straße aufnehmen, zum Beispiel die Linie des funktionierenden Abschnitts fortsetzen und auf diese Weise die Achse zum Schloss zeigen.“
Hier können Sie die Zukunft der Stadt mitgestalten
Es mache keinen Spaß, hier zu flanieren. „Der Verkehr ist hektisch. Die Leerstände in Geschäftsräumen sind ein Indikator dafür, dass dieser Stadtraum nicht funktioniert.“ Doch Schlegelmilch erkennt auch Ansätze des Erstrebenswerten: das Hotel am Schloss und das Pianohaus Zechlin als alteingesessenes Geschäft. Für wünschenswert hält der Planer an diesem Ort Dienstleister mit geringerer Kundenfrequenz. Voraussetzung dafür wäre aber, dass Fußgänger sich wohler fühlen. Schlegelmilch: „Man muss sich überlegen, wie man den Verkehr etwas beruhigen kann, durch einen anderen Belag oder den Verzicht auf Markierungen in der Fahrbahnmitte, was die Autofahrer zu mehr Vorsicht animieren dürfte.“
Bei der Doppeleiche, Alte Kate
Großes Potenzial sieht der Stadtplaner in der rechtwinkligen Gasse Bei der Alten Kate. „Der Straßenraum ist nicht angemessen für die gut erhaltenen Katen aus dem frühen 18. Jahrhundert. Man sollte von der Großen Straße hier hineingezogen werden.“ Zurzeit erscheint die Gasse aber als unordentliche Parkstraße. Hinter den Katen sind Brachflächen. „Das ganze wirkt wie ein verlorener Ort. Dabei sind gute Ansätze erkennbar. Die gastronomische Nutzung durch den Italiener ist ideal, ebenso der hochwertige Neubau an der Ecke zur Lohe.“ Schlegelmilch sieht hinter den Katen geeignete Flächen für Wohnungsbau. Durch die Ausweisung als Sanierungsgebiet könnte die Stadt Einfluss auf die Gestaltung nehmen. „Die Bebauung muss passen.“
Alter Markt
Die nächste Überraschung wartet am Alten Markt. „Der Schwarzplan des Stadtplaners mit seinen klaren Strukturen zeigt uns, dass der Alte Markt ein quadratischer Platz ist. Aber selbst mit diesem Wissen erkennt man das vor Ort nicht.“ Recht hat er. Der Raum ist so zergliedert, dass er kaum noch als Platz wahrnehmbar ist. Schlegelmilch: „Wir haben störende Materialwechsel und Höhenunterschiede sowie eine dominante Bushaltestelle.“ Er schlägt vor, dass die Fläche durch einheitliche Gestaltung, kluge Beleuchtung und Entschleunigung des Verkehrs wieder in ihrem ursprünglichen Charakter wahrnehmbar werde, damit sie trotz der trennenden Straße wieder als Einheit mit den Kirchengebäuden auf der anderen Seite zu erkennen sei. Und dann überrascht der Planer, indem er einen Standpunkt in der äußeren westlichen Ecke wählt und nach Norden deutet: „Schauen Sie, das hier ist das erste Rendezvous von Innenstadt und Schloss.“ Zurzeit kein romantischer Ort.
Gottesbuden
Die Gottesbuden aus dem 16. Jahrhundert auf der anderen Straßenseite, die „ersten Sozialwohnungen im 16. Jahrhundert“, sind ein kulturhistorisches Kleinod, das im gegenwärtigen Kontext nicht genug gewürdigt wird. Schlegelmilch empfiehlt auch hier bessere Beleuchtung für die Häuserzeilen und Schlosskirche, nicht Lichtkegel, sondern indirekte Komplettbeleuchtung, damit sich nachts alles im rechten Licht zeige. Der Stadtplaner lobt die Belebung der Rasenfläche unter den Bäumen im Sommer mit einem Biergarten des benachbarten Hotels.
Rund um die Schlosskirche
Der Weg führt uns hinter die Schlosskirche. „Das ist ein spannender Ort mit schöner Anbindung an den weitläufigen Park. Man spürt die Historie, wird aber nicht rangeführt oder eingeladen. Gefühlt liegt das hier weit weg von der Innenstadt – was nicht an der Entfernung liegt, sondern an der Gestaltung. „Auch dieser Raum hat viel Potenzial.“
Der Blick fällt auf die Häuserreihe, die gegenüber der Kirche liegt. Schlegelmilch freut sich darüber, dass dort ein Architekturbüro die Möglichkeiten des Standorts erkannt und sein Geschäftshaus mustergültig saniert hat. Sinnigerweise kleben in den Erdgeschossfenstern Plakate, die für die Bürgerwerkstatt werben.
