Lübeck/Ahrensburg. Zum Prozessauftakt vor dem Landgericht Lübeck räumt 38-Jähriger aus Afghanistan ein, seine Frau mit 28 Messerstichen getötet zu haben.

Auf der Anklagebank zeigt sich Assem S. (Name geändert) reumütig. „Ich habe sie geliebt, ich war so verzweifelt“, sagt der füllige Mann mit kahlgeschorenem Kopf und Dreitagebart, während er mit den Tränen zu kämpfen scheint. „Ich wollte meine Tochter nicht verlieren“, ergänzt er. Doch vor dem Hintergrund der Tat, die die Staatsanwaltschaft dem 38-Jährigen zur Last legt, scheint das Bild des besorgten Vaters und Ehemanns, das S. zu zeichnen versucht, wenig glaubhaft.

Prozess um Mord in Ahrensburger Flüchtlingsunterkunft startet mit Geständnis

Assem S., der 2018 als Flüchtling nach Deutschland kam, muss sich seit Dienstag wegen Mordes vor dem Lübecker Landgericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft wirft dem Afghanen vor, seine Ehefrau in der Nacht vom 5. auf den 6. September 2021 in der Flüchtlingsunterkunft Kornkamp in Ahrensburg „aus niedrigen Beweggründen“ getötet zu haben.

Am 7. September hatten Polizeibeamte die Leiche der 23-Jährigen in der Wohnung in der Containersiedlung entdeckt, in der das Paar seit Januar 2019 mit der gemeinsamen, heute zwei Jahre alten Tochter lebte. Laut Rechtsmedizin stach Assam S. 28-mal mit einem Küchenmesser auf seine junge, ebenfalls aus Afghanistan stammende Frau ein.

Ehemann gab selbst den Hinweis auf den Fundort der Leiche

Den entscheidenden Hinweis auf den Fundort der Leiche hatte der 38-Jährige den Ermittlern zuvor selbst gegeben: Beamte der Bundespolizei hatten Assem S. auf einem Autohof an der Autobahn 9 bei Hof (Bayern) routinemäßig kontrolliert. Der Mann war an Bord eines Reisebusses nach Mailand unterwegs. Bei der Kontrolle waren den Polizisten Unstimmigkeiten in den Papieren des Afghanen aufgefallen.

Zunächst gingen die Beamten dem Verdacht eines Aufenthaltsverstoßes nach. Bei der anschließenden Vernehmung gab der 38-Jährige laut Staatsanwaltschaft dann an, dass seine Frau kurz zuvor in der gemeinsamen Wohnung in Ahrensburg Suizid begangen habe und ihr Leichnam noch immer dort liege. Einen Selbstmord schlossen die Ermittler jedoch schnell aus.

Staatsanwaltschaft sieht Absicht der 23-Jährigen, sich zu trennen, als Motiv

Mitarbeiter der Spurensicherung sind am 7. September auf dem Gelände der Flüchtlingsunterkunft Kornkamp in Ahrensburg im Einsatz.
Mitarbeiter der Spurensicherung sind am 7. September auf dem Gelände der Flüchtlingsunterkunft Kornkamp in Ahrensburg im Einsatz. © HA | Filip Schwen

Stattdessen geht die Staatsanwaltschaft davon aus, dass die Absicht der 23-Jährigen, sich von ihrem Mann zu trennen, Anlass für diesen war, seine Ehefrau zu töten. Die Anklagebehörde legt ihm ein übersteigertes Besitzdenken zur Last. „Der Angeklagte wollte seiner Ehefrau kein Leben ohne ihn zugestehen“, sagt Staatsanwältin Britta Berkenbusch.

S. sitzt seit September 2021 in der Justizvollzugsanstalt Lübeck in Untersuchungshaft. Zu den Tatvorwürfen hatte der 38-Jährige bislang geschwiegen, umso überraschender ist es, dass der Prozess mit einem Geständnis beginnt. Durch seinen Anwalt ließ S. eine Erklärung verlesen. „Ich gebe zu, dass ich meine Frau getötet habe“, heißt es darin. „Wir hatten Streit, weil sie gedroht hat, mich zu verlassen“, so S.

Tochter schlief während der Tat im Nebenraum

Die 23-Jährige habe zudem damit gedroht, die gemeinsame Tochter mitzunehmen und „dafür zu sorgen, dass ich abgeschoben werde“. Zum Zeitpunkt des Streits sei er betrunken gewesen. „Ich habe im Affekt ein Messer gegriffen und in blinder Wut zugestochen“, heißt es in der Erklärung.

