Lütjensee. Unternehmen aus Mannheim verspricht kostenlosen Defibrillator für Kirche. Für spendenbereite Geschäftsleute wird es teuer.

Was das Unternehmen s-p Media in Aussicht stellt, klingt erst einmal verlockend: Kostenlose Defibrillatoren für Vereine, Schulen und Institutionen verspricht die Mannheimer Firma auf ihrer Internetseite, finanziert durch Betriebe und Unternehmer aus der Region. „Mit unserem Konzept leisten wir einen Beitrag zum Kampf gegen den plötzlichen Herztod“, heißt es dort großspurig,

Dieses Konzept lässt sich so zusammenfassen: Gegen eine finanzielle Beteiligung an der Anschaffung des Gerätes erhalten die Unternehmen die Möglichkeit, sich mit einer kleinen Werbeanzeige auf einer „Lebensrettungstafel“ zu präsentieren, die neben dem Defibrillator angebracht wird. In Wirklichkeit verbirgt sich hinter der Initiative jedoch eine dreiste Abzocke, die vor allem viel Geld in die Kassen von s-p Media spült.

Abzocke mit Defibrillator: Dubioses Unternehmen in Lütjensee unterwegs

Erfahren musste das jüngst die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde Lütjensee. Sie hat einen Vertrag mit der Firma geschlossen, um einen Defibrillator für die Kirche zu beschaffen. „Anfang 2019 hat dieses Unternehmen erstmals schriftlich Kontakt zu uns aufgenommen und angeboten, uns bei der Finanzierung eines solchen Gerätes zu unterstützen“, sagt Pastor Jörg Denecke. Das Konzept habe „vernünftig“ geklungen, und so habe die Gemeinde eine Übereinkunft mit dem Anbieter getroffen.

„Wir haben uns nicht vorstellen können, welche Unannehmlichkeiten damit für die Unternehmen verbunden sind“, sagt Denecke. Doch ein Blick ins Online-Branchenverzeichnis North Data zeigt: Bei s-p Media handelt es sich in Wirklichkeit um eine Werbeagentur. Der Zweck des Unternehmens wird dort beschrieben als „Vermarktung von werbefinanzierten Publikationen sowie Bucheinträgen“.

Duo drängt Lütjenseer Firmen zum Abschluss von Knebelverträgen

In den Folgemonaten und -jahren sei zunächst nichts weiter passiert. „Begründet wurde das mit der Corona-Pandemie“, so der Pastor. Anfang Mai seien dann zwei Vertreter von s-p Media persönlich auf die Kirchengemeinde zugekommen und hätten gesagt, dass die Kampagne nun losgehen könne. Die Männer hätten einen freundlichen, zurückhaltenden Eindruck gemacht. „Wir haben uns gefreut, dass endlich etwas passiert“, sagt Denecke.

Das Duo sollte in den Folgetagen losziehen und bei Firmen in Lütjensee und Umgebung um Sponsoren für den Defibrillator werben. Tatsächlich ging es aber darum, diese zum Abschluss von Knebelverträgen mit dem Mannheimer Unternehmen zu bewegen. Einen Kontrakt mit einer Laufzeit von drei Jahren sollten die Firmen mit s-p Media schließen.

Sponsoren sollten zwischen 1200 und 1900 Euro zahlen

Gewählt werden kann aus drei Anzeigengrößen: Für die kleinste werden zwölf Monatsraten à 89 Euro fällig, für die mittlere 99 Euro und für die große Variante 139 Euro. Zudem verlangt der Anbieter einmalig 138 Euro Produktionskosten und 58 Euro für die Erstellung eines QR-Codes, der neben der Anzeige platziert werden soll. Insgesamt kostet das Sponsoring eine Firmen also 1200 bis 1900 Euro.

Bei einer Beteiligung mehrerer Unternehmen kommt so eine beträchtliche Summe zusammen. Unserer Redaktion sind knapp ein Dutzend Firmen bekannt, welche von dem Anbieter kontaktiert wurden. Pastor Denecke spricht von rund 30 Unternehmen, von denen er gehört habe, dass dort angefragt worden sei.

Bundesweit sind bereits Institutionen auf die Masche hereingefallen

Das Geld soll laut Informationsschreiben von s-p Media an die kontaktierten Firmen, das unserer Redaktion vorliegt, in die Beschaffung und den Unterhalt des Defibrillators fließen. Zum Vergleich: Ein Gerät der Firma Philips, wie ihn s-p Media für die Lütjenseer Kirche anschaffen möchte, ist im Internet bereits für rund 1300 Euro zu haben. In den vergangenen Jahren sind bereits mehrere Einrichtungen bundesweit auf die Masche hereingefallen, darunter ein Sportverein aus Bayern, eine Schule in Niedersachsen und ein Schwimmbad in Sachsen.

Annegret und Uwe Zwickbusch, die gemeinsam das Zweiradhaus Michaelis an der Hamburger Straße in Lütjensee betreiben, bekamen Anfang der Woche Besuch von den beiden Vertretern. „Zuerst waren die beiden Herren am Montag da und haben ein Informationsschreiben hiergelassen“, sagt Annegret Zwickbusch. „Das war schon merkwürdig“, sagt sie.

