Reinbek/Kiel. Nach Tod einer 17-Jährigen in Scharnebeck warnen auch Stormarner Suchtexperten. Ein Gespräch mit dem Toxikologen Lars Wilhelm.

Sie werden als Badesalz verkauft oder als Raumluft-Spray: Synthetische Drogen, besser bekannt als Partydrogen. Die wohl bekannteste ist Ecstasy. Allein im Jahr 2008 kamen mehr als 450 neue synthetische Drogen auf den Markt. In Scharnebeck im Kreis Lüneburg starb erst vor wenigen Wochen ein 17-jähriges Mädchen an den Folgen ihres Ecstasy-Konsums. Die Substanzen können auch schwerste psychische Erkrankungen auslösen, die oft unheilbar sind. Deshalb warnen auch in Stormarn Suchtexperten und die Polizei vor dem Gebrauch von Partydrogen.

Polizei-Pressesprecherin Sonja Kurz sagt auf Anfrage der Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn: „2014 hatten wir 519 Rauschgiftdelikte im Kreis.“ Rund sechs Prozent der Straftaten seien unter Einfluss harter Drogen verübt worden. „Außerdem haben rund 15 Prozent der Tatverdächtigen unter Alkoholeinfluss gehandelt.“ Christoph Schmidt von der Sucht- und Drogenberatung Südstormarn in Reinbek sagt: „Wir haben im vergangenen Jahr 364 Klienten betreut. Darunter viele Drogenkonsumenten und knapp 60 Prozent mit Alkoholproblemen.“ 15 Prozent der Klienten seien von Cannabis abhängig.

Fachleute halten die neuen Partydrogen für besonders tückisch

Dass es in der Drogenszene eine negative Entwicklung gibt, stellt auch Juliane Dürkop fest. Sie ist Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein und weiß aus ihrer beruflichen Erfahrung, dass auch auf dem Land Partydrogen eingenommen werden. Zwar sei dies noch nicht so häufig wie das Rauchen von Haschisch, aber sie habe schon junge Patienten gehabt, die Ecstasy konsumiert hätten. Juliane Dürkop warnt denn auch vor den Partydrogen: „Nach neuen Erkenntnissen kann sogar die erstmalige Einnahme von Ecstasy zu einem psychotischen Schub führen.“ Das gefährliche an den Partydrogen sei, dass diese immer wieder neu zusammengemixt würden. „Keiner kennt ihre genaue Zusammensetzung“, warnt Dürkop.

Hans-Georg Hoffmann ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie sowie ärztlicher Leiter der Fachambulanz Kiel. Auch er ist der Meinung, dass die neuen Partydrogen besonders tückisch sind. „Die Drogen können zu spontanen Suiziden führen“, sagt Hoffmann. Er selbst habe schon Patienten betreut, die sich nach der Einnahme von Ecstasy das Leben nehmen wollten. Die Zahl psychischer Erkrankungen und spontaner Suizidfälle durch Partydrogen habe auch in Stormarn zugenommen. Wie die Partydroge Ecstasy zusammengesetzt ist und welche Nebenwirkungen sie hat, darüber berichtet Lars Wilhelm, Facharzt für Toxikologie beim Medizinischen Versorgungszentrum in Geesthacht im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt.

Das sagt der Experte

Dr. Lars Wilhelm untersucht synthetische Drogen
Dr. Lars Wilhelm untersucht synthetische Drogen © Lars Wilhelm | Lars Wilhelm

Hamburger Abendblatt: Dr. Wilhelm, in den vergangenen Jahren hat die Verbreitung synthetischer Drogen auch in Deutschland zugenommen. Das erschreckte viele Eltern, wenn sie es denn wüssten. Was sagen Sie dazu?

Lars Wilhelm: Ja, man muss nur mal bei google den Begriff „legal highs“ eingeben. Dann erhält man 20 Millionen Suchergebnisse. Es gibt aber auch Begriffe wie „neue psychotrope Substanzen“. Das sind so genannte Spice-Substanzen oder auch Badesalz-Substanzen. Diese Sachen kommen als Räuchermischungen, Kräuter, Aromen oder Lösemittel auf den Markt. Darunter zum Beispiel die Gamma Hydroxibuttersäure. Besser bekannt als Liquid Ecstasy oder auch K.O.-Tropfen. Häufig sind diese Substanzen nicht im Betäubungsmittelgesetz hinterlegt.

Wieso setzt der Gesetzgeber dieser Entwicklung so wenig entgegen?

Wilhelm : Das Betäubungsmittelgesetz ist leider noch relativ langsam. Es muss die neuen Substanzen ja erst erfassen und erwähnen. Alternativ könnte noch das Arzneimittelgesetz Regulierungen treffen. Aber die Hersteller synthetischer Drogen wissen, wie sie das Arzneimittelgesetz umgehen können. Zum Beispiel, indem sie auf die Packungen schreiben „Not for human consumption“ – nicht für den menschlichen Gebrauch gedacht! Und dann steht da eben drauf, was man damit alles nicht machen soll: Nicht schnupfen, nicht rauchen, nur zur Raumluftverbesserung. Oder sie verkaufen es als Badesalz. 50 Euro das Gramm. Die Warnungen auf den Verpackungen entsprechen deshalb nicht dem eigentlichen Verwendungszweck.

