List/Sylt. Der Alte Gasthof in List war eines der ältesten Häuser der Insel. Nicht nur der Bürgermeister der Gemeinde ist empört über den Abriss.
Es war eines der ältesten Häuser auf Sylt und ein Schmuckstück in List: Wie aus dem Nichts rückte am Vormittag des 30. Dezembers ein Abrissbagger an und machte den Alten Gasthof, ein 1650 erbautes Friesenhaus, dem Erdboden gleich. Zum Entsetzen vieler Sylter und ehemaliger Gäste des Restaurants mit langer Tradition. Anno 1804 wurde der Gasthof gegründet. Seitdem wurden an der Alten Dorfstraße 5 viele Mahlzeiten serviert, mal aus bodenständiger, mal aus einer gehobener Küche.
Sylt: Abriss von Gasthof ohne Genehmigung vollzogen
„Zum größten Bedauern der Gemeinde List wurde der 200 Jahre Alte Gasthof, für die Gemeinde und die Bürgerinnen und Bürger ein Kulturgut von allgemeiner Bedeutung, durch den Eigentümer widerrechtlich ohne Antrag und Genehmigung abgerissen“, heißt es in einer am Dienstag von der Gemeinde veröffentlichten Mitteilung des ehrenamtlichen Bürgermeisters Ronald Benck. Er habe vor Ort noch mit allen Mitteln versucht, den Abriss zu verhindern – „zu seinem außerordentlichen Bedauern leider ohne Erfolg“.
„Es wurde etwas Historisches zerstört,“ sagt auch Immobilienmakler Heinz Wieda, der seinen Firmen- und Wohnsitz in List hat. „Diesen Abriss eines wirklich tollen Hauses will hier keiner glauben. Es ist ein Skandal. List hat rund 1500 Einwohner. Sie werden hier keinen finden, der sich nicht darüber aufregt.“ Und manch einer lädt seinen Ärger beim ehrenamtlichen Gemeindeoberhaupt ab: Er sei gerade fürchterlich beschimpft worden, dass er den Abriss nicht verhindert habe, sagt Benck dem Abendblatt. Es ist ihm anzumerken, dass er selbst am meisten bedauert, dass er auf das Geschehen keinen Einfluss nehmen konnte.
Historischer Gasthof in List seit 2021 geschlossen
Der Gasthof wurde Ende März 2021 geschlossen und stand seitdem leer. Der damalige Eigentümer, die 12.18. Investment Management GmbH, hatte ihn erst im Februar 2018 erworben. Damals verkündete der Düsseldorfer Projektentwickler: „Oberstes Ziel ist es, den charakteristischen Sylter Charme des reetgedeckten Gebäudes zu erhalten. Zugleich möchten wir dem Alten Gasthof mit einem exklusiven und zeitgemäßen Designkonzept ein modernes, gemütliches Ambiente verleihen, um dem Anspruch der Urlaubsgäste Rechnung zu tragen“, sagte damals Jörg Lindner, geschäftsführender Gesellschafter von 12.18. Investment Management.
Im April 2021 erfolgte der Verkauf an den heutigen Eigentümer. Schon damals bahnte sich ein Ende der Gastwirtschaft an, denn es hieß, er wolle den Gastraum in ein Ferienapartment umwandeln. Doch offenbar hatte der Käufer ganz andere Pläne. Zumindest hat er sie heute. Und denen stand das historische Reetdachhaus im Weg. Immobilienmakler Wieda nennt Details: Das hinter dem Gasthof angrenzende Haus und Grundstück habe der Investor auch erworben. „Der Verdacht liegt nahe, dass die Investoren auch den Alten Gasthof gekauft haben. Vermutlich wollen sie die beiden Grundstücke zusammenlegen.“
Werden auf dem Gelände des Gasthofs zwei Doppelhäuser gebaut?
Dann ließen sich dort zwei Doppelhäuser bauen, so Wieda. „Eine Doppelhaushälfte hat hier auf Sylt einen Marktwert von 2,5 Millionen Euro. Bei einem geschätzten Kaufpreis von gut fünf Millionen Euro für die beiden Grundstücke und Baukosten von vielleicht 1,5 Millionen Euro für die Doppelhäuser ergibt das einen guten Gewinn.“
Der Alte Gasthof stand nicht unter Denkmalschutz. Auf die Schutzwürdigkeit dieses Kulturgutes habe die Gemeinde seit Langem hingewiesen, sagt Benck: „Es gab mehrere Denkmalschutz-Initiativen. Auch auf einer Versammlung zum Denkmalschutz auf Sylt im Jahr 2019 war der Alte Gasthof ein Thema.“
Nicht nur das Gebäude, auch ein Teil der Inneneinrichtung war historisch wertvoll. So befanden sich in dem ehemaligen Bauernhaus Bibelfliesen aus dem 18. Jahrhundert, handgemalte blau-weiße holländische Kacheln mit religiösen wie weltlichen Motiven. Einige zeigten den Walfang auf der Nordsee. „Viele Sylter waren früher auf holländischen und schwedischen Walfängern mitgefahren“, sagt Wieda. Jede Fliese sei um die 200 Euro wert – es ist unklar, ob die Wände der Fliesenstube vor dem ungenehmigten Abriss entfernt worden waren.
Sylt: Bürgermeister kämpfte um den Erhalt des Gasthofs
Im Dezember standen plötzlich zwei Container auf dem Grundstück des Alten Gasthofs. Der Bürgermeister schlug Alarm bei der Unteren Denkmalschutzbehörde, der Kreisverwaltung in Husum, und bat um Unterstützung für den Erhalt des Reetdachhauses. Kurz vor Weihnachten war im Onlineportal shz.de zu lesen, dass die Behörde im neuen Jahr bei einem Vor-Ort-Termin den Schutzstatus des Gebäudes überprüfen wolle. Möglicherweise habe dies den Ausschlag für den Abriss einen Tag vor Silvester gegeben, mutmaßt der Bürgermeister.
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Ronald Benck konnte beim Abriss nur noch zusehen. Noch am vergangenen Freitag, dem Abrisstag, hatte er versucht, mit einer einstweiligen Verfügung den Alten Gasthof zu retten. Doch damit war er beim Landesamt für Denkmalschutz in Kiel gescheitert. Schließlich stehe das Haus nicht unter Denkmalschutz, lautete die Begründung. Die fehlende Abrissgenehmigung konnte den Bagger ebenfalls nicht stoppen.
„Die Gemeinde List auf Sylt wird nun mit allen ihr rechtlich zur Verfügung stehenden Mitteln reagieren, um zumindest für die Zukunft Investoren zu signalisieren, dass widerrechtliches Handeln Konsequenzen nach sich zieht und nicht per se zu einer Gewinnmaximierung führt“, heißt es in der offiziellen Gemeinde-Mitteilung. „Der Bürgermeister und die Gemeindevertretung sind fassungslos über ein solches Verhalten.“