Ehemaliger Feuerwehrmann wurde schnell misstrauisch

Gewundert habe sie vor allem, dass das Anschreiben von Pastor Jörg Denecke unterzeichnet gewesen sei. Einen Tag später seien die beiden Männer erneut gekommen, hätten sie dazu gedrängt, einen Vertrag zu unterschreiben. „Zum Glück war ich gewarnt und bin darauf nicht eingegangen“, sagt Zwickbusch. Denn zuvor war das Vertreter-Duo bereits Ende Mai bei Leif Zingelmann gewesen, der die gleichnamige Bäckerei in Lütjensee führt.

„Ich bin schnell misstrauisch geworden, als ich die Preise gesehen habe“, sagt er. Der ausgebildete Rettungssanitäter war 15 Jahre lang bei der Berufsfeuerwehr in Hamburg. „Ich weiß, was so ein Defibrillator ungefähr kostet“, sagt er.

Einige Unternehmer haben den Vertrag mit der Firma unterschrieben

Jörg Denecke ist Pastor in Lütjensee.
Jörg Denecke ist Pastor in Lütjensee. © HA

Auch das Beerdigungsinstitut Ketzel in Trittau bekam Besuch von s-p Media. „Das war Mitte Mai“, erinnert sich Inhaber Thomas Ketzel. „Erst wurden wir telefonisch kontaktiert und dann waren zwei Herren persönlich hier.“ Er habe jedoch sofort energisch abgelehnt. „Durch meine Arbeit kenne ich alle Mitarbeiter der Kirchengemeinde“, sagt Ketzel.

Weniger Glück hatte Sven Otto, der in Lütjensee gemeinsam mit seinem Bruder eine Sanitärbaufirma führt. „Leider habe ich unterschrieben“, sagt er. Das Projekt habe ausgesehen „wie eine gute Sache“, und er habe die Kirchengemeinde gern unterstützen wollen. Inzwischen habe er seine Unterschrift widerrufen. „Aber ob wir da wieder rauskommen, wissen wir noch nicht“, so Otto.

Der Kontrakt mit s-p Media sieht kein Widerrufsrecht vor

Denn in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen, die unserer Redaktion vorliegen, heißt es, dass s-p Media auch bei einer vorzeitigen Kündigung die vereinbarte Vergütung verlangen kann, ausgenommen der Aufwendungen, die durch die Vertragsauflösung eingespart werden. Ein Widerrufsrecht gibt es nicht. Was nach unlauterer Geschäftspraxis klingt, ist tatsächlich legal.

Denn anders als bei Privatpersonen gilt für Unternehmer bei Geschäften an der Haustür keine Widerrufsfrist von 14 Tagen. Das sei rechtmäßig, urteilte das Amtsgericht Köln bereits im November 2012 in einem ähnlichen Fall, in dem Unternehmer einen Defibrillator für einen Tennisclub finanzieren sollten. Einer der betroffenen Geschäftsleute hatte sich geweigert zu zahlen, unterlag aber letztlich vor Gericht, wie der Kölner Stadt-Anzeiger damals berichtete.

Kirchengemeinde möchte Vereinbarung mit der Firma auflösen

„Eigentlich dürften keine Kosten entstanden sein, die die Firma bei einer Vertragsauflösung geltend machen könnte“, hofft der Lütjenseer Sven Otto. Auf sein Schreiben habe er die Rückmeldung bekommen, der Vorgang werde geprüft. Ansonsten bleibt dem Unternehmer, darauf zu hoffen, dass die Kirchengemeinde die Vereinbarung mit s-p Media auflöst und die Werbetafel so gar nicht zustande kommt.

Das ist auch das Ziel von Pastor Jörg Denecke. Bei den Firmen, die durch s-p Media kontaktiert wurden und möglicherweise zu Schaden gekommen sind, bittet der Pastor im Namen der Kirchengemeinde um Entschuldigung. „Das Ganze tut uns unendlich leid“, sagt Denecke. „Hätten wir das gewusst, hätten wir natürlich nie eine Übereinkunft mit dieser Firma getroffen.“

Der Pastor sagt: „Wir haben bereits am 25. Mai um eine Auflösung der Vereinbarung gebeten und das Unternehmen aufgefordert, alle Aktivitäten einzustellen.“ Bislang sei das aber offenbar nicht geschehen. s-p Media habe zwar eine Reaktion angekündigt, bisher sei die aber nicht gekommen.

Inzwischen hat sich die Gemeinde rechtlichen Beistand geholt

Eine Anfrage unserer Redaktion mit Bitte um Stellungnahme, auch zu der Frage, wie die horrenden Preise für das Sponsoring gerechtfertigt werden, beantwortete das Unternehmen am Freitag nicht. Aufgrund eines Brückentages in Baden-Württemberg könne man erst Anfang der kommenden Woche zu den Vorwürfen Stellung nehmen, heißt es.

Die Kirchengemeinde Lütjensee hat sich inzwischen rechtlichen Beistand geholt. Es werde geprüft, welche Möglichkeiten man habe, die Vereinbarung mit der Werbeagentur zu kündigen. „Wir geben dem Unternehmen zuerst die Möglichkeit zu reagieren, bevor wir überlegen, wie wir uns weiter verhalten“, sagt Denecke.