Wenningstedt-Braderup/Sylt. Die Zahl der Betriebe sinkt seit Jahren. Die Pension Leißner gibt es seit 1927. Ein Gast aus Ahrensburg kommt schon seit 62 Jahren.
Frühstücksbuffet? Gibt's bei den Leißners nicht. Als Gast nimmt man morgens am gedeckten Tisch im Frühstücksraum Platz. Kaffee und Vollkornbrot, weichgekochtes Ei im Thermobehälter und Marmelade in Mini-Gläschen – dazu alles andere, was man zum Start in den Tag mag. Ganz nach persönlichem Wunsch. „Unsere Gäste schätzen das sehr“, sagt Torsten Leißner und lächelt.
Sylt: Pensionswirt öffnet auch mitten in der Nacht
Gemeinsam mit Ehefrau Petra führt er eine der letzten klassischen Pensionen auf der Insel Sylt. Wer stylische Hotel-Atmosphäre und trendiges Design sucht, ist in dem alteingesessenen Familienbetrieb in Wenningstedt falsch. Die Zimmer sind gemütlich. Es gibt einen Wasserkocher, um jederzeit Tee oder Kaffee zu kochen. Aber keinen Fernsehapparat. Ein Gerät für alle steht im Frühstücksraum, genau wie der Kühlschrank mit kalten Getränken. Bei den Leißners geht es wie zu Hause. Familiär eben. Anschluss ausdrücklich erwünscht. Und wenn man den Schlüssel vergessen hat, öffnet der Hausherr auch zu nachtschlafender Zeit ohne Murren die Tür.
„Vor 15 Jahren gab es in Wenningstedt noch 15 Pensionen, jetzt sind es noch vier. Wir sind eine aussterbende Art“, sagt Pensionswirt Leißner und liefert den Grund gleich mit. „Es ist ein Generationenproblem. Eine Pension ist Arbeit von morgens vor 6 Uhr bis abends spät, sieben Tage die Woche. Das wollen heute nur noch die wenigsten“, sagt der 57-Jährige, der mit seiner Familie auch im Haus lebt. Vor sieben Jahren haben die Eheleute den elterlichen Pensionsbetrieb übernommen und nach und nach umgebaut.
Pensionswirte machen alles selbst
Leißner ist im Hauptberuf Tischler beim Tourismusservice in Westerland. Das Tagesgeschäft macht seine Frau. Personal gibt es nicht. „Da steckt viel Herzblut drin“, sagt er. Und so wie das bei dem Nachfahren einer alteingesessenen Sylter Familie klingt, ist es ein Statement, das er Luxus-Modernisierung und Immobilienhype auf der Nordseeinsel entgegensetzt.
Seit fast Hundert Jahren vermietet seine Familie in Wenningstedt Zimmer an Urlaubsgäste aus der ganzen Republik, aus Österreich, der Schweiz, Frankreich und England. Sein Ur-Großvater hatte das Klinkergebäude in unmittelbarer Strandnähe, in dem die Pension bis heute ist, aus einer Insolvenzmasse gekauft. Eigentlich war es als Wohnstätte für seine junge Familie gedacht.
Hindenburgdamm brachte die Urlauber nach Sylt
Das war Anfang der 1900-er Jahre. Zwanzig Jahre später, der Bau des Hindenburgdamms als neue Verbindung von Sylt ans Festland hatte gerade begonnen, wurde es eine Pension. Sein Schwiegersohn war es, der das Potenzial des Damms für den Fremdenverkehr erkannte. Schon einen Monat nach der Eröffnung, am 1. Juli 1927, eröffnete das geschäftstüchtige Friesenpaar ihren Pensionsbetrieb, zunächst unter dem Geburtsnamen von Ehefrau Helene, einer Tochter des legendären Kapitän Andresen und ganz alter Inseladel.
Der erste Eintrag im Gästebuch stammt aus dem Sommer 1928. „Wem Stärke, Mut und Nervenkraft die Sylter Luft neu entfacht. Wen frohe Wirte, sauberes Heim bewahrt vor betrüblichen Einsamsein. Der ruft mit uns voll dankbarem Sinn 'Hoch Wenningstedt, wir kommen bald wieder hin'“, schreibt ein dankbarer Urlauber aus dem Anhaltinischen. In neun Zimmern wurden die 16 Hausgäste untergebracht. Zum Abendessen gab es Scholle satt, geangelt vom Hausherrn. Dazu viel Bier und Korn.
2,60 Mark pro Gast und Nacht
2,70 Mark kostet der Aufenthalt im Jahr 1934 pro Gast und Nacht, inklusive eines einfachen Frühstücks. Wer ein Ei wollte, musste extra zahlen. Nachdem die Pension während des Zweiten Weltkriegs geschlossen war, übernahmen in den 1950-er Jahren die Eltern des heutigen Eigentümers die Geschäfte.
„Als ich Kind war, gab es rundherum fast keine anderen Häuser“, erinnert sich Torsten Leißner. Heute ist das Gebiet rund um die Seedüne in Wenningstedt, wie die Straße seit einigen Jahren heißt, komplett vollgebaut. Appartementanlagen, Ferienhäuser aus vier Jahrzehnten – je nach Lage und Größe im Wert von mehrstelligen Millionenbeträgen. Das kastige Backstein-Gebäude mit den stilisierten Möwen am Giebel und dem Strandkorb in der Einfahrt wirkt da fast wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.
