Bargteheide. Vorwurf Arbeitszeitbetrug. Kommunalpolitiker kritisieren das Vorgehen der amtierenden Verwaltungschefin.

Mit seinem Open-Air-Konzert am vergangene Sonnabend im Braunschweiger Raffteichbad hat Johannes Oerding Tausende Fans glücklich gemacht. Mitgeswingt und -gesungen hat an diesem Tag auch die Stormarnerin Bettina Lange, die die Tickets für sich und eine Freundin bei einer Höreraktion von NDR 2 gewonnen hatte. „Ja, ich habe das Konzert sehr genossen“, sagt die 53-Jährige dem Abendblatt.

Und zwar nicht nur, weil sie die Musik des Hamburger Sängers so mag. Dessen energiegeladener Auftritt verschaffte der Bauingenieurin zudem willkommene Gelegenheit, sich von einer Situation abzulenken, die ihr Leben und das ihrer Familie seit Mitte Mai überschattet: von ihrer fristlosen Kündigung als Personalrätin durch die amtierende Bargteheider Bürgermeisterin Birte Kruse-Gobrecht.

Personalrat wurde im Hauptausschuss befragt

Arbeitete seit 1997 in der Bauabteilung des Rathauses Bargteheide und war seit 1999 mit einer kurzen Unterbrechung Personalratsvorsitzende: Bettina Lange.
Arbeitete seit 1997 in der Bauabteilung des Rathauses Bargteheide und war seit 1999 mit einer kurzen Unterbrechung Personalratsvorsitzende: Bettina Lange. © Privat | Privat

Rückblick. Am 23. März dieses Jahres ist der Personalrat der Stadtverwaltung, dessen Vorsitzende Bettina Lange seit vielen Jahren ist, in die Sitzung des Haupt- und Sozialausschusses der Stadtvertretung eingeladen worden. Hauptthema ist die Situation im Rathaus. Anlass gibt es aus Sicht fast aller Fraktionen mehr als genug: ein Stau in der Abarbeitung wichtiger Projekte, die wachsende Unzufriedenheit vieler Mitarbeiter, vor allem aber der anhaltende personelle Aderlass durch den Weggang vieler wichtiger und verdienstvoller Kollegen.

„Aus meiner Sicht hat Frau Lange die Fragen der Fraktionen eher defensiv und verhalten beantwortet“, sagt Jürgen Weingärtner (SPD). Einseitige verbale Attacken gegen die Verwaltungsleitung habe er jedenfalls nicht wahrgenommen. „Frau Lange hat in der Anhörung nichts gesagt, das der Bürgermeisterin bewusst geschadet hätte“, so Weingärtner.

Arbeitszeiterfassung war genehmigt worden

Dennoch kommt es sieben Wochen später, am Freitag, 13. Mai, zu einem denkwürdigen Akt. Fünf Tage nach der Bürgermeistwahl, bei der die Amtsinhaberin ihrer Herausforderin Gabriele Hettwer klar unterliegt, konfrontiert Kruse-Gobrecht die Personalratsvorsitzende mit dem Vorwurf des Arbeitszeitbetrugs.

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„Die offizielle Vorladung des Personalrats in einen Ausschuss der Stadtvertretung habe ich natürlich als Arbeitszeit deklariert, weil das seit vielen Jahren gängige Praxis ist, meines Wissens nicht nur im Rathaus Bargteheide“, sagt Lange. Außerdem habe ihre Fachbereichsleiterin die Arbeitszeiterfassung gegengezeichnet.

Personalrat hat Kündigung nicht zugestimmt

Wirft Bettina Lange Arbeitszeitbetrug und Illoyalität vor: Bargteheides amtierende Bürgermeisterin Birte Kruse-Gobrecht.
Wirft Bettina Lange Arbeitszeitbetrug und Illoyalität vor: Bargteheides amtierende Bürgermeisterin Birte Kruse-Gobrecht. © Bina Engel | BINA ENGEL

Die Bürgermeisterin beurteilt das indes völlig anders. Sie habe Lange wissen lassen, dass es sich bei der Beantwortung von Fragen im Hauptausschuss keineswegs um Dienstzeit handele, sondern viel mehr um Freizeit, berichtet Lange. Damit habe Lange ihre Arbeitszeiterfassung manipuliert, was arbeitsrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen werde. Zudem habe Kruse-Gobrecht ihrer Untergebenen mangelnde Loyalität vorgehalten.

Per Brief, den Lange am 7. Juni in ihrem privaten Postkasten findet, also ohne förmliche Zustellung samt Bestätigung des Erhalts, wird ihr nach 25 Jahren Betriebszugehörigkeit fristlos gekündigt. Ohne Zustimmung des Personalrats, ohne Zustimmungsersetzung durch ein Verwaltungsgericht und ohne einen ernsthaften Versuch, die Angelegenheit außergerichtlich zu klären.

