Norderstedt. Aus Frust über die Gesundheitspolitik und höhere Zahlungen setzen Apotheken auch in Norderstedt ein Zeichen. Was sie fordern.

An einem Mittwochnachmittag vor der verschlossenen Tür einer Apotheke zu stehen, war für die Menschen in Norderstedt ein ungewohntes Gefühl. Doch der Streik, zu dem landesweit sowie in Hamburg, Brandenburg und im Saarland aufgerufen war, zeigte sich im Alltag deutlich. Von 15 Apotheken in der Stadt hatten neun ab 12 Uhr geschlossen, eine war für den Notdienst zuständig – und nur fünf hatten wie gewohnt geöffnet.

Der Aktionstag ist ein Protest gegen die Politik der Bundesregierung und von Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD). Die Finanzreform der Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) sorgt für großen Ärger in der Branche. Immer mehr Apotheken treibt die Sorge vor existenzieller Not um.

Manche hängten die Plakate auf und schlossen ab. Michael Steffen, Inhaber der Glashütter Apotheke sowie der Eichen-Apotheke, suchte das Gespräch. Der Apotheker wartete zusammen mit seiner Kollegin Elisabeth Schröder, der pharmazeutisch-technischen Assistentin Nadine Meier und der pharmazeutisch-kaufmännischen Assistentin Heike Carlsson vor der Tür und informierte die Kundschaft über die Probleme.

Apothekenstreik in Norderstedt: „Irgendwann ist mal Schluss“

„Angestaut hat sich das schon länger. Wir haben seit ungefähr 15 Jahren keinen Inflationsausgleich erhalten. Die Inflation macht bei uns aber nicht Halt. Die Löhne erhöhen sich, die Großhändler kürzen ihre Konditionen. Und jetzt möchte der Gesundheitsminister noch einmal bei uns kürzen. Irgendwo ist dann mal Schluss.“

Ein Gesetzentwurf, der am Donnerstag im Bundestag Thema ist, kommt für die Apotheken einer Honorarkürzung gleich. Der Abschlag, den sie an die GKV pro verschreibungspflichtigem Arzneimittel zahlen, soll sich um 23 Cent auf 2 Euro erhöhen. Unverändert bleibt der Fixzuschlag – seit 2013 steht dieser 8,35 Euro.

Die große Apotheke im Herold-Center nahm ebenfalls am Streik teil.
Die große Apotheke im Herold-Center nahm ebenfalls am Streik teil. © Christopher Mey | Christopher Mey

Steffen rechnet vor: „Wenn man zwischen 3000 und 6000 Packungen pro Jahr abgibt, summiert sich das im Schnitt auf 5000 bis 10.000 Euro pro Apotheke. Das kann nicht mehr sein, das ist zu viel. Es wird viele Apotheken geben, die dann sagen: Wir machen dicht. Es lohnt sich nicht mehr. Das Risiko ist zu hoch. Wir sind eingetragene Kaufleute, die mit ihrem eigenen, privaten Vermögen haften. Und wenn etwas schiefgeht, ist alles weg – nicht nur die Apotheke.“

Apotheker: Vielleicht bei den Krankenkassen sparen

Es hätte aus Steffens Sicht einen anderen Weg geben müssen. „Auch wenn die Krankenkassen Lücken haben – sie haben auch Rücklagen gebildet. Und was man sehen muss: Es kann nicht bei einzelnen Dienstleistungen gespart werden. Letztendlich wäre eine Erhöhung der Krankenkassengebühren sinnvoll. Vielleicht sollten wir auch bei den Krankenkassen sparen, denn da ist auch viel Verwaltungskosten, viele sonstige Sachen, wo keiner weiß, was dahinter steht, zum Beispiel Werbung. Und es wird auch Budget für Prunkbauten verpulvert, die nicht für die Allgemeinheit sinnvoll sind.“

Die flächendeckende Versorgung ist in Gefahr, sagt er. „Es gibt kleine Apotheken, wo sich das nachher schon widerspiegeln wird mit den Umsatzeinbußen und die sich überlegen werden, ob es sich lohnt mit dem Aufwand und dem Risiko.“

„Wir wollen den Patienten nichts Böses“

Es gehe auch um eine falsche Wahrnehmung. „Man hat das Gefühl, dass jeder denkt, wir hätten einen Goldesel und eine Scheindruckmaschine. Wir leisten viel, und haben auch in der Pandemie bewiesen, dass wir viel können. Wir möchten, dass wir anders angesehen werden.“

Lotte Schuhr, die Inhaberin der Spitzweg-Apotheke am Kielortplatz, wirbt um Verständnis. „Wir haben bewusst den Mittwochnachmittag genommen, da dann die meisten Ärzte zu haben. Denn wir wollen den Patienten nichts Böses.“

Sie spricht von einer „Diskrepanz“, denn: „Wir haben einen staatlichen Auftrag, den wollen wir erfüllen. Es werden viele Reglements verlangt, was auch richtig ist. Aber wir sind auch Kaufleute. Wir sind an der vordersten Front für die Menschen da. Und das machen wir gerne. Aber in welcher Branche gibt es seit zehn Jahren keine Erhöhung?“

Stephanie Suhrbier hatte mit ihrer Erlen-Apotheke in Norderstedt Notdienst.
Stephanie Suhrbier hatte mit ihrer Erlen-Apotheke in Norderstedt Notdienst. © Annabell Behrmann | Annabell Behrmann

Streik in Norderstedt: Michael Steffen hätte sich gewünscht, dass alle mitmachen

Die Corona-Zeit hat Frust hinterlassen. „Ich verstehe nicht, wie wir systemrelevant sein sollen, wenn es um Aufgaben geht, die niemand erfüllen will – aber im Nachgang dann gesagt wird, dass wir nicht daran verdienen.“

Einige Apotheken in der Stadt hatten normal geöffnet – und dafür wohl etwas mehr Kundschaft. „Ich hätte mir schon gewünscht, dass alle mitmachen, damit wir ein klareres Signal senden und die bedrohliche Lage mehr zeigen“, so Michael Steffen. „Und nicht nur die vier Bundesländer, sondern ganz Deutschland.“

Notdienst der Erlen-Apotheke: Kunden zeigen viel Verständnis

Die Erlen-Apotheke in Friedrichsgabe hätte mitgemacht, hatte aber Notdienst für dringende Bedarfe. Inhaberin Stephanie Suhrbier sprach aber Kundinnen und Kunden über den Streiktag. Suhrbier: „Viele wussten bereits Bescheid und konnten unsere Situation verstehen und nachvollziehen. Der Sinn des Streiks ist nicht, die Leute vor den Kopf zu stoßen oder ihnen zu schaden.“

Die Apotheken, so Suhrbier, hätten lediglich die Bürgerinnen und Bürger über ihre prekäre Lage informieren und sensibilisieren wollen. Denn wenn die Apotheken weiterhin weniger Einnahmen verzeichneten, müssten viele eine Schließung in Erwägung ziehen.

Stephanie Suhrbier: „Die Aktion soll zeigen, wie es wäre, wenn keine Apotheken vor Ort mehr da wären.“