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Die meisten Gäste kommen immer wieder. Der Älteste schon seit 62 Jahren, erzählt der Pensionswirt von einem Herrn aus Ahrensburg. Inzwischen ist er 92. „Wenn er im Mai und August kommt, sagt er immer: Das ist wie nach Hause kommen.“
Pension auf Sylt: Schlicht statt Sauna und Schwimmbad
Es sind vor allem die Sylt-Urlauber, die Ruhe und Langsamkeit suchen und auch mal jemand zum Schnacken haben wollen. So wie eine Lehrerin aus der Nähe von München, die in dem Jahr zum achten Mal die bayrischen Herbstferien Anfang November in der Wenningstedter Pension verbringt. „Ich mag das Schlichte, brauche weder Schwimmbad noch Sauna“, sagt sie und guckt von ihrem Frühstücksplatz, wie der Regen an diesem Morgen gegen die Fensterscheiben schlägt.
Nachher wird sie Gummistiefel anziehen und zum Strandspaziergang aufbrechen. „Die Insel hat eine großartige Natur. Für mich ist das ein besonders schöne Zeit.“ Abends sitzt sie gern noch unten und guckt die Tagesschau, trinkt dabei auch mal ein Bier.
90 Euro kostet ein Doppelzimmer heute
Dabei bekommt man die spektakulären Naturgewalten auf der Insel der Reichen und Schönen zu vergleichsweisen sehr moderaten Preisen. 85 Euro kostet laut der aktuellen Preisliste 2023 das Doppelzimmer in der Nebensaison, in der Hauptsaison sind es 90 Euro – inklusive der kostenlosen Nutzung der Busse. Die Geschäfte laufen. „Wenn es sich wirtschaftlich nicht lohnen würde, würden wir es nicht machen“, sagt Torsten Leißner.
Dass der Wenningstedter Familienbetrieb inzwischen einer der letzten seiner Art ist, wirft auch ein Schlaglicht auf den Wandel auf Sylt. In Wenningstedt bieten außer den Leißners nur noch die Pensionen Sticker, Mövennest und Luuward private Zimmer an.
Andrea Schlichte, Leiterin der Tourismusinformation in dem Seebad und seit 40 Jahren in der Branche, beobachtet seit langem, wie Zahl der Pensionen abnimmt. „Die Tendenz geht zu Ferienwohnungen und Ferienhäusern“, sagt sie. Für die Gastgeber sei das weniger aufwendig, viele Gäste schätzten die Unabhängigkeit. Aber, so Schlichte, gerade für viele Alleinreisende sei die Entwicklung traurig. „Der Anschluss geht verloren.“
Gemeinde Sylt: nur 204 Pensionsbetten
In anderen Inselgemeinden ist die Zahl der Betriebe in den vergangenen Jahren ebenfalls immer weiter zurückgegangen. Auch wenn die die Abgrenzung zu Kategorien wie privater Zimmervermietung und Hotel Garni nicht immer ganz eindeutig ist. Im Bereich der Inselgemeinde Sylt mit Westerland, Tinnum, Keitum, Morsum, Archsum, Munkmarsch und Rantum wurden 2021 noch 204 Betten in Pensionen gezählt. Zum Vergleich: In Ferienappartements sind es mehr als 30.000, in Hotels und Hotels Garni immerhin noch gut 4000.
„Die Nachfrage der Vermieter ist als gering einzustufen“, heißt es beim zuständigen Insel Sylt Tourismus-Service. Und, auch das gehört zur aktuellen Entwicklung: „Seitens der Urlauber ist eine das Angebot leicht übersteigende Nachfrage nach Pensionen zu verzeichnen, wobei dies fast grundsätzlich mit der Suche nach günstigen Unterkünften einhergeht.“
Ehepaar aus Süddeutschland eröffnet Pension auf Sylt
Aber es geht auch anders. Alexandra und Olaf Mundszinger haben erst im vergangenen Jahr die Pension Luuward in Wenningstedt übernommen, nachdem die Vorbesitzerin sie aus Altersgründen schließen musste. Das Ehepaar aus dem Markgräflerland im äußersten Südewesten Deutschlands hat Hausübernommen, komplett renoviert und jetzt bietet zwölf Betten in sieben Zimmer an. „Es ist viel Arbeit, aber es läuft“, sagt die Pensionswirtin, die sich mit dem Umzug nach Sylt einen Traum erfüllt hat.
„Unsere Gäste wollen nicht eine Nummer unter vielen sein“, sagt auch Pensionswirt Torsten Leißner. „Zu uns kommen die, die zu uns passen.“ Das macht den Charme aus und auch den Spaß. „Wir machen das weiter, solange wir es schaffen.“ Das Vorbild ist seine Mutter, die den Betrieb 57 Jahre lang geführt hat. Eine Änderung haben er und seine Frau sich allerdings verordnet: von Ende November bis März geht die Pension in die Winterpause.