Lübeck/Todendorf. Landgericht Lübeck verurteilt Drogenkurier zu sechs Jahren Haft. 37-Jähriger war perfekt vorbereitet – bis auf eine Unstimmigkeit.

Rund 360.000 Euro war die Fracht wert, die Hendrik S. (Name geändert) in seinem Auto versteckt hatte. Knapp 13 Kilogramm Kokain sollte der 37-Jährige zum Weiterverkauf nach Norwegen bringen. Doch da kam er nie an. Stattdessen endete die Fahrt für den Niederländer im Gefängnis.

Wegen Einfuhr sowie Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln wurde S. jetzt vor dem Landgericht Lübeck zu sechs Jahren Haft verurteilt. Am 11. August 2022 war der 37-Jährige dem Zoll bei einer Routinekontrolle auf dem Rasthof Buddikate an der Autobahn 1 bei Todendorf ins Netz gegangen. Seitdem sitzt er in Untersuchungshaft. Zum Verhängnis wurde ihm eine Kleinigkeit.

Kiloweise Kokain im Auto: Detail lässt Schmuggler auffliegen

Es war bereits das zweite Mal, dass der Fall in Lübeck verhandelt wurde. Das erste Urteil von Mitte Februar – es lautete auch damals sechs Jahre Gefängnis – hatte der Bundesgerichtshof (BGH) Anfang Mai aufgehoben. Zuvor hatte S. gegen die Entscheidung Revision eingelegt.

Die damals zuständige VII. Große Strafkammer des Landgerichts habe die hohe Haftstrafe mit der Annahme begründet, dass S. Kenntnis davon hatte, dass er eine große Menge einer vergleichsweise harten Droge transportierte. Die Kammer habe aber nicht ausreichend ausgeführt, worauf diese Festellung fuße, urteilte der 5. Strafsenat des BGH. Die Leipziger Richter ordneten deshalb an, dass der Fall vor einer anderen Kammer des Landgerichts neu verhandelt werden muss.

Verkehrsüberwachungssysteme registrierten den Peugeot

Insgesamt zehn Päckchen mit jeweils etwas mehr als einem Kilogramm Kokain hatten die Beamten in dem unscheinbaren, schwarzen Peugeot 3008 von Hendrik S. entdeckt. Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass der 37-Jährige den aufwendig präparierten Wagen mit den Drogen am Morgen des 11. August im niederländischen Utrecht von unbekannten Auftraggebern übernommen hatte.

Von dort soll er über Amsterdam und Groningen gefahren und bei Bunde (Niedersachsen) nach Deutschland eingereist sein. Das belegen Verkehrsüberwachungssysteme, die das Kennzeichen des Peugeot registrierten. Über die A28 und die A1 habe der 37-Jährige seine Fahrt fortgesetzt und beabsichtigt, von Rostock aus die Fähre nach Trelleborg (Schweden) zu nehmen und anschließend weiter nach Norwegen zu fahren.

Mittels Scheinanschrift verschaffte sich Bande ein deutsches Kennzeichen

Damit die Kurierfahrt gelingt, sollen S. und seine Komplizen, die während der Ermittlungen nicht identifiziert werden konnten, erheblichen Aufwand betrieben haben. Nicht nur bauten sie den Peugeot um, um in einem Hohlraum zwischen Radkasten und Kotflügel die Drogenpakte zu verstecken. Sie sollen dem 37-Jährigen auch eine Scheinanschrift in Peine (Niedersachsen) verschafft haben.

Ziel sei es gewesen, ein deutsches Kennzeichen für das Auto zu bekommen, weil niederländische Fahrzeuge mit größerer Wahrscheinlichkeit kontrolliert würden. Falls er doch ins Visier des Zolls geraten sollte, sollte sich S. als Fahrradurlauber mit dem Ziel Schweden ausgeben. Um die Tarnung perfekt zu machen, habe der 37-Jährige ein Fahrrad samt Equipment und Reisetasche im Auto gehabt.

Zunächst wirkte der Niederländer auf die Zöllner nicht verdächtig

Als der Niederländer gegen 23.40 Uhr auf den Rasthof fuhr, sei er sodann auch zunächst nicht verdächtig gewesen, so eine Zollbeamtin vor Gericht. Es habe sich um eine Routinekontrolle gehandelt. „Wir haben uns unterhalten, er hat mir von den Problemen mit seiner Ex-Freundin erzählt und dass er in Schweden den Kopf frei bekommen möchte.“

Doch in der Umhängetasche des 37-Jährigen hätten sie einen kleinen Umschlag mit einer kleinen Menge weißen Pulvers gefunden, das sich kurz darauf als Kokain herausgestellt habe. Ob es zum Eigenkonsum oder für einen Käufer bestimmt war, blieb in dem Verfahren offen.

Ein kleines Detail lässt den Drogenschmuggel auffliegen

Daraufhin hätten sie den Peugeot noch einmal genauer unter die Lupe genommen. Dazu hätten sie den gesamten Wagen mit einem Spezialfahrzeug geröntgt und Unstimmigkeiten im Bereich der Kotflügel festgestellt. Ein kleines Detail sorgte dafür, dass der Drogenschmuggel aufflog.

