Sylt. Mit seinem neuen Buch möchte Hans Jessel die Insel von „ihrer anderen Seite“ zeigen. Für seine Arbeit steht er im Morgengrauen auf.
Seine erste Spiegelreflexkamera hat sich Hans Jessel von den 300 DM gekauft, die er als Zivildienstleistender in der Schutzstation Wattenmeer auf Sylt als Monatslohn bekommen hat. Das ist jetzt gut 45 Jahre her und war sozusagen der Startschuss für ein Leben als Inselfotograf.
Beim exklusiven Abendblatt-Gespräch in seinem Haus in Westerland schwärmt der waschechte Insulaner: „Mein Beruf ist ein Geschenk. Ich bin eigentlich jeden Tag in der Natur unterwegs und fotografiere. Ich sage es mal so: Ich lebe hier im Paradies und muss einfach nur vor die Haustür gehen. Dort habe ich wunderbare Motive.“
Sylter Fotograf: Sein neues Buch zeigt unberührte Natur auf der Insel
In seiner Laufbahn hat Jessel mehr als 25 Bildbände herausgebracht und weit über 100 Fotokalender produziert. Entstanden sind diese nicht nur auf Sylt, sondern zum Beispiel auch in seinem Lieblingsland Portugal. Zudem ist er auf dem Kreuzfahrt- und Expeditionsschiff „Hanseatic“ als Fotolektor einst über die Weltmeere gereist.
Aber zurück auf die Insel. Vor ihm auf dem Tisch liegt sein neues Buch „Stille Tage auf Sylt“, das vor Kurzem im Ellert & Richter Verlag erschienen ist. „Ich möchte die Insel von ihrer anderen Seite zeigen. Bei mir geht es nicht um Menschen, sondern um die unberührte Natur mit all ihren Facetten. Das schönste für mich ist es, möglichst alleine – zum Beispiel an einem Strand ohne Spuren – zu sein und zu fotografieren.“
Auf 128 Seiten finden die Leser 68 Fotos. Die meisten davon seien im vergangenen Jahr entstanden, sagt Jessel. Das Buch ist in vier Jahreszeiten gegliedert. Im Kapitel Frühjahr fallen die Rantumer Strandtreppe im Rosenmeer oder das turtelnde Möwenpaar am Strand von Kampen ins Auge.
Es sieht so aus, als würden die beiden Vögel für den Fotografen posieren. Hans Jessel lächelt und sagt: „Ich bin zwar da, aber falle nicht auf – so konnte ich mich den Protagonisten bis auf 1,50 Meter nähern. Wir hatten übrigens mal eine Möwe, die in meiner Jugend täglich zu uns in den Garten kam und sich ihren Hering abgeholt hat.“
Hans Jessel: In Kiel Geografie studiert, am Wochenende auf Sylt fotografiert
Aus dem Fenster seines Wohnzimmers fällt der Blick des Künstlers auf sein Elternhaus. Er ist auf der Insel geboren, ist hier aufgewachsen und hat Abitur gemacht. „Ich bin als Kind schon morgens vor der Schule an den Strand gegangen und habe an meiner Sandburg gebaut. Mir war immer wichtig, dass meine die größte war.“
Der Diplom-Geograf hat in Kiel studiert und dort auch seine Frau Silke von Bremen kennengelernt, die vor Kurzem ihren ersten Roman „Stumme Zeit“ herausgebracht hat. Schon sein Studium hat sich Jessel mit der Fotografie verdient. „In der Woche habe ich die Vorlesungen besucht und am Wochenende auf Sylt fotografiert.“
Dieser Mann ist in gewisser Weise ein Süchtiger. „Wenn ich auf der Insel bin, habe ich immer den Druck, außergewöhnliche Stimmungen der Landschaft zu fotografieren.“
Und Jessel ist Frühaufsteher: „Mein Wecker klingelt immer zwei Stunden vor Sonnenaufgang. Nach dem Aufstehen gehe ich zu meinem Ausguck oben im Haus und schaue in alle Himmelsrichtungen. Beobachte, wohin die Wolken ziehen. Dann entscheide ich, wo es mich als Erstes hinzieht.“
Sylt: Der Fotograf ist auf der Insel mit seinem E-Bike unterwegs
Als Fortbewegungsmittel dient ein E-Bike, die Kameras werden in zwei gut gepolsterten Satteltaschen verstaut. Start ist noch vor dem Morgengrauen. „Im Juni ist es besonders hart, da geht die Sonne gegen 5 Uhr auf und ich stehe schon um 3 Uhr morgens auf“, so Jessel. „Wenn ich am Sonntagmorgen in Kampen unterwegs bin, dann bin ich sozusagen auf dem Weg zur Arbeit und treffe dort auf die Nachtschwärmer, die aus den Clubs kommen.“
In der Frühe ist es ansonsten ruhig auf der Insel, dann entstehen Motive wie Schafe im Morgennebel. Das Foto ist auch in seinem aktuellen Buch „Stille Tage auf Sylt“ zu finden. Übrigens hat der Autor zu jedem der Fotos aus seiner Sicht passende Gedichte und Sprüche ausgewählt.
Ein Foto zeigt ein Reetdachhaus in der Braderuper Heide – dazu hat Jessel die Aussage von Wieland Wagner, Opernregisseur und Bühnenbildner, gewählt. Dieser sagte in Bezug auf den Ort: „Hier ist es in jeder Beziehung ideal, ich pfeife auf Italien und Ähnliches.“ Wer die Arbeit von Jessel verfolgen möchte, kann übrigens seinen Fotoblog besuchen.
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Sylt: Rückzugsort des Inselfotografen ist Hamburg-Ottensen
Inzwischen ist Jessel 68 Jahre alt und denkt noch lange nicht ans Aufhören. Aber er geht häufiger auf Reisen, natürlich immer mit seiner Kamera im Gepäck: „Ich interessiere mich eigentlich immer nur für die Küste und Inseln. Aber vor ein paar Jahren habe ich die Schweiz für mich entdeckt und bin ein Freund der Berge geworden.“
Und der Kreative ist in Gedanken schon bei seinem nächsten Buch. Er könnte sich durchaus vorstellen, Motive aus dem Oberengadin im Schweizer Kanton Graubünden und von Sylt in einem Werk zu veröffentlichen.
Übrigens gibt es einen Ort, an den sich der Norddeutsche ab und an zurückzieht: Das ist die kleine Zweitwohnung im Hamburger Stadtteil Ottensen. Dort hat der Fotograf dann Pause und kehrt in eines der vielen Lokale ein, beobachtet einfach nur das pulsierende Treiben „ganz normaler Menschen“ um sich herum.