2014 sind mehr als 100 neue synthetische Drogen aufgetaucht. Wo kommen diese Substanzen her?

Wilhelm : Überwiegend aus China und Indien. Dort werden sie in den Labors von Pharma-Unternehmen entwickelt und voll synthetisiert. Dann kann man sie im Internet kaufen.

Wobei die scheinbar harmlosen Kräutermischungen, die als Cannabis-Ersatz geraucht werden, schlimme Nebenwirkungen haben.

Wilhelm : Ja, wir haben schon viele Fallberichte. Zum Beispiel von einer Gruppe Jugendlicher, die eine solche Kräutermischung konsumiert hatten. Die Patienten wurden mit Delirium, Erinnerungslücken und Krampfanfällen im Krankenhaus behandelt. Einige auch intensivmedizinisch. Wir haben später festgestellt, dass die Jugendlichen das so genannte „MDMB-CHMICA“ konsumiert hatten. Eine neue Substanz, die im August 2014 erstmals in Europa nachgewiesen wurde und eine erhebliche pharmakologische Potenz hat.

Das klingt ja gruselig.

Wilhelm : Ja, wir haben dazu auch einen Bericht eines Konsumenten harter Drogen, der MDMB-CHMICA genommen hat. Der hatte sich gedacht: Natur ist Natur. Das kann mir nichts anhaben. Ich rauche jetzt mal ´ne schöne Kräutermischung. Doch das Resultat war ein anderes. Die Nebenwirkungen seien wirklich übel gewesen. Nichts hätte ihn so zerstört wie diese synthetischen Cannabinoide – noch nicht mal das Heroin. Und das ist eine Aussage, die muss man sich einmal auf der Zunge zergehen lassen.

Welche Nebenwirkungen hatte das MDMB-CHMICA denn bei diesem Dauerkonsumenten?

Wilhelm : Im Vergleich zu der Jugendgruppe, die schon notfallmedizinisch behandelt werden musste, kommen bei Dauerkonsumenten noch ganz andere Effekte hinzu. Vor allem starke Depressionen. Die Patienten nehmen auch erheblich ab, weil sie es nicht mehr zum gefüllten Kühlschrank schaffen. Durch die Einnahme dieser Substanz hat es im Raum Neuwied/Koblenz sechs Todesfälle gegeben.

Trotzdem wird mit dem Verkauf dieser neuen Cannabinoide ein Riesengeschäft gemacht.

Wilhelm : Ja, im Januar wurden zum Beispiel in Luxemburg 40 Kilogramm dieses MDMB-CHMICA gefunden. Das sind 6,4 Millionen Konsumeinheiten. Diese waren in kleine Tütchen verpackt – mit einem Gesamtwert von etwa 20 Millionen Euro. Diese Lieferung war zwar für Portugal bestimmt. Aber wir müssen davon ausgehen, dass auch in Deutschland einiges davon auf dem Markt ist. Mittlerweile kommen ja auch die ersten synthetischen Cannabinoide als Zusätze in Liquids für E-Zigaretten auf den Markt.

Manchmal stehen auf den Packungen der neuen Drogen sogar „Qualitätsangaben“. Was ist davon zu halten?

Wilhelm : Wir haben schon einige Einsendungen sogenannter Spice-Zubereitungen bei uns untersucht. Zum Beispiel das „Buddha Gold“. Da war überhaupt nicht drin, was auf der Packung stand. Der Konsument hat ohnehin keine Chance. Ohne Rezept wird aus China geliefert. Heutzutage muss man zum Drogenkauf nicht mehr zwingend nach St. Georg oder an den Hauptbahnhof. Aber: Die meisten dieser synthetischen Drogen wurden noch nicht mal in Tierversuchen getestet. Das heißt: Es startet hier ein riesiger Versuch mit Menschen, wie diese Substanzen wirken.

Trotzdem ist es für Sie als Wissenschaftler auch eine Gratwanderung, wenn Sie über Drogen aufklären. Dadurch könnte erste Neugierde geweckt werden?

Wilhelm : Ja, das ist auf jeden Fall ein Problem. Ich überlege dann: Ob ich die Informationen lieber hinter dem Berg halten soll, oder versuche mit gebündelter Information aufzuklären. Vor allem, um junge Menschen zu warnen, lieber die Finger von diesem Zeug zu lassen. Letztlich denke ich, dass auch Jugendliche durchaus ein Problembewusstsein haben oder entwickeln können und sich nicht schädigen wollen. Das will selbst der Heroin-Konsument nicht. Wir können deshalb nur mit Prävention weiter kommen, um die Jugendlichen zu schützen. Aber auch Eltern und Schulen sollten wissen, was da vor sich geht. Mit Panik ist jedoch auch niemandem geholfen.