Der Abriss-Skandal in List ruft Grüne und SSW auf den Plan. Auch viele andere historische Gebäude auf der Nordseeinsel sind bedroht.
- Nach Abriss von Reetdachhaus "Alter Gasthof" fürchten Sylter auch um andere Gebäude
- Grüne und SSW fordern Änderungen am Baurecht
- Viele historische Bauten schon verloren gegangen
Nach dem widerrechtlichen Abriss des 1650 erbauten Reetdachhauses "Alter Gasthof" in List fordern die Lister Grünen und der Südschleswigsche Wählerverband (SSW) Änderungen im Baurecht, um auf dem Grundstück wieder Gastronomie anzusiedeln. Dazu müssten aus ihrer Sicht die derzeit über mehrere Grundstücke verlaufenden Baugrenzen neu gezogen werden: "Wir wollen aufgrund der durch illegales Handeln veränderten Situation eine Neufassung des Bebauungsplans 59 und eine Veränderungssperre.“
Schon in der Sitzung des Bauausschusses am 16. Januar war die Rede davon, rechtlich prüfen zu lassen, welchen Einfluss die Gemeinde auf die Pläne des Investors nehmen kann. Allerdings hatte dieser im Herbst 2021 einen Umbau des Hauses in zwei dauerhaft genutzte Wohnungen (Dauerwohnungen) beantragt, und der Lister Bauausschuss hatte ihm dafür einstimmig grünes Licht gegeben. Eine Kehrtwende Richtung Gastronomie wäre kaum zu begründen. Der Bauantrag war damals vom Kreis Nordfriesland abgelehnt worden.
Sylt: Bebauungspläne können Ausverkauf der Insel nicht verhindern
Olaf Klodt, Vorsitzender der Lister SPD-Fraktion, hält die Forderung der Grünen und des SSW angesichts der am 14. Mai anstehenden Kommunalwahlen in Teilen für "Wahlkampfgetöse": "Ich sehe bislang keine rechtliche Grundlage, den Bebauungsplan zu ändern. Wir würden uns damit schadensersatzpflichtig machen." Das betreffe "jedes einzelne Ausschussmitglied, das dem zustimmen würde".
Aber auch er betont, dass der B-Plan "ohne den ,Alten Gasthof' so nicht aufgestellt worden wäre". Dennoch hält er an ihm fest: "Der Satzungsbeschluss zum B-Plan ist gerade einmal vor eineinhalb Jahren gefasst worden. Wir dürften ihn jetzt noch gar nicht ändern." Außerdem seien gültige Bebauungspläne im Normalfall die beste Handhabe, um Einfluss auf Bautätigkeiten zu nehmen, etwa dafür zu sorgen, dass neben Ferienwohnungen auch Dauerwohnungen gebaut werden. Den "Ausverkauf der Insel" können sie allerdings nicht verhindern, so Klodt. "Und angesichts der Grundstückspreise entstehen Dauerwohnungen, die einfach nicht bezahlbar sind."
„Wir wollen endlich auf das schauen, was möglich ist, und nicht immer nur das gesagt bekommen, was angeblich nicht geht“, sagt dagegen Manfred Koch, Fraktionsvorsitzender des SSW. Dazu brauche es externe fachkundige Beratung, kreatives Denken, rechtssichere Lösungen "und den Mut, gemeinwohlorientierte Entscheidungen zu treffen". Das weitergehende Ziel sei das Ende des ungebremsten Zuwachses neuer Ferienwohnungen. Gleichzeitig sollten die bestehenden Ferienwohnungen der Kleinvermieter im Bestand geschützt werden. „Ich kenne kaum einen Bebauungsplan, der nicht auf fast jedem Grundstück Ferienwohnungen ermöglicht“, so Margot Böhm von den Grünen.
Reetdachhäuser in Keitum und Westerland mit ungewissem Schicksal
Vom Ausverkauf der Insel spricht auch Gästeführerin Silke von Bremen, die sich in der Bürgerinitiative "Merret reicht's" engagiert. Die BI setzt sich vor allem für mehr Bürgerbeteiligung, mehr Wohnraum für die Insulaner und einen nachhaltigen Tourismus ein. Von Bremen engagiert sich stark für die Inselgeschichte und den Erhalt ihrer historischen Zeugnisse, wie der "Alte Gasthof" eines war. Dass alte oder besondere Gebäude Neubauprojekten weichen, sei leider kein Einzelfall, sagt die Gästeführerin.
"Ich erinnere mich, als ich in den 80er Jahren auf die Insel kam, dass immer mal wieder Häuser brannten, und dann fiel diese mir unbekannte Formulierung ,warmer Abriss'. Darunter waren auch alte, vermutlich denkmalgeschützte Häuser. In den letzten Jahrzehnten sind viele Häuser auf verschiedenste Art und Weise verloren gegangen, und mit ihnen auch immer ein wichtiges Stück Geschichte.“ Weiterhin stehe das Schicksal mehrerer erhaltenswürdiger Häuser auf der Kippe.
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Silke von Bremen nennt Beispiele: In Tinnun ist im Oktober 2022 der 1959 erbaute Gasthof "Zur Eiche" abgerissen worden. Das Traditionslokal befand sich 63 Jahre in Familienbesitz. "Es herrschte helle Aufregung in Tinnum", sagt von Bremen, aber natürlich müsse man akzeptieren, "dass ein gastronomischer Familienbetrieb sich irgendwann für einen anderen Weg entscheidet. Man kann keinen Eigentümer verpflichten, auf seinem Grundstück eine Versorgung mit Restaurant und Biergarten anzubieten."
Eine Reetdachkate am Twest Diker 1 in Keitum steht dagegen noch. Von ihr ist allerdings nur eine Ruine übrig. Von Bremen: "Hier gab es sehr viel Engagement vor Ort. Nun hoffen wir, dass das Haus gerettet ist.“ Von einem versuchten kalten Abriss könnte man beim Reinefarth-Haus an der Stadumstraße in Westerland sprechen: Dort wurden ins Reetdach und Mauerwerk des Friesenhauses große Löcher geschlagen, damit Wind und Regen das denkmalgeschützte Gebäude abrissreif machen können. Das alarmierte die Denkmalpfleger in Husum und Kiel. Inzwischen wurden die Löcher mit Planen abgedeckt.
Sylt: SPD-Politiker will Klarheit zum Geschehen rund um den Abriss vom "Alten Gasthof"
Was sich genau am 30. Dezember 2022 beim Abriss des "Alten Gasthof" in List abgespielt hat, und ob Bürgermeister Ronald Benck oder die Kreisverwaltung Nordfriesland möglicherweise falsch reagiert haben, das möchte der Sozialdemokrat Klodt gern geklärt wissen. Zudem hatten am 4. Januar der Bürgermeister und am 10. Januar Margot Böhm von den Grünen Strafanträge gegen den Investor Kammholz gestellt.
Die Staatsanwaltschaft ermittele gerade, ob der ungenehmigte Abriss tatsächlich eine Straftat sei oder nur eine Ordnungswidrigkeit, so die Polizeipressestelle in Flensburg. "Dies muss das letzte alte Haus auf Sylt gewesen sein, das für den Profit geopfert wird", sagt Gästeführerin Silke von Bremen.