Der Mann, der wegen Vergewaltigung in Reinbek angeklagt wird, war stolz auf die Familie, ein freundlicher Nachbar und zuverlässiger Kollege.
Reinbek/Wentorf. Die pinkfarbene Schultüte ist beinahe so groß wie das Mädchen, das sie fest umklammert hält. Rechts davon ein Mann in Vaterrolle. Links die Mutter des Kindes, eine schöne Blonde mit langen Haaren. Sie lächeln an diesem Tag das Lächeln der Bürgerlichen. Eine Familie, bei der Einschulung in trauter Dreisamkeit vereint - so sieht perfektes Glück aus. Kurz darauf veröffentlicht Stephan H., der Mann in Vaterrolle, diesen Schnappschuss aus einem Klassenzimmer im Internet. Er muss stolz gewesen sein.
Stolz auf eine Illusion: Als das Foto entstand, hatte Stephan H. schon mindestens eine Frau vergewaltigt.
Ist er sich dessen wohl bewusst, als er an jenem Sommertag in die Kamera lächelt? Denkt er jetzt in seiner Gefängniszelle womöglich an diese Zeit zurück, als ihn alle für einen freundlichen, liebenswerten, fleißigen Mitmenschen gehalten haben? Seit Freitagabend sitzt Stephan H. in Untersuchungshaft, seine neue Adresse lautet Lübeck-Lauerhof.
"Er stand auf aufgemotzte Autos", sagt ein Nachbar
Polizei und Staatsanwaltschaft halten den 28 Jahre alten Wentorfer für den lange gesuchten Triebtäter von Reinbek; ein DNA-Abgleich lässt kaum Zweifel daran zu (wir berichteten). Mit seiner Festnahme hat die Polizei auch einen Schlussstrich unter ein Doppelleben gezogen.
Hochparterre rechts. Hier hat Stephan H. gelebt. Das Wohngebiet liegt am äußersten Rand der Gemeinde Wentorf. Die Rotklinker-Mehrfamilienhäuser stehen diagonal zu einer Sackgasse auf weitläufigen Rasenflächen. Es wäre ein ruhiger Ort, rauschten nicht auf der parallel zur Sackgasse hinter einem Knick verlaufenden Wentorfer Ortsumgehung unablässig Autos vorbei. Die Bewohner der Mietshäuser sind stolz auf ihre kleinen Idylle im Grünen. Das sei schon was, hier zu wohnen, sagt eine Nachbarin, "das ist nicht so wie in Hamburg-Billstedt".
Seit zwei Jahren wohnten Stephan H., seine 28 Jahre alte Lebensgefährtin und die kleine Tochter dort. "Er ist ein ruhiger, freundlicher Mann", sagt eine Nachbarin, "beinahe ein bisschen schüchtern." Nur mit der Mülltrennung habe es bei Familie H. nicht so gut geklappt, fügen Nachbarn hinzu. Darauf werde sonst sehr geachtet. Auffällig seien die Autos des Herrn H. gewesen, die auf dem Parkstreifen vor den Häusern gestanden haben. "Mal ein dicker Audi-Kombi, mal ein Porsche, mal ein Geländewagen", sagt ein Nachbar, "er stand auf aufgemotzte Autos." Im Internet können Besucher einer Autoplattform einen getunten Golf III GTI bewerten, von dem Stephan H. ein Foto ins Netz gestellt hat. Auch auf seine Wagen ist er offenbar sehr stolz gewesen.
Der 28-Jährige hat hart dafür gearbeitet, jahrelang in derselben Firma. Sein Job war in der Produktion in der Fleischbranche. "Einer meiner besten Mitarbeiter", sagt der Chef, "immer zuverlässig, immer engagiert." Und mit einem lockeren Spruch auf den Lippen. "Man konnte mit ihm prima über Autos reden", sagt der Firmeninhaber, "er hat oft von den VW-Treffen erzählt, zu denen er am Wochenende gefahren ist."
Bei der Arbeit hat er nie gefehlt - bis zur Festnahme
Stephan H habe nie gefehlt. Jedenfalls nicht bis zu dem Montag vor einer Woche, der den Anfang vom Ende des Doppellebens markierte.
In der Nacht zu Sonntag war H. um halb vier festgenommen worden. Er hatte an der Reinbeker Klosterbergenstraße eine Frau von hinten angefallen, zu Boden gedrückt und in den Schwitzkasten genommen. Auf diesen Moment hatten die Ermittler der Reinbeker Kriminalpolizei offenbar lange gewartet, ja damit gerechnet. Im Sachsenwald-Forum, durch eine Grünanlage hindurch nur gute 200 Meter vom Tatort entfernt, lief die beliebte Ü-30-Party - genau wie am 28. März 2010, als eine Frau nach der Disconacht vergewaltigt worden war. Am Sonntag vor einer Woche waren etliche Zivilfahnder in Reinbek unterwegs. H. wurde festgenommen.
Er gestand nichts. Ihm wurde eine Speichelprobe entnommen, dann kam er wieder auf freien Fuß.
Am Montag fehlte er erstmals in der Firma. "Wir haben ihn sofort beurlaubt, als wir von der Festnahme erfahren haben", sagt der Chef.
Wusste Stephan H. bei seiner Freilassung, dass DNA-Tests nahezu unfehlbar sind? Ahnte er, dass seine Freiheit nur noch vorübergehend sein würde? Im Endeffekt währte sie viereinhalb Tage. Dann kamen Polizisten und führten ihn aus seinem kleinen, bürgerlichen Leben ab. Zurück bleiben ein siebenjähriges Mädchen und eine blonde Frau mit langen Haaren. Das Lächeln ist aus ihrem Gesicht gewichen, dunkle Augenringe sind an seine Stelle getreten. "Ich bin enttäuscht", sagt sie. "Sehr, sehr enttäuscht."