List auf Sylt. Anne Schacht geht täglich mit bis zu zehn Vierbeinern auf der Insel spazieren. Warum sie keine Hunde von Touristen ausführt.
Anne Schacht kennt die schönsten Spazierrouten auf Sylt in- und auswendig. Dreimal täglich läuft sie durch die Dünen, die Wäldchen, am Strand entlang – und erregt dabei nicht selten Aufsehen. Schließlich hat Schacht dabei bis zu zehn Hunde im Schlepptau! Sie betreibt den einzigen Gassi-Service "Inselhund" auf Sylt.
An diesem brütend heißen Sylt-Sommertag folgen der 38-Jährigen Joy, Hardy, Coco und Prince auf Schritt und Tritt. "Ich sag mal, sechs oder sieben Hunde sind so die "goldene Zahl", manchmal habe ich auch zehn dabei", so Hundesitterin Schacht.
Der "Inselhund" ist Sylts einziger Gassi-Service – und ein "Hunde-Kindergarten"
An jenem Tag reichen ihr vier Hunde – schließlich muss sie nebenbei noch ein paar Fragen zu ihrem eher außergewöhnlichen Job beantworten. Etwa, welche Strecken sie mit den Vierbeinern so zurücklegt. Das sind mindestens zwölf, aber an guten Tagen ganze 20 Kilometer täglich, "und zwar bei Wind und Wetter – egal, ob es regnet, schneit oder stürmt", erzählt sie.
Die meisten der Hunde gehören dabei Stammkunden, die fest auf der Insel leben. Vornehmlich im Sommer kommen auch Hunde von Zweitwohnungsbesitzern in den Gassi-Genuss.
"Touristen-Hunde bergen ein zu großes Risiko", sagt Schacht. Sie müsse die Tiere schließlich gut kennen, wenn sie mit so vielen Hunden zugleich unterwegs ist. Auch das Gruppengefüge müsse stimmig sein, damit sie vorausschauend laufen kann.
Die Hundeflüsterin von Sylt: Gassi gehen mit zehn Hunden
"Die Hunde müssen parieren und rückholbar sein. Deshalb mache ich mit neuen Hunden immer ein Probegassi", erzählt sie. Mit so vielen Hunden die Insel zu erkunden, verlange ganz schön Konzentration ab. Schacht muss stets alle Vierbeiner im Blick behalten: "Im Prinzip ist das ja nichts anderes als ein Kindergarten, ein Hunde-Kindergarten eben", beschreibt sie.
Einige Tiere habe sie auch schon ablehnen müssen. "Aber auf die Rasse kommt es mir dabei gar nicht an. Ich gehe auch mit einem Listenhund Gassi, wenn er sozial kompatibel ist", sagt die Kleinunternehmerin.
Spannend findet Schacht es immer wieder zu beobachten, wie sich Trendhunde durchsetzen. Dann kommen plötzlich massenhaft Kunden mit Dalmatinern oder Französischen Bulldoggen. "Wenn die zu sehr hochgezüchtet sind, bekommen die Rassen aber oft ein paar Macken", sagt sie.
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Wie viel Charakter bringt die Rasse denn überhaupt mit? "Man kann schon sagen, dass Labradore oft etwas distanzlos sind und Französische Bulldoggen stur. Aber nicht alle – das ist schon charakterabhängig." Und vom Herrchen oder Frauchen, versteht sich.
Sylt: ein Hunde-Paradies inmitten der Nordsee
"Sylt ist eine tolle Hundeinsel", schwärmt Schacht – Sie muss es wissen. Klar, die meisten Hunde lieben das Herumtollen im Sand, viele auch das Bad in den Wellen.
Zudem seien beinahe alle Etablissements und Ferienwohnungen auf der Nordseeinsel extrem hundefreundlich. Dass nach Schätzungen des Sylt-Marketings rund jeder dritte Gast seinen Hund mit auf die Insel nimmt, mag Grund oder Konsequenz dessen sein.
