Bad Oldesloe. Zu viele Notrufe, die keine sind. Warum die Situation im Norden des Kreises besonders problematisch ist.

Seit Jahren registriert die Integrierte Rettungsleitstelle Süd für die Kreise Stormarn, Ostholstein und Herzogtum Lauenburg steigende Notrufzahlen. „1600 waren früher mal die absolute Spitze für einen Tag. Heute stellt diese Zahl eher einen Durchschnittswert dar“, sagt der Leiter Carsten Horn. Es reiche schon ein Starkregenereignis wie am 21. Juli vergangenen Jahres rund um die Kreisstadt Bad Oldesloe, und die Leitstelle sehe sich mit mehr als 1900 Notrufen konfrontiert. Doch immer öfter laufen dort Anrufe auf, die gar keine wirklichen Notfälle sind. Dann müssen die Disponenten innerhalb kürzester Zeit entscheiden, wo Notärzte, Rettungsdienste und Feuerwehr am dringendsten gebraucht werden.

Immer mehr Selbstdiagnosen durch Google-Suchen

Diese Priorisierung von Hilfeleistungen mittels einer strukturierten Notrufabfrage hat auch direkte Auswirkungen auf die Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Hilfsfristen. „Innerhalb eines Jahres sollten die Retter in 90 Prozent aller Fälle binnen zwölf Minuten ab Alarmierung am Einsatzort sein“, erläutert Andreas Rehberg, Leiter des Fachbereichs Sicherheit und Gefahrenabwehr der Kreisverwaltung. Das aber werde schwierig, wenn die Leitstelle sich auch mit Anliegen beschäftigen müsse, die das Wählen der Notrufnummer 112 kaum rechtfertigen.

Schrägstes Beispiel ist etwa ein Rentner, der ein altes Sofa aus der Wohnung geschafft haben wollte, weshalb doch möglichst zeitnah mal drei, vier kräftige Feuerwehrleute vorbeischauen sollten. „Zugenommen haben auch Selbstdiagnosen durch Symptom-Abfragen bei Google“, berichtet Horn. Da würden mitunter drei Wochen alte Rückenschmerzen schnell mal zum akuten Notfall deklariert, die durch einen Besuch beim Hausarzt vielleicht längst behandelt hätten werden können.

Im Schnitt in neun Minuten am Einsatzort

„Damit wir uns aber nicht falsch verstehen: Bei akut auftretenden Schmerzen sollte man durchaus einmal mehr die 112 wählen als einmal zu wenig“, so Horn. Problematisch werde es allerdings, wenn Rettungswagen de facto als Taxis ins Krankenhaus angefordert würden. Das bringt das Notfallsystem an seine Grenzen, was im Ernstfall tödliche Folgen haben kann.

Übersicht der Rettungswachen in Stormarn.
Übersicht der Rettungswachen in Stormarn. © HA Infografik | Frank Hasse

Im gesamten Kreisgebiet lag der Erreichungsgrad 2022 für 29.564 hilfsfristrelevante Notfalleinsätze bei 84,49 Prozent. Damit rangierte Stormarn unter allen Kreisen Schleswig-Holsteins auf Rang vier hinter Pinneberg (88,39), Ostholstein (87,68) und Nordfriesland (84,50). Schlusslicht war der Kreis Rendsburg/Eckernförde mit 72,78 Prozent.

Kreis bislang nur in zwei Bereichen im Soll

„Lag der Schnitt für die Eintreffzeit der ersten Rettungsfahrzeuge 2022 noch bei 9:21 Minuten, so konnten wir uns im ersten Quartal dieses Jahres um 15 Sekunden auf einen Schnitt von 9:06 Minuten verbessern. Das bedeutet aber eben auch, dass es noch immer etliche Einsätze gibt, in denen die Retter länger als zwölf Minuten zum Einsatzort gebraucht haben“, sagt Andreas Rehberg.

Zwar konnte der Erreichungsgrad für 6952 Notfalleinsätze auf 86,65 Prozent gesteigert werden (+ 2,16 %). Dennoch werden die vorgeschriebenen Hilfsfristen derzeit nur in zwei von insgesamt sechs Stormarner Bereichen eingehalten. Dazu gehören das Umfeld von Reinbek mit 93,58 Prozent und das von den beiden Rettungswachen in Bargteheide abgedeckte Terrain mit 90,96 Prozent (siehe Grafik).

Nordstormarn bereitet die meisten Sorgen

Am problematischsten stellt sich die Situation in Nordstormarn dar. In dem relativ dünn besiedelten Gebiet, das durch die Rettungswache in Reinfeld abgedeckt wird, liegt der Erreichungsgrad neuesten Erhebungen zufolge bei nur 65,24 Prozent. Und hat sich laut jüngstem Quartalsbericht des Geschäftsführers des Rettungsdienst-Verbunds Stormarn (RVS) und der kreiseigenen Rettungsdienst Stormarn gGmbH, Ralf Timmermann, im Vergleich zum Vorjahr noch einmal um knapp vier Prozentpunkte verschlechtert.

„Aus diesem Grund soll die Rettungswache in Reinfeld, die in der Regie des RVS liegt, ausgebaut werden und einen zweiten Rettungswagen bekommen“, erklärt Rehberg. Um die Zeit bis dahin zu überbrücken, werden Einsätze in Nordstormarn bei Bedarf auch durch die Rettungswache in Bad Oldesloe abgedeckt, die inzwischen knapp 90 Prozent aller Fahrten fristgemäß umsetzen kann.

Mehr Kapazitäten für Krankentransporte

„Um das System der Notfallrettung zu entlasten, wollen wir weitere Kapazitäten bei den Krankentransporten aufbauen, von denen es im Vorjahr allein 10.000 gegeben hat“, sagt Ralf Timmermann. Dafür seien im Februar und März bereits zwei weitere Krankenwagen in Dienst gestellt worden. In diesem Monat soll der insgesamt sechste von geplanten zehn hinzukommen. „Besetzt werden die Fahrzeuge vom Team der Rettungswache in Stemwarde“, so Timmermann.

Dort kommen Rettungssanitäter zum Einsatz, die zum Teil in den eigenen Reihen ausgebildet worden sind. Auf diese Weise sollen auch Personalengpässe überwunden werden, die das Vorhalten von benötigten Einsatzzeiten immer wieder erschweren. Im Zuge einer offensiven Personalakquise konnten allein im ersten Quartal 20 neue Mitarbeiter gewonnen werden, darunter allein 14 hauptamtliche Rettungssanitäter und drei Notfallsanitäter. Für beide Organisationen sind jetzt insgesamt 401 Mitarbeiter tätig.

Die meisten Einsätze im ersten Quartal dieses Jahres verzeichnete die Rettungswache Stemwarde mit 2839, gefolgt von Reinbek (2636), Ahrensburg (2436) und Bad Oldesloe (2104). Unter 500 Einsätzen blieben eine der beiden Wachen in Bargteheide (469), Reinfeld (356) und Kayhude (303).

Die durchschnittliche Versorgungszeit am Einsatzort betrug im Kreis Stormarn in den ersten drei Monaten dieses Jahres 24:51 Minuten. Die Fahrten in Kliniken und Krankenhäuser dauerten im Schnitt 17:57 Minuten. „Deutlich verlängert hat sich unterdessen die Übergabezeit von Verletzten und Kranken in den Notaufnahmen, weshalb die durchschnittliche Einsatzdauer inzwischen bei einer Stunde und fast 18 Minuten liegt“, so Ralf Timmermann.