Ahrensburg/Trittau. Ohne bestimmtes Fällmittel können Klärwerke Grenzwert für Phosphor nicht einhalten. Das würde große Schäden an Gewässern verursachen.

Was hat die Herstellung von Farben und Lacken mit dem Klären von Abwasser zu tun? Auf den ersten Blick mag es nicht viel sein. Doch ein Einbruch bei der Produktion von Ersteren ist die Ursache, dass die meisten Stormarner wohl schon bald deutlich mehr für die Abwasserbeseitigung bezahlen müssen. Der Grund: Eisensalze – Nebenprodukte, die bei der Farbherstellung entstehen – werden auf dem Markt knapp. Für Kläranlagen ist die Substanz aber unverzichtbar.

Warum, das erklärt Olaf Grönwald, Leiter des Klärwerks in Ahrensburg. „Eisensalze werden aufgrund ihrer chemischen Eigenschaften als sogenannte Fällmittel eingesetzt, um bestimmte Stoffe, vor allem Phosphor, aus dem geklärten Wasser herauszufiltern“, sagt er. Das Elemente gelangt unter anderem durch menschliche Exkremente und Waschmittel in das Abwasser. Phosphor ist zwar per se nicht giftig, schadet aber den Gewässern.

Fehlende Chemikalie in Klärwerken könnte zu steigenden Abwasser-Gebühren führen

„Eine hohe Phosphorkonzentration lässt Flüsse und Seen eutrophieren, mit der Folge, dass Tiere und Pflanzen absterben und das Gewässer umkippt, wie man es in der Umgangssprache nennt“, erklärt der Experte. Denn Phosphor dient Algen als Nährstoff. „Bei einer hohen Konzentration im Wasser kann es zu einer geradezu explosionsartigen Algenblüte kommen, die Algen verfaulen dann wiederum und ziehen bei diesem Prozess den Sauerstoff aus dem Wasser“, so Grünwald.

Um die Gewässer zu schützen, gelten strenge Grenzwerte für die Phosphorkonzentration im Abwasser. Und um die einzuhalten, werden in den Klärwerken Eisensalze eingesetzt, die das Phosphor binden. „Es flockt dann aus und kann abfiltriert werden“, so der Ahrensburger Werksleiter. Die Eisensalze, die in den Kläranlagen zum Einsatz kommen, seien wiederum zum großen Teil ein Abfallprodukt aus der Titandioxidherstellung.

Hersteller von Farben und Lacken drosseln Produktion wegen Energiekrise

Diese Verbindung wird als weißes Farbpigment in der Herstellung von Lacken, Papier und Kunststoff genutzt. „Um Titandioxid zu produzieren, wird Salzsäure benötigt“, sagt Grönwald. Die Weltmarktpreise dafür seien infolge der Energiekrise um bis zu 450 Prozent gestiegen, weil die Erzeugung sehr energieintensiv sei.

„Weil Salzsäure so viel teurer geworden ist, haben Farbhersteller ihre Produktion heruntergefahren, mit dem Nebeneffekt, dass dadurch auch weniger Eisensalze erzeugt werden“, beschreibt Grönwald das Problem. Und die fehlen nun in den Kläranlagen. Die meist kommunalen Betreiber stellt das vor die Wahl: Entweder sie weichen auf andere, in der Regel teurere und gleichzeitig weniger effektive Fällmittel aus, oder sie riskieren, die gesetzlichen Phosphorgrenzwerte zu überschreiten.

Alternative Fällmittel sind deutlich teurer und weniger effizient

Letztere Variante wäre vor allem für die Flüsse und Seen eine Gefahr. „Leiten wir das Abwasser ungefällt ein, machen wir in einem Jahr kaputt, was wir in zehn Jahren bei der Gewässerqualität erreicht haben“, sagt Grönwald. Eine Überschreitung der Einleitgrenzwerte stellt laut Umweltministerium in Kiel zudem eine Ordnungswidrigkeit dar.

Mathias Mucha, Geschäftsführer des Zweckverbands Südstormarn, geht zurzeit davon aus, die Gebühren konstant halten zu können.
Mathias Mucha, Geschäftsführer des Zweckverbands Südstormarn, geht zurzeit davon aus, die Gebühren konstant halten zu können. © René Soukup | René Soukup

Henning Wachholz, Leiter der Stadtbetriebe Ahrensburg, hatte deshalb schon Anfang September im Werkausschuss, der für die Kläranlage zuständig ist, vor drohenden Lieferengpässen bei Eisensalzen gewarnt und angekündigt, zunächst auf ein alternatives Präparat zur Phosphorfällung auszuweichen. Dabei handelt es sich um Aluminiumsalze. „Die funktionieren zwar auch, aber kosten fast das Doppelte“, sagt Klärwerk-Chef Grönwald.

