Reinbek. Mehr als 1500 Fälle im Jahr allein im Kreis Stormarn angezeigt. Die Polizei verrät, wie die Straftäter vorgehen.
Der Preis für die seltenen Nike Turnschuhe war einfach zu verführerisch. Statt für 200 Euro wurden sie beim Portal Ebay Kleinanzeigen 60 Euro günstiger angeboten. Der 15-jährige Sohn drängelte, dass er die Schuhe unbedingt haben wollte. Die Mutter war skeptisch, insbesondere weil die Verkäuferin aus Berlin darauf beharrte, den Kauf über das Bezahlportal Paypal Friends ohne Käuferschutz auf ein ausländisches Konto abzuwickeln. Am Ende behielt die Mutter Recht: Die Schuhe kamen nie an, das Geld war weg, und der Ausweis, den die Verkäuferin zuvor abfotografiert hat, gehörte einer unbescholtenen Person.
Betrug im Internet: Je verlockender der Preis, desto mehr Vorsicht ist geboten
Solche und ähnliche Fälle landen täglich auf dem Schreibtisch des leitenden Kripobeamten Andreas Siemers im Reinbeker Revier. „Betrugsfälle im Internet nehmen mittlerweile einen großen Anteil unserer Ermittlungsarbeit ein“, sagt der 56-jährige Stormarner. Besonders viele werden Opfer auf dem Online-Flohmarkt. Oft nicht ganz unschuldig: „Ich warne eindringlich davor, fremden Menschen Geld ohne Käuferschutz zu senden. Bei Käufen im Internet sollte der Kopf eingeschaltet bleiben, insbesondere wenn der Preis allzu verlockend ist“, sagt Siemers. Allein am Donnerstag gingen sieben Anzeigen für Onlinebetrug beim Reinbeker Revier ein, in dessen Zuständigkeitsbereich auch Oststeinbek, Glinde, Barsbüttel, Aumühle und Wentorf gehören.
„Viele Betrüger nutzen die Anonymität des Portals und die Unbedarftheit der Käufer aus und verkaufen Artikel, die es nicht gibt oder ein- und denselben Artikel mehrfach“, sagt Siemers. Die Bandbreite bei den Opfern ist genauso groß wie die der gekauften Artikel – darunter sind viele technische Geräte wie Mobiltelefone und Kopfhörer, aber auch Markenklamotten, Computerspiele und Tickets für den HSV. So gab es während der Fußball-WM eine Welle von Anzeigen von Käufern von FIFA-Konsolenspielen, die zwar bezahlt waren, aber nie ankamen.
Täter legen sich unter falscher Identität ein Konto zu
2020 wurden in den Stormarner Polizeirevieren insgesamt 1205 Anzeigen für Betrugsfälle im Internet aufgenommen, 2021 waren es schon 1544. „Die Tendenz ist steigend, und gefühlt haben die Betrugsfälle auch in 2022 erneut zugenommen“, sagt Polizeisprecherin Sandra Kilian. Konkrete Zahlen veröffentlicht die Polizeidirektion Ratzeburg voraussichtlich im Februar. Der Trend ist bundesweit zu verzeichnen und die Dunkelziffer hoch, denn nicht alle Opfer bringen ihren Fall zur Anzeige.
Dazu aber rät Andreas Siemers. Jedem Fall gehen die Beamten nach, aussichtslos ist die Arbeit nicht. 2021 wurden 758 Fälle aufgeklärt. „Es gilt, die Zahlungsflüsse zurückzuverfolgen“, sagt der Reinbeker Kripobeamte Thomas Schulzen. Die führen oft ins Ausland. Dann arbeiten die Reinbeker mit Interpol zusammen.
Manchmal allerdings sind die Kontoinhaber nicht die Täter, sondern unbedarfte Bürger, deren Daten abgegriffen wurden. So wie die eines 28-jährigen Wentorfers, der im vergangenen Jahr über eine Anzeige auf einem Jobportal stolperte, in der App-Tester gesucht wurden. Honorar pro Test: 45 Euro. Ihm wurde vorgegaukelt, dass er zum Test ein Konto bei einer Bank eröffnen sollte, um diesen Vorgang dann offiziell zu bewerten. Dafür wurden auch seine Ausweisdaten abgefragt. Doch der Test war kein Test, sondern ein echter Vorgang – damit die Hintermänner an die Kontodaten kommen. Misstrauisch allerdings wurde der Wentorfer, als er zusätzlich noch ein Wallet für Kryptowährungen eröffnen sollte. Er ging zur Polizei. „Solche Konten dienen oft der Geldwäsche. Das Konto wurde zwar gesperrt, doch die Ausweisdaten sind weg, werden womöglich im Darknet gehandelt und für Betrugsfälle missbraucht“, sagt Schulzen. Zudem ist das Opfer doppelt gestraft, seine Bonität bei Schufa & Co. wurde herabgestuft.
Textnachricht: „Hallo Mama, hallo Papa, das ist meine neue Nummer“
Eine Masche, die nicht leicht zu durchschauen ist und in die oft Jüngere hineintappen. Eine andere, die auf Ältere abzielt, ist der WhatsApp-Trick. Viele Opfer saßen in den vergangenen Monaten in den Büros der Reinbeker Polizeibeamten. Viele konnten selbst nicht glauben, dass ihnen so etwas passiert ist. Allen gemeinsam ist: Sie sind Eltern und wollten ihren Kindern finanziell aus der Patsche helfen. Die hatten sich zuvor unter einer neuen Nummer per Textnachricht gemeldet. „Hallo Papa, hallo Mama, das ist meine neue Nummer“, beginnt die oft. „Die Eltern werden in einen Schriftverkehr verwickelt und unter verschiedenen Gründen um Geld gebeten“, sagt Siemers.
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Er erinnert sich an den Fall kurz vor Weihnachten, bei dem der angebliche Sohn seinen Vater bat, für ihn ein technisches Gerät zu bezahlen. Der Vater half umgehend und überwies das Geld an den angeblichen Fachmarkt, freute er sich doch, dass sich der Sohn nach längerer Funkstille gemeldet hatte. Nur stellte sich im Nachhinein heraus, dass es gar nicht sein Sohn war. Da war es aber schon zu spät, die rund 1000 Euro zurückzubuchen. „Dass Eltern ihren Kindern helfen, ist absolut verständlich“, sagt Siemers, „allerdings sollten sie sich, bevor sie Geld überweisen, bei ihren Kindern immer mündlich rückversichern.“ Das genüge oft, um den Absender als Betrüger zu entlarven. In dem Fall sollte die fremde Nummer sofort blockiert werden.