Sylt. Alles so wie immer auf Sylt? Nicht ganz. Dort, wo junge Reiche rassistische Parolen skandierten, gibt es Widerstand. Und Unverständnis.
Am Bahnhof Westerland auf Sylt herrscht am frühen Freitagabend normaler Betrieb: Volle Züge speien raue Mengen an Wochenendtouristen aus, elegant gekleidete Pärchen flanieren Arm in Arm über die Straßen. Normalerweise sorgt die Insel in der Nordsee mit dem Leben der Superreichen oder hohem Promi-Faktor für Schlagzeilen. Heute liegt jedoch ein kaum merklicher Schleier über dem emsigen Treiben auf Sylt, den auch der träge Sonnenschein und die milde Brise nicht verscheuchen können.
Am gestrigen Donnerstag, den 23. Mai – ausgerechnet also an dem Tag, an dem das deutsche Grundgesetz vor 75 Jahren in Kraft getreten ist – ging ein Video in den sozialen Medien viral, dass eine Gruppe junger Menschen zeigt: Diese brüllen und singen unter anderem „Deutschland den Deutschen, Ausländer raus.“
Spontane Protestaktion vor Pony Bar: Gruppe ist eigentlich für eine Sportveranstaltung auf Sylt
Der Clip sorgte für einen deutschlandweiten Aufschrei. Die Besitzer der Nobelbar Pony beteuerten gegenüber dem Abendblatt eine klare Haltung gegen Rassismus und Nazis. Aber wie ist die Stimmung vor Ort? Die berühmte Whiskymeile in Kampen ist am Freitagabend danach jedenfalls eher mäßig besucht.
Das sei jedoch normal, wenn nicht grade Pfingsten ist, kommentiert ein Passant auf Abendblatt-Nachfrage. Was jedoch ganz und gar nicht normal ist: die siebenköpfige Gruppe junger Menschen, die sich gegenüber vom Pony eingefunden haben. Um einen kleinen Springbrunnen sitzend, steht ein Banner mit der Aufschrift „Kein Platz für Nazis“. Warum sie heute hier seien? „Die Menschen aus dem Video haben sich ganz klar gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung gestellt“, sagt Deike (21), die für die Gruppe spricht.
Dagegen wolle man ein Zeichen setzen. „Hier haben Menschen ganz offen Nazi-Parolen geschrien und den Hitlergruß gezeigt“, so die Studentin aus Hamburg. Eigentlich sei die Gruppe für eine Sportveranstaltung vor Ort, die Aktion hätten sie sich spontan überlegt und angemeldet. „Es hat mich schon ein bisschen schockiert, dass da so wenig Gegenwind kam. Das kann ich so nicht stehenlassen“, meint sie.
Protestaktion auf Sylt: „Uns wurde schon mehrfach der Mittelfinger gezeigt“
„Häufig wollen Leute, die rechte Politik machen, dies verschleiern. Sie stellen sich demokratischer dar, als sie es sind“, erklärt die Studentin weiter ihre Beweggründe. Bei den Gästen gegenüber im Pony scheint die Aktion der Demonstranten jedoch nicht so gut anzukommen: „Wir hatten noch nicht mal unser Essen ausgepackt, da wurde uns schon mehrfach der Mittelfinger gezeigt“, so Deike.
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Das habe der Barkeeper im Pony dann aber unterbunden. „Ich finde es gut, dass ihr hier seid“, habe er zu den Demonstrierenden gesagt. Die Hamburger Sporttruppe ist von dem Verhalten der Gäste überrascht, bleibt aber hart: „Ich glaube niemand würde sich hinstellen und sagen ‚Ich bin ein Nazi‘. Aber wer sich von diesem Plakat angesprochen fühlt, den soll diese Message auch erreichen“, so Deike.
Sylt: Insulaner positionieren sich klar gegen rechts
Auch unter den Insulanerinnen und Insulanern wurde seit Donnerstag vermehrt Stellung gegen rechts bezogen. Die Schokoladenmanufaktur Café Wien hat auf Facebook ein Statement gegen Rassismus veröffentlicht. Die Angestellten dort stammten aus insgesamt 17 verschiedenen Nationen: „Wir danken von Herzen für dieses großartige Team und distanzieren uns vom rechten Mob, der ekelhafte Lieder singt“, heißt es dort.
Am Sonnabendmorgen beherrschte das Video weiterhin die Gespräche an den Sylter Frühstückstischen. „Das ist ja wohl furchtbar“, kommentiert eine ältere Dame gegenüber ihrer Sitznachbarin, als diese sie auf das Video anspricht. „Das ist ja nicht mal mehr rechtsextrem, das ist einfach nur noch braun“, sagt sie und schüttelt den Kopf.