List/Sylt. Inselpolitiker sind „fassungslos“. In einem Brief an den Kreis Nordfriesland sprechen sie von Vertrauensbruch und einem Skandal.

Die Gemeinde List will den illegalen Abriss des „Alten Gasthofs“ in List auf Sylt und das gering bemessene Bußgeld für den Grundstückseigentümer nicht einfach hinnehmen. Unterstützung hat sich der Lister Bürgermeister Ronald Benck von seinen Amtskolleginnen und -kollegen auf der Insel gesichert. Auch Katrin Fifeik (Wennigstedt-Braderup), Stefanie Böhm (Kampen), Rolf Speth (Hörnum) und Nikolas Häckel (Gemeinde Sylt) haben sich der Kritik angeschlossen und unterzeichnet.

In einem gemeinsamen Brief an Florian Lorenzen, Landrat des Kreises Nordfriesland, der dem Abendblatt vorliegt, heißt es: „Mit diesem Schreiben wenden wir uns gemeinsam an Sie, um unsere Fassungslosigkeit über die Umstände der evident rechtswidrigen Festsetzung des Bußgeldes im Verfahren um den illegalen Abriss des Gebäudes ,Alter Gasthof’ in List auf Sylt zum Ausdruck zu bringen.“

„Skandal“: Bürgermeister auf Sylt legen sich mit Landrat an

Das historische Reetdach-Haus aus dem Jahr 1650 war am 30. Dezember 2022 ohne die erforderliche Genehmigung abgerissen worden. Die Gemeinde List hatte daraufhin eine Wirtschaftskanzlei eingeschaltet. Diese sei zu dem Ergebnis gekommen, dass im Bußgeldverfahren des Kreises gegen den Eigentümer des Grundstücks Paragraf 17 Abs. 4 Ordnungswidrigkeitengesetz (OWiG) anzuwenden sei. Die Gemeinde List war daraufhin von einem Bußgeld in Höhe von mindestens 500.000 Euro ausgegangen.

„Nach dieser Vorschrift soll die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil, den der Täter aus der Ordnungswidrigkeit gezogen hat, übersteigen. Reicht das gesetzliche Höchstmaß hierzu nicht aus, so kann es überschritten werden. Die Regelung soll verhindern, dass sich die Begehung einer Ordnungswidrigkeit für den Täter in irgendeiner Weise lohnt und zugleich andere potenzielle Täter abschrecken. Dieses Gutachten lag Ihnen seit dem 16. Februar 2023 vor“, heißt es in dem Schreiben der Gemeinde weiter.

Gemeinde List holte sich juristische Unterstützung bei der Landesregierung

Dann wird der weitere Verlauf der Gespräche zwischen der Gemeinde List und dem Ordnungsamt sowie in weiterer Folge mit dem Landrat des Kreises im Detail beschrieben. Weil Kreis und Gemeinde in Fragen der Rechtseinschätzung inhaltlich weit auseinanderlagen, entschied sich die Gemeine List zu einer Fachaufsichtsbeschwerde beim Innenministerium in Kiel.

Die Gemeinde List sah ihre juristische Position nach der Stellungnahme des Justizministeriums als gestärkt an und zitiert aus dem Schreiben aus Kiel folgendermaßen: „In den Fällen, in denen der Täter im Sinne einer rein wirtschaftlichen Kosten-Nutzen-Rechnung sehenden Auges eine Ordnungswidrigkeit begeht, wird eine Abschöpfung des Vorteils zwingend geboten sein. Die Nichtbeachtung des Paragrafen 17 Abs. 4 OWiG erweist sich in diesen Fällen als rechtsfehlerhaft.“

Kreis Nordfriesland hatte es eilig und erließ Bußgeldbescheid über 30.000 Euro

Nur einen Tag später, am 23. Mai 2023, habe der Kreis dann einen Bußgeldbescheid in Höhe von lediglich 30.000 Euro erlassen. Der Paragraf 17 sei nicht angewendet, nicht ein einziger Cent des wirtschaftlichen Vorteils, den der Täter durch den Abriss erzielt hat, sei abgeschöpft worden, so die Kritik der Sylter Bürgermeisterinnen und Bürgermeister. Dabei hätte der Kreis angesichts der einschlägigen Verjährungsvorschrift bis Dezember 2025 Zeit gehabt, den Bußgeldbescheid zu erlassen.

Nur wenige Tage später hätte der Anwalt des Eigentümers den Verzicht auf Rechtsmittel erklärt, so dass der Bescheid rechtskräftig wurde. Am 1. Juni schließlich informierte der Kreis Nordfriesland die Presse darüber. Die Gemeinde List auf Sylt habe der Kreis nicht informiert, kritisierten die Bürgermeister. Stattdessen erfuhr Ronald Benck, Bürgermeister der Gemeinde List auf Sylt, durch die Abendblatt-Anfrage vom Bußgeldbescheid.

Alter Gasthof in List: Sylter Bürgermeister missbilligen das Verhalten des Kreises

In der Mitteilung des Kreises hatte es geheißen: „Wir sind davon überzeugt, dass eine entsprechende Wertsteigerung selbst unter Einschaltung eines Gutachters nicht mit so hinreichender Sicherheit nachgewiesen werden könnte, dass ein Gericht einen Bußgeldbescheid, der deutlich über 30.000 Euro hinausgeht, mit Sicherheit bestätigen würde.“

„Wir missbilligen die in der Nichtinformierung zum Ausdruck kommende Missachtung der Gemeinde List auf Sylt durch den Kreis nachdrücklich“, schreiben die Sylter Bürgermeisterinnen und Bürgermeister an den Landrat.

„Skandal“: Bürgermeister auf Sylt warnen vor gefährlichem Präzedenzfall

Und weiter: „Die Kalkulation des Täters, dessen wirtschaftlicher Vorteil durch den Rechtsbruch das verhängte Bußgeld von 30.000 Euro um ein Vielfaches übersteigen dürfte, ist – durch das rechtswidrige Verhalten des Kreises Nordfriesland – aufgegangen. Es ist ein Präzedenzfall geschaffen worden, der weitere historische Gebäude auf Sylt und anderswo im Kreis Nordfriesland gefährdet. Das Vertrauen der Bevölkerung in den Rechtsstaat und die Politik hat, wie viele emotionale Reaktionen der Bürger in unseren Gemeinden zeigen, durch diesen skandalösen Vorgang Schaden genommen.“

Laut gültigem Bebauungsplan darf der Eigentümer des Grundstückes in List auf der Fläche drei Doppelhäuser errichten. Eine Baugenehmigung gibt es bislang nicht.