Ahrensburg. Oft vergehen viele Monate, bis ein Platz zu bekommen ist. Das ist nicht nur im Alltag, sondern auch bei der Jobsuche ein Problem.

Shir Aga Ahmadi ist Koch. In seinem Heimatland Afghanistan stand er für unterschiedliche Organisationen und Botschaften am Herd. Gern würde er nach seiner Flucht aus der Heimat in Deutschland wieder in den Beruf einsteigen, seiner Leidenschaft nachgehen und Geld verdienen, von dem er seine Familie ernähren kann. Doch seit er mit Frau und Kindern Anfang 2022 nach Stormarn kam, muss er vor allem eines: warten.

Denn bevor er arbeiten kann, muss er die Sprache lernen. Doch die Wartezeiten auf Integrationskurse sind lang, überall fehlen Lehrer. Im Kreis Stormarn bieten unter anderem Volkshochschulen und die Arbeiterwohlfahrt (Awo) Deutschkurse an.

Der Krieg gegen die Ukraine hat die Situation verschlimmert

„Ich kann bestätigen, dass die Situation in Stormarn sehr angespannt ist“, sagt Petra Piontek, Leiterin der Volkshochschule (VHS) Ahrensburg. Seit durch den Ukrainekrieg viele Menschen in den Kreis gekommen seien, habe sich das Problem weiter zugespitzt. „An der Volkshochschule Ahrensburg starten im März und April zwei Integrationskurse“, so Piontek. „Als wir die Registrierungen vorgenommen haben, war der Flur voll. Die Nachfrage ist sehr, sehr groß.“

Die beiden Kurse seien bereits voll belegt. „Deshalb versuchen wir irgendwie, ab Mai einen weiteren Kurs anzubieten“, so die VHS-Leiterin. Doch das sei schwierig: „Wir haben kein zusätzliches Personal und keine zusätzlichen Räume.“

Anforderungen sind hoch, es fehlen zertifizierte Lehrkräfte

An der VHS Ahrensburg koordinieren eine festangestellte Pädagogin und eine in Teilzeit arbeitende Verwaltungskraft die Kurse, ansonsten arbeitet die Volkshochschule mit freiberuflichen Lehrkräften zusammen. Die Ursachen für die Engpässe sind vielschichtig. „Neben der erhöhten Nachfrage durch die ukrainischen Geflüchteten können Menschen, die seit Jahren in der Duldung sind, wegen einer Gesetzesänderung nun eher in Integrationskurse gehen und nehmen dies auch verstärkt wahr“, sagt Piontek.

Auch der Mangel an zertifizierten Deutschlehrern sei mit für das Problem verantwortlich. „Es ist nicht einfach, Deutschlehrer zu bekommen, weil das Zulassungsverfahren des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge sehr umfassend ist und viele Anforderungen erfüllt werden müssen“, sagt Petra Piontek. Grundsätzlich befürworte sie aber, dass der Qualitätsanspruch hoch ist. „Es kann nicht irgendjemand, der gut Deutsch spricht, solchen Unterricht machen. Dafür sind didaktische und methodische Kompetenzen notwendig.“

Mit Integrationskursen soll Sprachniveau B1 erreicht werden

Ein Integrationskurs dauere um die neun Monate. „Er findet werktags jeweils einen halben Tag statt“, so die VHS-Leiterin. Weil viele der Geflüchteten Kinder haben und auch Betreuungsangebote fehlten, seien vor allem Vormittagskurse gefragt. Mit welchem Können die Geflüchteten den Kurs verlassen, sei unterschiedlich. „Im Normalfall sollte das Sprachniveau B1 erworben werden“, so Piontek. Mit diesen Deutschkenntnissen können die Menschen im Alltag und im Beruf einfache Gespräche führen.

Die Sprachkenntnisse sind nicht nur wichtig, um sich privat zurechtzufinden, Arzttermine und Behördengänge erfolgreich zu meistern, einzukaufen oder mit den Lehrern der Kinder zu sprechen. Sie sind fast immer auch eine Voraussetzung, um beruflich Fuß fassen zu können.