Lübecker Straße
Am Ende der Häuserzeile, wo die Schulstraße als Sackgasse endet, ist gestalterisches Niemandsland erreicht – ein Ort, an dem alles zusammenkommt: Schloss, Park, große Straßen, Weinberg. Hier scheint auch Planer Schlegelmilch etwas ratlos. „Ein seltsamer Ort“, sagt er und wünscht sich einen erkennbaren barrierefreien Übergang zu den zwei Ebenen des Parks. Vorstellbar wäre auch ein Pavillon für eine kleine Gastronomie am Ende der Sackgasse als Fixpunkt.
„Jugendliche wünschen sich, den Park hier als Liegewiese zu nutzen. Dazu bräuchte es ein wenig Infrastruktur und Toleranz, was drin sein sollte: Was gibt es Positiveres als junge Menschen, die hier liegen und auf ihr Schloss blicken? Das schafft Identifikation.“
Bagatelle
Wichtiges Thema ist für Schlegelmilch auch eine bessere Wegeverbindung im Schlosspark. Das beginnt mit den zwei Ebenen an der Bagatelle, die schlecht überbrückt sind. Vorstellbar wäre für den Stadtplaner eine Freitreppenanlage in direkter Achse zum Schlosstor und zum Marstall.
Schloss
Lauter lobende Worte für die Schlossinsel mit dem prächtig sanierten Schloss und der hohen Parkqualität. Dennoch bleibt auch hier Wichtiges zu tun, nämlich die verbesserte Anbindung an den gesamten Schlosspark und an Marstall und Gutshof-Ensemble. Für Letzteres ist die Querung der ehemaligen B75 kein geringes Hindernis. „Der Weg müsste barrierefrei zur Straße geführt werden. Autofahrern müsste durch Gestaltung signalisiert werden, dass dies hier ein besonderer Ort ist.“
Gutshof-Ensemble
Als „Ort in Dornröschenschlaf“ bezeichnet Schlegelmilch das Gutshof-Ensemble hinter dem Marstall. „Hier schlummert großes Potenzial“, sagt der Planer. Trotz unterschiedlicher Eigentumsverteilung und -nutzung haben sich die Strukturen des historischen Gutshofs aus dem 19. Jahrhundert bewahrt. Essenziell ist für Schlegelmilch, dass die Stadt ihr Vorkaufsrecht für den Alten Speicher nutzt, um die Option auf eine Gestaltung in ihrem Sinne zu erhalten. Der Planer denkt hier in größerem Kontext und stellt sich ein kulturell-kommerzielles Konzept vor, von dem auch das Schloss profitieren könnte. Er sagt: „Das Angebot von Antiquitäten und Wein in den privaten Speichern ist eine Nutzung für anspruchsvolle Kunden und passt gut hierher. Stimmig wäre auch der Handel mit Gartenmöbeln, Kunsthandwerk, eine Galerie, Künstlerateliers, ein Café, manches im sanierten Alten Speicher. All das könnte den Charme umgewandelter Industriequartiere wie die Zeisehallen oder der Phönixhof in Hamburg haben. Es würden neue Anlässe für einen Ahrensburg-Besuch geschaffen.“
Fazit
Leicht vorstellbar, dass die 21 Millionen Euro aus der Städtebauförderung bei weitem nicht ausreichen, um alles zu verwirklichen, was die Raumplaner mit ihren Ideen erreichen wollen. Schlegelmilch setzt auf die Eigendynamik eines Konzepts, das die Bürger überzeugt. „Es gibt Erfahrungswerte, die besagen, dass das fünf- bis achtfache einer Förderungssumme investiert wird, weil die staatliche Initialzündung starkes privates Engagement zur Folge hat.“ Vom Erfolg ihres Anstoßes ist seine Kollegin Claudia Dappen fest überzeugt – denn bei ihr, der Ortsfremden, hat der Zauber Ahrensburgs bereits gewirkt: „Mein Blick auf die Stadt hat sich sehr verändert. Ich sehe immer deutlicher, welche Potenziale hier schlummern. Mit überschaubaren Maßnahmen können wir viel gewinnen.“