„Mit einer Hohlraumsonde haben wir am rechten vorderen Radkasten eine Schraube entdeckt, die da normalerweise nicht ist“, sagte die Zöllnerin. Hinter einer Klappe sei das Versteck mit den Drogenpäckchen zum Vorschein gekommen. Diese seien als Kaffeepakete getarnt gewesen.

Angeklagter bestreitet, von Menge der Drogen gewusst zu haben

Hendrik S. ließ über seinen Verteidiger Frank-Eckhard Brand eine Erklärung verlesen, in der er die Tat einräumte. Allerdings habe er nicht gewusst, welche Drogen genau er in welcher Menge transportiert habe. Für die Fahrt habe er 2500 Euro von den Hintermännern bekommen.

„Hätte ich gewusst, dass es sich um harte Drogen in dieser Menge handelt, hätte ich die Fahrt nie angetreten, das Risiko wäre mir viel zu hoch gewesen“, so der 37-Jährige. Nachfragen des Gerichts beantwortete der Niederländer nicht.

Ermittler sät Zweifel an der Darstellung des 37-Jährigen

Ein Ermittler des Zollfahndungsamtes Hamburg säte erhebliche Zweifel an dieser Version der Ereignisse. Bei der Auswertung des iPhones von Hendrik S. waren demnach zahlreiche Chats entdeckt worden, die mit hoher Wahrscheinlichkeit im Zusammenhang mit Drogengeschäften stehen. Auch seien auf dem Handy Fotos von Drogen, mutmaßlich Kokain, gefunden worden.

„In den Chats wurde eine Fahrrad-Legende thematisiert, die der Angeklagte nutzen wollte, falls er kontrolliert würde“, so der Ermittler. Gespräche mit dem Vermieter der Wohnung in Peine, in der S. angeblich lebte, hätten ergeben, dass dieser dort nie eingezogen sei.

Gegen den Niederländer liegt ein internationaler Haftbefehl vor

Wie die Vorsitzende der I. Großen Strafkammer, Gesine Brunkow, informierte, liegt gegen Hendrik S. zudem ein internationaler Haftbefehl im Zusammenhang mit Betäubungsmittelgeschäften vor. Auch dabei sollen Kokain und Heroin eine Rolle gespielt haben. Die dänischen Behörden ermitteln demnach wegen 31 Tatvorwürfen zwischen Januar und August 2022 und haben ein Rechtshilfeersuchen an ihre deutschen Kollegen übersandt. Noch gebe es im nördlichen Nachbarland aber keine Anklage.

Letztlich sah die Staatsanwaltschaft in ihrem Plädoyer keinen Anlass, die sechsjährige Haftstrafe nach unten zu korrigieren. Die Verteidigung hingegen argumentierte, es gebe weiterhin keine Belege dafür, dass S. in diesem konkreten Einzelfall wusste, welche Fracht genau er transportierte. „Chats und Fotos aus der Vergangenheit ohne Bezug zur angeklagten Tat sind kein Beweis“, so Brand.

Gericht folgt mit Urteil der Forderung der Staatsanwaltschaft

Andere Tatvorwürfe müssten von diesem konkreten Fall abgegrenzt betrachtet werden und dürften nicht in die Entscheidungsfindung einbezogen werden. „Es gibt keinen Beleg, dass mein Mandant die Drogenpakete jemals in der Hand hatte“, so der Verteidiger. Sechs Jahre Haft seien „deutlich zu hoch gegriffen“.

Das Gericht folgte letztlich der Staatsanwaltschaft. „In der Rechtsprechung muss man nicht genau wissen, welche Mengen welcher Betäubungsmittel transportiert werden. Es reicht, damit zu rechnen“, sagte die Vorsitzende Brunkow. Der große Aufwand, der betrieben worden sei, die Kurierfahrt zu tarnen, die vergleichsweise hohe Bezahlung, die der 37-Jährige erhalten sollte – „es sprach viel dafür, dass es sich nicht um eine kleinere Menge einer weniger gefährlichen Droge handelt“, so Brunkow.

Der Angeklagte kann gegen das Urteil erneut Revision einlegen

S. habe zumindest billigend in Kauf genommen, Drogen jeder Art und Qualität zu transportieren. „Wir verhandeln zwar in einem konkreten Einzelfall, aber die Handy-Chats legen nahe, dass Sie sehr viel tiefer in den Betäubungsmittelhandel verstrickt sind, als sie zugegeben haben“, so die Richterin. Insofern überzeuge auch die Erzählung von dem Fahrrad-Urlaub nicht.

„Sie haben die Tat zwar eingeräumt, aber alle Feststellungen, die sich daraus ergeben, hätten sich auch ohne Weiteres aus den Ermittlungen ergeben“, sagte die Vorsitzende. Von daher könne das Teilgeständnis nicht maßgeblich strafmildernd ins Gewicht fallen. Gegen das Urteil kann S. binnen einer Woche erneut Revision einlegen.