Im Prozess um Vergewaltigungen in Reinbek schildert eine junge Frau, wie sie um ihr Leben fürchtete. Täter steht vor Landgericht.
Lübeck/Reinbek. Es war das Gefühl von Macht, das Stephan H. gesucht hat, als er seine Opfer würgte, entführte und vergewaltige. Seit gestern muss sich der mutmaßliche Vergewaltiger von Reinbek vor dem Landgericht in Lübeck verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, zwischen März 2010 und April 2011 eine Frau vergewaltigt zu haben. Zwei weitere Versuche seien in letzter Sekunde gescheitert.
Der 28 Jahre alte Angeklagte sagt vor Gericht, er könne sich an die Taten nicht mehr erinnern. "Ich weiß nur noch, wie plötzlich mehrere Polizisten mich zu Boden drückten und ich verhaftet wurde", sagt der Mann mit den geröteten Wangen und dem blonden, streichholzkurzen Haar. Die Ärmel seines dunkelgrünen Pullovers sind über die Ellenbogen hochgezogen, seine Hände liegen gefaltet vor ihm.
Stephan H. sitzt mit erhobenen Haupt vor seinem laut Anklage ersten Opfer, schaut es mit leeren Blicken an. Auch als die Staatsanwältin die grausigen Details der Tat verließt und der jungen Frau immer wieder Tränen über die Wangen laufen, zeigt der Wentorfer keinerlei Gefühlsregung.
Es ist der 28. März 2010. Die damals 21 Jahre alte Hamburgerin verlässt an diesem Sonntag gegen 5.30 Uhr die Ü-30-Party im Reinbeker Sachsenwald-Forum. Sie möchte nach Hause und macht sich auf den Weg zum nur wenige Hundert Meter entfernten Bahnhof. Kurz bevor sie dort ankommt, wird sie plötzlich von einem Mann in den Würgegriff genommen. "Schrei nicht, sonst stirbst du", droht der Triebtäter. Er zerrt sie hinter ein Blumengeschäft und fordert sie auf, ihre Hose auszuziehen.
Die Hamburgerin hat Angst um ihr Leben, folgt den Anweisungen. Stephan H. vergeht sich laut Anklage zum ersten Mal an der Frau. Doch der Ort scheint ihm zu gefährlich. Er könnte entdeckt werden, zumal die Polizeiwache auf der anderen Straßenseite liegt. Sein Opfer, das er immer noch im Schwitzkasten hält, zerrt er an die Gleise. Hinter einer Lärmschutzwand fordert er die Frau auf, sich ganz auszuziehen, und vergeht sich erneut an ihr. Die Frau hat Todesangst und will nicht sterben. Sie spielt dem Vergewaltiger vor, an den Taten Gefallen zu finden. "Nun war sie für ihn nicht mehr interessant, und er ließ von ihr ab", heißt es im Anklagevorwurf.
Bevor Stephan H. flüchtet, will er von der 21-Jährigen Geld. Als sie sagt, dass sie keins bei sich hat, schlägt H. ihr mit der Faust ins Gesicht. Er schnappt sich die Handtasche und zwingt die Frau, ihm die PIN ihrer EC-Karte zu verraten. Zudem will er die Unterwäsche und die Jeans der Frau haben.
"Ich weiß jetzt, wo du wohnst. Also komm ja nicht auf die Idee, zur Polizei zu gehen. Ich bringe dich dann um", soll er gesagt haben, bevor er flüchtete. Sie solle sich die nächsten 15 Minuten nicht von der Stelle bewegen. Ein Komplize säße im Gebüsch und würde sie sonst erschießen.
Eine halbe Stunde sitzt die nur mit einem T-Shirt bekleidete Frau an den Gleisen, bevor sie zum Bahnhof geht. Dort entdecken sie zwei Männer, die die Polizei alarmieren.
Ein Jahr später, am 20. März 2011, verlässt eine 38-Jährige gegen 3.30 Uhr die Ü-30-Party. An der Kirchenallee wird sie plötzlich in den Würgegriff genommen. Die Frau wehrt sich, schreit. Doch der 1,88 Meter große und 105 Kilogramm schwere Mann zerrt sie über die Straße und schlägt sie. Vergeblich versucht sie, sich an Autos und Zäunen festzuhalten. H. drückt so fest zu, dass sie keine Luft mehr bekommt. Plötzlich kommt zufällig ein Streifenwagen um die Ecke. H. flüchtet.
In der Nacht zum 29. Mai 2011 setzten die Beamten mehrere Lockvögel in der Nähe des Sachsenwald-Forums ein. Es ist wieder ein Sonntagmorgen. An der Klosterbergenstraße nimmt H. eine Zivilpolizistin in den Würgegriff. Sofort sind ihre Kollegen zur Stelle und nehmen ihn fest. Eine DNA-Untersuchung wird einige Tage später beweisen, dass Stephan H. auch der Peiniger der 21 Jahre alten Hamburgerin ist.
All diese Details nimmt er regungslos zur Kenntnis. Nur einmal zeigte er eine Gefühlsregung. Als seine 29 Jahre alte ehemalige Lebensgefährtin im Zeugenstand Platz nimmt, lächelt er sie an. Bis zu seiner Verhaftung hat er mit ihr und ihrer Tochter in Wentorf gelebt. Beide schreiben sich bis heute Briefe, sie besucht ihn im Gefängnis. Im Zeugenstand redet sie nicht schlecht über H. Er sei ihr gegenüber nie gewalttätig geworden. Auch habe sie nichts von seiner umfangreichen Pornosammlung gewusst, die die Polizei auf dem Computer gefunden hatte.
Eine Vergewaltigung vom Februar 2010, die die Polizei ihm ebenfalls vorwirft, wurde von der Staatsanwaltschaft wegen unzureichender Beweise nicht in die Anklage aufgenommen.