Allerdings könnte die Insel den Vierbeinern noch viel mehr bieten, meint Schacht: "Für die Masse an Hunden gibt es zum Beispiel noch immer zu wenige Hundestrände." In der Hochsaison müssen die Tiere zudem beinahe überall angeleint werden, in der Nebensaison sind die Regularien etwas lockerer.
Auch, dass es in Westerland nur drei Auslaufgebiete gibt, findet Schacht schade. Weil dort so viele Hunde unterwegs sind, grassieren auf den Wiesen zudem allerhand Bakterien und Hundekrankheiten, berichtet sie.
Woran es dem Hundeparadies Sylt ebenfalls mangelt: einer Tierpension. Eine solche zu eröffnen, wäre Schachts großer Traum. Seit Jahren sucht sie erfolglos entsprechende Räumlichkeiten, bleibt aber hoffnungsvoll: "Vielleicht sollte es noch nicht sein." Irgendwann werde sie ihre Pension schon eröffnen und den Hunden einen Sylt-Urlaub gönnen können, der sich gewaschen hat.
Hunde kommen ausgepowert und zufrieden zum Herrchen zurück
"Die Auslöserin für "Inselhund" war meine Wilma, die ich vor acht Jahren aus dem Tierschutz in Rumänien geholt habe", erzählt die gebürtige Hamburgerin. Erst vor wenigen Tagen musste Schacht von der Hündin Abschied nehmen, sie auf ihrem letzten Weg begleiten. "Aber Wilma wird für immer Teil des "Inselhunds" bleiben." Als "ihren" Hund bezeichnet sie nun nur noch Theo, einen Australian-Shepherd-Terrier-Mischling, der ebenfalls aus einem rumänischen Auffanglager stammt.
Sie sei mit Hunden großgeworden, habe schon immer eine Leidenschaft für die Tiere gehegt. Die Verantwortung für die vierbeinigen Familienmitglieder ihrer Kunden sowie das Gefühl, diese nach einem langen Tag zufrieden und ausgepowert wieder bei Herrchen und Frauchen abzugeben, sind ihre größte Motivation, wie sie erzählt.
"Inselhund" nur Nebenbeschäftigung: "Es ist nicht leicht, hier zu leben."
Schachts Leidenschaft ist groß genug, um sieben Tage in der Woche dreimal täglich mit den Hunden unterwegs zu sein – komme, was da wolle. "Klar, manchmal habe ich auch gar keine Lust", gibt sie zu. So ist das ja in den meisten Jobs.
Zumal der "Inselhund" für sie nur eine geliebte Nebenbeschäftigung ist. Schacht arbeitet hauptberuflich als leitende Hausdame im Lister Hotel A-ROSA. "Schon weil ich den ganzen Tag Menschen um mich habe, genieße ich die Zeit mit den Hunden", sagt sie schmunzelnd.
Auf die Insel ist Schacht bereits vor zwölf Jahren gekommen. Sie jemals wieder zu verlassen, plant die gebürtige Hamburgerin nicht. "Häufig denke ich mir schon: Verdammt, haben wir es schön hier!", sagt sie, wendet jedoch ein: "Aber es ist nicht leicht, hier zu leben." Mit einer klassischen 40-Stunden-Woche sei ein Leben auf Sylt insbesondere aufgrund der teuren Wohnungen kaum zu finanzieren.
Dass die Insel in der Hauptsaison so touristenüberfüllt ist, bemängelt sie ebenfalls: "Am schönsten ist Sylt zu jeder Zeit, in der nicht gerade Ferien sind – und meine Lieblingszeit war, wie für viele Bewohner der Insel, der Lockdown." Damals habe sie die einmalige Natur der Insel noch einmal mit ganz anderen Augen sehen können.
Nun hat Schacht es aber eilig – denn Herrchen und Frauchen warten auf ihre Vierbeiner. Sie lässt Joy, Hardy, Coco und Prince in ihre Boxen des Dacia Dokkers springen, verabschiedet sich und braust los. Vier hochzufriedene Inselhunde und eine leidenschaftliche Sitterin machen sich auf den Weg nach Kampen.