Tinnum auf Sylt. Anfang des Jahres gab es noch acht Apotheken auf der Insel. Nun sind es nur noch fünf. Die Betroffenheit ist groß, der Verband besorgt.

Noch ist die Tür offen, aber einige Regale sind schon leer. Marion Günther steht hinter dem Verkaufstresen ihrer Apotheke St. Severin auf Sylt. Eine Kundin kommt mit schnellen Schritten herein, in der Hand ein Rezept. „Das müssen wir bestellen“, sagt Mitarbeiterin Petra Benck mit Blick auf das verschriebene Medikament. Passiert jeden Tag mehrfach, eine ganz normale Sache. Eigentlich.

Aber in der St.-Severin-Apotheke ist schon seit einigen Wochen nichts mehr normal. Apothekerin Günther schließt für immer. „Sie müssen Ihre Bestellung bis Freitagabend abholen“, gibt die Mitarbeiterin der Kundin auf den Weg. Der 25. November ist der letzte Tag der Tinnumer Apotheke.

Drastisches Apothekensterben auf Sylt

Schmerztabletten, Blutdrucksenker, Pflaster, Sonnenschutzmittel – jetzt müssen Sylter und Urlauber weiter fahren, wenn sie eine Apotheke brauchen. Marion Günther ist schon die dritte Apothekerin seit März, die dichtmacht. Anfang des Jahres gab es noch acht Apotheken auf der Insel, jetzt sind nur noch fünf.

„Wir sehen das mit großer Sorge“, sagt Georg Zwenke, Geschäftsführer des Apothekerverbands Schleswig-Holstein in Kiel. Das Problem sei, dass die anderen Apotheken die Arbeit übernehmen müssen und vor allem die Notdienste sicherstellen. Die Rechnung ist einfach: Bei fünf Apotheken auf der Insel muss von Dezember an jede alle fünf Tage in Bereitschaft sein. „Das ist eine große Belastung.“

Dass in der St.-Severin-Apotheke jetzt die Lichter ausgehen, hat mehrere Gründe. „Ich habe mich vor etwa einem Jahr entschlossen, aufzuhören“, sagt Marion Günther, die inzwischen im Rentenalter ist. Seit 21 Jahren hat die Schleswig-Holsteinerin die Apotheke in Tinnum geführt.

Eigentlich wollte sie den Betrieb mit vier Angestellten an einen Nachfolger verkaufen. Sie schaltete Verkaufsanzeigen in der Fachpresse, hatte mehrere Interessenten. „Mit einer Apothekerin war ich mir schon so gut wie handelseinig“, sagt Günther.

Hohe Immobilienpreise auf Sylt: Discounter statt Apotheke

Dann der Schock. Das Gebäude in einem kleinen Nahversorgungszentrum am Ortsrand von Tinnum, in dem Günther ihre Räume gemietet hat, wurde verkauft. Schon Ende 2021 hatte die Eigentümerin, das Unternehmen Stolz, das kleine Kaufhaus in direkter Nachbarschaft geschlossen. Günther erfuhr davon aus dem Internet.

„Ich habe erst mal alles gestoppt“, sagt die Apothekerin. Inzwischen gehört der Zweckbau dem Discounter-Riesen Lidl, der es abreißen und auf dem Grundstück einen neuen Markt errichten will. „Da war mir klar, dass ich die Apotheke nur noch schließen kann.“

Die St. Severin-Apotheke gibt es seit 1988. Jetzt soll das Gebäude einem Neubau des Discounters Lidl weichen.
Die St. Severin-Apotheke gibt es seit 1988. Jetzt soll das Gebäude einem Neubau des Discounters Lidl weichen. © Hanna-Lotte Mikuteit

Altersgründe, Mietpreise, Kostensteigerungen, Personalmangel – es gibt mehrere Gründe für das Apothekensterben auf Sylt. Schon Ende Februar hatten die Uwe-Jonas-Lornsen-Apotheke in Keitum geschlossen. Wenige Tage später machte die Nordsee-Apotheke in Westerland dicht. Wer jetzt auf der Insel Medikamente braucht, bekommt diese nur noch in Westerland, Wenningstedt oder List.

Verband: 2023 schließen in Schleswig-Holstein 30 Apotheken

Auch in anderen Teilen Schleswig-Holsteins sind in diesem Jahr Apotheken verschwunden. Anfang 2022 gab es nach Angaben des Apothekerverbands landesweit noch 613 Apotheken, Ende des Jahres sind es weniger als 600. „Wir befürchten weitere Schließungen“, sagt Geschäftsführer Zwencke nach einer aktuellen Umfrage unter den Mitgliedern. Weitere 30 Apotheken könnten demnach im nächsten Jahr aufgeben, betroffen sind nicht nur ländliche Regionen.

„Das Problem ist, dass wir auf einen Seite stark steigende Kosten haben, aber die Preise staatlich festgesetzt und damit gedeckelt sind“, sagt der Branchenexperte. Energie, Personal, Mieten, Lieferkosten und Digitalisierung, alles werde teuer. „Aber die Apotheker können nicht nur ihre Preise nicht erhöhen, sondern müssen 2023 auch noch einen Abschlag an die Krankenkassen zahlen.“ Ende Oktober hatten viele Apotheken deshalb die Arbeit niedergelegt.

Kunden auf Sylt kämpfen mit den Tränen

In der St.-Severin-Apotheke ist in den letzten Stunden vor der Schließung noch richtig viel Betrieb. Schon vor einigen Wochen hatte Apothekerin Günther angefangen, das Warenlager zu räumen. Viele Artikel sind reduziert. Aber es kommen auch viele, die sich verabschieden wollen. „Wir haben viele Stammkunden, vor allem aus dem Sylter Osten“, sagt sie. „Für die ist es bitter.“ Eine langjährige Kundin habe gesagt: „Sie kann am Freitag nicht kommen, weil ihr sonst die Tränen kommen.“

Auch die Apothekerin ist wehmütig. „Ich bin zwischen den Welten“, sagt sie. In den nächsten Wochen wird sie mit ihrer langjährigen Mitarbeiterin Petra Benck die Apotheke ausräumen. Die freie Zeit danach will sie vor allem mit der Familie verbringen. Gemeinsam mit ihrem Ehemann hat sie einen Resthof auf dem Festland, der Sohn mit Familie lebt in Bayern. „Aber ich behalte ein Standbein auf Sylt“, sagt Marion Günther. „Ich bin und bleibe Sylt-Fan.“