Seit 1999 Vorsitzende des Personalrats

„Ich war geschockt und fassungslos“, sagt Lange, die sich als Opfer einer äußerst ungerechtfertigten und willkürlichen Verfahrensweise sieht. „Ich bin seit dem 1. Oktober 1997 mit Leidenschaft bei der Stadt Bargteheide beschäftigt und seit 1999 Vorsitzende des Personalrats, nur unterbrochen durch meine dreijährige Elternzeit“, berichtet sie. Sie genieße das Vertrauen ihrer Kollegen, was nicht zuletzt ihre jüngste Wiederwahl zur Personalratsvorsitzenden am 24. März dieses Jahres beweise.

„Dass ich nach all diesen Jahren seit dem 8. Juni nun mit allen Folgen und Konsequenzen arbeitslos bin, als Ehepartnerin und Mutter einer Tochter kein Einkommen mehr habe und mich mit der langwierigen Beantragung von Arbeitslosengeld befassen muss, erfüllt mich mit großem Unverständnis“, erklärt Lange. Das Verhalten der amtierenden Bürgermeisterin und deren Umgang mit Recht und Gesetz sei zutiefst kritikwürdig.

Grundregeln des Personalrechts missachtet

Das beurteilen etliche Kommunalpolitiker verschiedener Fraktionen ebenso. „Die Kündigung gegen alle Grundregeln des Personalrechts ist völlig unverhältnismäßig“, sagt Jürgen Weingärtner. Kruse-Gobrecht habe ihre Wahlniederlage offenbar nicht verkraftet und erweise sich nun als schlechte Verliererin.

Meinung von Redakteur Lutz Kastendieck: Ein beispielloser, amoralischer Akt

Als „unbegreiflich und absurd“ bezeichnete der Freie Demokrat Andreas Samtleben das Verhalten der amtierenden Bürgermeisterin. Was sich im letzten Akt der Amtszeit von Birte Kruse-Gobrecht abspiele, könne im Grund nur noch mit einem fassungslosen Kopfschütteln quittiert werden. „Auch Bürgermeisterwahl-Verliererinnen können erhobenen Hauptes und souverän aus dem Amt gehen. Frau Kruse-Gobrecht hat sich für einen anderen Weg entschieden“, so Samtleben.

Mindestens vier Fraktionen stehen hinter Lange

Für Norbert Muras von der Wählergemeinschaft für Bargteheide (WfB) hat die amtierende Bürgermeisterin mit ihrem Vorgehen ihre fachliche und menschliche Reputation bei vielen Bürgern der Stadt endgültig verspielt. „Eine grundlose fristlose Kündigung ist ein harter persönlicher Einschnitt ins Leben einer verdienten Mitarbeiterin, die sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Dafür gibt es keine Rechtfertigung“, so Muras.

Vor diesem Hintergrund sei der Ausgang der Bürgermeisterwahl am 8. Mai umso verständlicher, als Kruse-Gobrecht mit 34,80 Prozent aller gültigen Stimmen klar und eindeutig abgewählt wurde. Seinen Informationen zufolge stünden mindestens vier Fraktionen hinter Bettina Lange.

Das gilt wohl auch für Kruse-Gobrechts Nachfolgerin Gabriele Hettwer. „Arbeitszeitbetrug kann ich hier nicht sehen, für mich ist die Vorladung von Verwaltungsmitarbeitern in einen Ausschuss Arbeitszeit. Insofern kann ich das Vorgehen der amtierenden Bürgermeisterin nicht nachvollziehen“, sagte Hettwer unserer Redaktion. Darüber hinaus wolle sie sich im Moment nicht äußern, ohne sich zuvor über sämtliche Hintergründe eingehend informiert zu haben. Die amtierende Bürgermeisterin war für eine Stellungnahme (urlaubsbedingt) nicht zu erreichen.

Verfahren wird am 26. Oktober fortgesetzt

Nach dem aktuellen Stand der Dinge wird Hettwer mit der Causa Lange spätestens nach ihrem Amtsantritt am 15. September direkt konfrontiert. Die Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht Lübeck am 29. Juli, bei der die Stadt Bargteheide hätte einlenken können, ist jedenfalls ergebnislos geblieben. Das Verfahren soll nun am 26. Oktober dieses Jahres fortgesetzt werden.

Bettina Lange gibt sich unterdessen zuversichtlich, ihre Kündigungsschutzklage gegen die Stadt Bargteheide gewinnen zu können. Beobachtern der Güteverhandlung zufolge ließ das Gericht keinen Zweifel daran aufkommen, dass die fristlose Kündigung mit Blick auf das Bundespersonalvertretungsgesetz wohl kaum Aussicht auf Bestand habe.