Die Mehrkosten in den Klärwerken schlagen sich in Abwasserentgelten nieder

Und es gebe noch ein weiteres Problem: Die Eisensalze seien auch notwendig, um das bei der Klärung frei werdende Faulgas für die Stromerzeugung aufzubereiten. „Wir decken einen Großteil unseres Energiebedarfs über ein eigenes Kraftwerk“, erklärt Grönwald. Rund 2,5 Millionen Kilowattstunden Strom brauche die Anlage pro Jahr, um 2,2 Millionen Kubikmeter Abwasser zu reinigen.

Aluminiumbasierte Produkte hätten nicht die erforderlichen Eigenschaften für die Gasaufbereitung. „Wir müssen in der Folge mehr Energie extern einkaufen“, sagt der Klärwerks-Chef. All das führe zu erheblichen Mehrkosten, die auch die Bürger zu spüren bekämen. „Wir werden nicht ohne eine Anpassung der Abwasserentgelte ab dem kommenden Jahr auskommen“, prognostiziert Grönwald.

Überall stehen Abwasserentsorgungsunternehmen vor demselben Problem

Vor demselben Problem stehen Kläranlagenbetreiber fast überall. Auch in Bargteheide werden laut Werksleiter Maik Kortmann jetzt teurere Aluminium- statt Eisensalze eingesetzt. „Auch die sind kaum noch zu bekommen“, sagt er. Der Zweckverband Obere Bille, der Kläranlagen in Trittau, Großensee und Witzhave betreibt, setzt auf eine Kombination aus Aluminium- und Eisensalzen. „Wir versuchen, unsere Restbestände so lange wie möglich zu strecken, um unsere Gasturbine für die Eigenstromerzeugung am Laufen zu halten“, sagt Geschäftsführer Klaus Krieger. Auch er rechnet damit, dass die Mehrkosten Auswirkungen auf die Abwassergebühren haben werden.

Bislang vergleichsweise gelassen auf die aktuelle Situation blickt hingegen noch der Zweckverband Südstormarn, zu dessen Versorgungsgebiet Glinde, Oststeinbek, sowie die Barsbütteler Ortsteile Willingshusen und Stemwarde und die Reinbeker Stadtteile Schönningstedt, Neuschönningstedt und Ohe zählen. „Wir betreiben kein eigenes Klärwerk, unser Abwasser wird in einer Großanlage von Hamburg Wasser aufbereitet“, sagt Geschäftsführer Mathias Mucha.

Umweltministerium reagiert und drückt bei Grenzwerten ein Auge zu

Das erweise sich jetzt als Vorteil. „Als eines der größten Unternehmen der Branche ist Hamburg Wasser, nach dem, was wir bislang erfahren haben, derzeit noch nicht so stark von den Lieferengpässen betroffen“, sagt er. Das Unternehmen habe die Gebühren, die der Zweckverband für die Abwasserbeseitigung zahle, nur minimal angehoben. „Stand jetzt gehen wir deshalb davon aus, dass wir die Entgelte für die Haushalte 2023 konstant halten können“, so Mucha.

Ungeachtet dessen ist die Klärwasser-Problematik längst auch im Kieler Umweltministerium ein Thema. Per Erlass hat dieses jüngst die Möglichkeit geschaffen, bei der Überschreitung von Grenzwerten ein Auge zuzudrücken. Andere Bundesländer, darunter Hamburg, Thüringen und Sachsen-Anhalt, verfahren ähnlich. „Die Grenzwerte bleiben unangetastet, dennoch schaffen wir eine pragmatische Lösung für die Anlagenbetreiber“, sagt dazu Katja Günther, Staatssekretärin für Umwelt und Natur.

Unternehmen müssen nachweisen, dass sie Werte nicht einhalten können

Könnten diese glaubhaft nachweisen, dass die Grenzwerte aufgrund knapper Fällmittel nicht einzuhalten seien, könne von einer Ordnungswidrigkeit abgesehen werden. Bisher, darauf weisen sowohl das Ministerium als auch die Abwasserentsorgungsunternehmen hin, seien Grenzwerte noch nirgendwo überschritten worden.