Lütjensee. Werbeagentur aus Mannheim zockt Lütjenseer Unternehmen mit Sponsoring-Verträgen ab. Doch ist das Geschäftsmodell legal?
Dutzende Unternehmen in Lütjensee und Umgebung sind betroffen: Die Mannheimer Werbeagentur s-p Media wirbt derzeit für Sponsoren für einen Defibrillator, der in der Tymmo-Kirche in der Gemeinde installiert werden soll. Wie berichtet, ist das, was sich zunächst nach einer lobenswerten Initiative anhört, in Wirklichkeit eine dreiste Abzocke.
Die Unternehmer sollen einen Platz für eine Werbeanzeige auf einer „Lebensrettungstafel“ buchen, die neben dem Gerät angebracht wird. Nicht nur sind die Preise dafür astronomisch – je nach Anzeigengröße sollen die Gewerbetreibenden zwischen 1200 und 1900 Euro zahlen –, auch lässt sich der Vertrag mit der Mannheimer Firma nur schwer kündigen. Nach drei Jahren Laufzeit verlängert er sich automatisch zu denselben Konditionen.
Lütjensee: Defibrillator-Abzocke ist laut Wettbewerbszentrale legal
So ergibt sich bei mehreren angefragten Firmen schnell eine fünfstellige Summe, obwohl ein Defibrillator des Herstellers Philips, wie ihn s-p Media für die Lütjenseer Kirche anschaffen möchte, bereits ab 1300 Euro zu haben ist. Mehrere Unternehmer erzählten im Gespräch mit unserer Redaktion, wie zwei Männer sie seit Mitte Mai im Auftrag der GmbH aus Mannheim in ihren Geschäftsräumen aufsuchten und zum Abschluss eines Vertrages drängten. Teilweise erfolgte die Kontaktaufnahme auch am Telefon.
In vielen Fällen wurden die Gewerbetreibenden misstrauisch, doch einige ließen sich auch überrumpeln in dem Glauben, Gutes zu tun, darunter der Bauunternehmer Sven Otto, der in Lütjensee eine Sanitärfirma führt. Inzwischen hat er seine Unterschrift widerrufen. „Aber ob wir da wieder rauskommen, wissen wir noch nicht“, sagt Otto. Denn in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Kontraktes heißt es, dass s-p Media auch bei einer vorzeitigen Kündigung die vereinbarte Vergütung verlangen kann. Ein Widerrufsrecht gibt es nicht.
Nachteiliger Vertrag ist Gegenstand des unternehmerischen Risikos
Doch ist das Vorgehen der Mannheimer Firma legal? Ja, sagt Martin Bolm, Rechtsanwalt bei der Zentrale zur Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs. Der Verein mit Sitz in Bad Homburg bei Frankfurt am Main berät seine Mitglieder in Fragen des wirtschaftlichen Wettbewerbs. „Nur weil ein Vertrag für eine Partei möglicherweise wirtschaftlich ungünstig ist, ist er nicht auch unwirksam“, so der Hamburger Fachanwalt.
Ob ein Unternehmer einen für ihn möglicherweise nachteiligen Vertrag schließe, sei Gegenstand seines eigenen unternehmerischen Risikos. Das deutsche Rechtssystem sehe an dieser Stelle den Grundsatz der sogenannten Vertragsfreiheit vor. Auch die Tatsache, dass der Vertrag, den s-p Media den Lütjenseer Firmen vorlegt, keine Widerrufsfrist kennt, sei rechtlich nicht angreifbar.
Gewerbetreibende müssen Werbung an der Haustür explizit untersagen
„Ein Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Verträgen steht nur Verbrauchern zu, nicht auch Unternehmern“, erklärt Bolm. Bei Haustürgeschäften ist für Privatpersonen eine Widerrufsfrist von 14 Tagen gesetzlich festgelegt.
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Auch das Werben an der Haustür selbst sei nicht per se verboten. „Eine Haustürwerbung gegenüber Unternehmern ist nur dann unzulässig, wenn dieser zuvor ein erkennbares Verbot ausgesprochen hat“, sagt Bolm. Und lasse sich ein Gewerbetreibender unter Missachtung des von ihm selbst ausgesprochenen Verbotes doch auf einen Vertragsschluss an der Tür ein, sei dieser gültig.
Telefonwerbung ist ohne Einwilligung unzulässig
Anders sieht es bei der Kontaktaufnahme am Telefon aus. „Telefonwerbung gegenüber Unternehmern ist nur mit zuvor erklärter tatsächlicher Einwilligung oder mutmaßlicher Einwilligung zulässig“, so der Experte der Wettbewerbszentrale. Eine mutmaßliche Einwilligung liege vor, wenn der Werbende „bei verständiger Würdigung der Umstände“ annehmen durfte, der Angerufene erwarte einen solchen Anruf oder werde ihm jedenfalls aufgeschlossen gegenüberstehen. „Das muss im Einzelfall festgestellt werden“, sagt Bolm.
Die Evangelisch-Lutherische Kirchengemeinde Lütjensee hatte Anfang 2019 eine Vereinbarung mit s-p Media geschlossen. „Damals hat dieses Unternehmen erstmals schriftlich Kontakt zu uns aufgenommen und angeboten, uns bei der Finanzierung eines Defibrillators zu unterstützen“, sagt Pastor Jörg Denecke. Das Konzept habe „vernünftig“ geklungen. Mit den Details hatte sich die Gemeinde damals offenbar nicht befasst. So konnte s-p Media jetzt mit einem Informationsschreiben mit der Signatur des Pastors auf Sponsorensuche gehen.
Werbeagentur lehnt eine Stellungnahme zu den Vorwürfen ab
Inzwischen hat die Kirchengemeinde bei der Werbeagentur um die Auflösung des Vertragsverhältnisses gebeten und sich rechtlichen Beistand geholt. Es werde geprüft, welche Möglichkeiten man habe, die Vereinbarung zu kündigen. „Wir geben dem Unternehmen zuerst die Möglichkeit zu reagieren, bevor wir überlegen, wie wir uns weiter verhalten“, sagt Denecke. s-p Media lehnt eine Stellungnahme ab.