Fehlende Sprachkenntnisse haben weitreichende Folgen

Das Jobcenter Stormarn berät Geflüchtete auf dem Weg in den Arbeits- und Ausbildungsmarkt. „Die Ankunft zahlreicher Geflüchteter aus der Ukraine in einem vergleichsweise kurzen Zeitfenster bedeutet für die Sprachkursträger besondere Herausforderungen, weil fachlich geeignetes Lehrpersonal und ausreichende Räumlichkeiten nicht immer zur Verfügung stehen. Auch wir nehmen daher teilweise erhebliche Wartezeiten wahr“, sagt Andreas Franck, Bereichsleiter Markt und Integration beim Jobcenter Stormarn. Je nach Kurstyp und Mobilität komme es zu Wartezeiten von einigen Wochen bis hin zu mehreren Monaten.

Grundsätzlich gebe es abgesehen von Sonderregeln zum Beispiel für Ärzte keine Verpflichtung, Deutschkenntnisse vorzuweisen, um arbeiten zu können. Franck: „Allerdings gibt es nur wenige Bereiche, in denen Integrationschancen ganz ohne Deutschkenntnisse bestehen, beispielsweise im Reinigungsgewerbe.“ Für die allermeisten Berufe sei die Verständigung auf Deutsch unabdingbar. „Nicht nur, weil mit Kunden, Kollegen und Vorgesetzten kommuniziert werden muss, sondern auch, um zum Beispiel Sicherheitshinweise zu verstehen“, so der Jobcenter-Mitarbeiter.

Wer sich verständigen kann, hat bessere Job-Chancen

Je besser die Deutschkenntnisse, desto größer seien die Chancen auf eine qualifizierte Beschäftigung. „Für Helfertätigkeiten wird in der Regel das Sprachniveau B1 vorausgesetzt, das nach erfolgreicher Teilnahme an einem Integrationskurs vorliegt“, so Franck. Für qualifizierte Tätigkeiten sei meist B2 nötig, für Berufe mit akademischem Hintergrund C1.

„Darüber hinaus ist nicht zu unterschätzen, welche Auswirkungen mangelnde Deutschkenntnisse auf die soziokulturelle Teilhabe und die Lebensqualität haben können“, sagt Andreas Franck. „Um nur einige Beispiele zu nennen: Kinder in der Schule können nicht adäquat unterstützt werden, der Umgang mit Energieversorgern, Behörden oder Versicherungen wird eine besondere Herausforderung.“ Dies belaste die Betroffenen und hemme ihre Qualifizierungs- und Beschäftigungschancen zusätzlich.

Freundeskreis bietet Alternativen zu offiziellen Kursen

Das beobachtet auch Nico Markward, Vorsitzender des Freundeskreises für Flüchtlinge Ahrensburg. Auch er weiß um die Engpässe beim Angebt von Integrationskursen. „Es ist ein Problem“, sagt er. Sechs Monate und länger müssten Geflüchtete, die er betreut, aktuell auf Kurse warten.

Der Freundeskreis versucht, mit eigenen Initiativen gegenzusteuern. Im Zuge einer Aktion zur Weihnachtszeit hatte der Verein Ehrenamtliche gesucht, die mit Geflüchteten Deutsch lernen – mit Erfolg. „Es haben sich 16 Freiwillige gemeldet“, so Markward. Aktuell bietet der Verein auf diese Weise kleinere Unterrichtsgruppen an. Einen Integrationskurs ersetze das natürlich nicht. „Es ist lange nicht so intensiv“, sagt Markward. „Aber es ist besser als nichts.“

Eltern auf Hilfe von Kindern bei Übersetzung angewiesen

Seinen Erfahrungen nach sei die Situation für die Geflüchteten, die zu Hause herumsitzen, Probleme in der Alltagsverständigung haben und nicht arbeiten können, oft belastend. „Wir haben auch versucht, Kontakt zu Arbeitnehmern aufzunehmen und sie zu motivieren, Geflüchtete einzustellen“, so der Vorsitzende des Freundeskreises.

Wann Shir Aga Ahmadi Deutsch lernen und wieder als Koch arbeiten kann, ist derzeit ungewiss. Im Alltag helfen ihm seine Kinder häufig beim Übersetzen. Denn die lernen in der Schule schneller Deutsch als ihre Eltern. Dass er irgendwann nicht mehr auf die Hilfe seiner Söhne und Töchter bei der alltäglichen Verständigung angewiesen ist, darauf hofft der Vater. Er sagt: „Ich würde mir sehr wünschen, dass ich bald einen Deutschkurs machen kann.“