Die Tochter habe währenddessen in einem Nebenraum geschlafen. An Details könne er sich bis heute nicht erinnern. Neben dem Angeklagten sitzt ein Dolmetscher. S. selbst spricht kein Deutsch, ist eigenen Angaben zufolge auch in seiner Muttersprache Analphabet. „Mir wurde erst am nächsten alles klar“, so S. Anschließend habe er die Tat wie einen Selbstmord aussehen lassen.

Die 23-Jährige wollte ein Leben nach europäischem Vorbild führen

„Ich habe meiner Frau das Messer in die Hand gelegt, meine Tochter genommen und bin geflüchtet.“ Das Mädchen habe er zu seiner Schwester, die in Hamburg lebt, gebracht, dann ein Ticket für den Reisebus gekauft. Den Vorwurf, er habe seiner Frau kein Leben ohne ihn gestatten wollen, weist S. zurück.

Die Staatsanwaltschaft ist hingegen überzeugt, dass das streng islamische Weltbild des Angeklagten ihn zu der Tat bewog. Demnach gab es wiederholt Streit zwischen den Eheleuten, weil die 23-Jährige anstrebte, ein Leben nach europäischem Vorbild zu führen, unter anderem beabsichtigte, kein Kopftuch mehr zu tragen. Bereits Monate vor der Tat soll S. seiner Frau gedroht haben, sie zu töten, sollte sie sich von ihm trennen.

Nach Drohung des Ehemannes kehrte das Opfer zu dem 38-Jährigen zurück

„Die Geschädigte litt in der Folge unter starken depressiven Symptomen, die sich auch in körperlichen Reaktionen bemerkbar machten“, so Staatsanwältin Berkenbusch. Mehrfach soll die 23-Jährige Blut gespuckt haben, wurde schließlich in eine Klinik eingewiesen und dort stationär behandelt. „Das Opfer wurde dort unter falschem Namen aufgenommen, weil es befürchtete, von dem Angeklagten aufgespürt zu werden“, so Berkenbusch.

Im Juli 2021 kam die 23-Jährige in ein Frauenhaus, kehrte aber Anfang September zu ihrem Ehemann zurück. Laut Staatsanwaltschaft war es diesem zuvor gelungen, Kontakt mit der Getöteten aufzunehmen. S. habe gedroht, Freunde und Verwandte der 23-Jährigen zu töten, sollte sie nicht zu ihm und der Tochter zurückkehren.

Zeugin schildert herrisches Verhalten des Angeklagten

Den Eindruck des herrischen Ehemannes untermalt auch eine Mitarbeiterin des Ahrensburger Rathauses, die die Flüchtlinge betreut. S. sei „eindeutig der dominante Part“ in der Beziehung gewesen. „In seiner Gegenwart hat seine Frau nie gesprochen, ging immer zwei Schritte hinter ihm“, so die 69-Jährige. Sei sie allein gewesen, sei die 23-Jährige hingegen offen und herzlich gewesen, so die Rathausmitarbeiterin, die bis kurz vor deren Tod per Handy regelmäßig Kontakt mit dem Opfer hatte.

Das Paar hatte 2017 in Afghanistan geheiratet. „Sie hatte großes Interesse, die deutsche Sprache zu lernen, und ging gern zu ihrem Sprachkursus“, erzählt die Verwaltungsmitarbeiterin. S. hingegen habe sich geweigert, an einem Integrationskursus teilzunehmen. „Er hat sich über die Unterkunft beschwert und darüber, dass andere Bewohner zu freizügig gekleidet auf dem Flur rumliefen.“

Während der Zeit im Frauenhaus blühte die 23-Jährige auf

Während der Zeit im Frauenhaus sei die 23-Jährige aufgeblüht. „Sie hat sich sportlich gekleidet, in Jeans und ohne Kopftuch, und war optimistisch, dass jetzt alles besser wird“, sagt die Zeugin und kämpft mit den Tränen. „Mir sagte sie, sie sei nur zurückgekommen, weil sie nicht wollte, dass ihr Mann sie findet und den anderen Frauen im Frauenhaus etwas antut“, so die Rathausmitarbeiterin. Dass S. seine Drohung wahr machen und seine Ehefrau töten könnte, habe sie damals dennoch nicht gedacht. Der Prozess wird schon an diesem Freitag, 18. Februar, mit der Vernehmung weiterer Zeugen fortgesetzt. Das Urteil soll Mitte April verkündet werden.