Sylt. Bei Dittmeyer's Austern-Compagnie dreht sich alles um die edle Muschel. Wieso Austern auf keinen Fall geschlürft werden sollten.
Seit seiner Gründung 1986 ist "Dittmeyer’s Austern-Compagnie" ein Unikum in Deutschland. In der Blidselbucht zwischen List und Kampen auf Sylt arbeiten Deutschlands einzige Austernfischer im Takt der Gezeiten.
Sie schuften im Watt, auf den Austernbänken und dem Lister Betriebsgelände. Bis zu 800.000 der weit über List hinaus bekannten Sylter Royal ernten sie im Jahr. Das sichert der Compagnie einen Marktanteil von 20 Prozent deutschlandweit und 80 Prozent auf Sylt.
Sylt: Austernfischer Dittmeyer ist der "Sylter Royal" treu geblieben
Clemens Dittmeyer ist Gründer und Geschäftsführer der Compagnie samt Restaurant. Doch im Watt zwischen den Austerntischen, im Pontonboot auf Wildausterhatz oder im Trecker Richtung Blidselbucht findet man in erster Linie Christoffer Bohlig, seit 2008 Betriebsleiter und Chef der sechsköpfigen Austernfischer-Truppe.
Ihn hat es nach einem abgebrochenen Biologiestudium erst zum Praktikum und dann zur Ausbildung auf die Insel verschlagen. Mit einer Unterbrechung für das Studium der Verfahrens- und Biotechnik in Flensburg ist er der Sylter Royal treu geblieben.
Hinter der Sylter Royal steckt eine ganze Menge Arbeit
Bohlig gibt sich kernig, als Macher-Typ, der im Watt, in der Planung, Personalabteilung und Buchhaltung gleichermaßen anpacken kann. Reparieren könne er im Zweifel alles - von Traktor und Gabelstapler bis zum Küchengerät, erzählt er.
Ganz zartbesaitet darf ein Austernfischer auch gar nicht sein. Schließlich ist die Nordsee nicht immer so Badewannen-warm und ruhig, wie manches Urlaubsfoto suggeriert. Hinter der im Sonnenuntergang bei einem Gläschen Champagner genossenen Sylter Royal steckt ein ziemlicher Knochenjob.
Austern aus dem Watt: Im Rhythmus von Ebbe und Flut
Den Arbeitsrhythmus der Austernfischer geben dabei Ebbe und Flut vor. Wenn die rund 30 Hektar große Zuchtfläche in der Blidselbucht trockenfällt, springt Bohlig in den Trecker und tuckert hinaus aufs Watt. Hier werden zuvor importierte, noch kleine Austern in Poches genannten Säcken im Meer großgezogen. Diese liegen auf rund 2000 tischartigen Konstruktionen, weshalb das Verfahren auch "Tischkultur" genannt wird.
Je nach Witterungslage fahren Bohlig und Kollegen zwei- bis viermal wöchentlich ins Watt. Bis zu vier Stunden Niedrigwasser-Zeit bleibt den Austernfischern dort, um die mit jeweils rund 150 Muscheln gefüllten Säcke von den Tischen erst auf Paletten und anschließend den Trecker zu verladen. Zurück im Betrieb werden die frisch geernteten Austern gewaschen und sortiert.
Sylter Royal: Perfekte Exemplare wiegen 80 bis 90 Gramm
Dabei qualifiziert sich nur rund ein Drittel für den Verkauf. 80 bis 90 Gramm wiegt die perfekte Sylter Royal, bei Verzehr ist sie drei bis fünf Jahre alt. Muscheln, die noch zu klein sind, kommen zurück ins Wattenmeer. Bereits geöffnete werden ebenso aussortiert, da sie unverkäuflich geworden sind.
Alle anderen Austern landen entweder in Dittmeyers Restaurant direkt nebenan, bei Händlern auf der Insel und dem Festland oder Privatpersonen. Denn die Compagnie versendet auch, in hübschen Spankisten deutschlandweit und in viele Nachbarländer.
Fischer sammeln Wildaustern vor Sylt per Hand
Neben klassischen Zucht-Austern hat Dittmeyer auch Wildaustern auf der Speisekarte stehen, die rund 20 Prozent der verkauften Sylter Royal ausmachen. Eine absolute Besonderheit, denn die notwendigen Sammellizenzen vom schleswig-holsteinischen Ministerium für Umwelt sind eine Rarität.
Um an die wilden Exemplare zu kommen, lassen sich die Fischer mit ihrem französischen Pontonboot auf einer Sandbank vor Sylt trockenfallen und sammeln die Muscheln per Hand von den Austernbänken. Die für gewöhnlich stark verklumpten wilden Sylter Royal müssen im Betrieb noch voneinander getrennt werden. "Rein geschmacklich unterscheiden sich die Wildaustern nicht stark von den gezüchteten", meint Bohlig, "aber sie haben eine andere Textur, mehr und festeres Fleisch."
Wildaustern vor Sylt: "Abenteuer pur"
Ziemlichen Charme hat die ganze Sache außerdem – nicht nur für den gemeinen Kulinariker. Auch Austernfischer Matthias "Matze" Schrinner empfindet das Sammeln der Wildaustern als schönsten Teil seiner Arbeit: "Wenn du in völliger Dunkelheit mit dem Boot aufs Meer rausfährst - das ist doch Abenteuer pur."
Als einigermaßen stressig wiederum beschreiben die Austernfischer den Wintereinbruch auf Sylt. Weil die Möglichkeit besteht, dass das Wattenmeer teilweise zufriert, müssen nämlich sämtliche Zuchtaustern im Spätherbst umziehen. Sie überwintern in Hallen auf dem Betriebsgelände, versorgt von einer Seewasser-Pipeline, bis sie im März allesamt wieder hinaus aufs Wattenmeer transportiert werden.
Sylter Royal: "Auf der Abschussliste der Umweltverbände"
Bislang hat Dittmeyer’s Austern-Compagnie circa 30 bis 40 Gramm schwere Austern aus sogenannten Nurseries aus Irland bezogen. "Die haben wir dann ungefähr zwei Jahre lang im Wattenmeer auf Konsumgröße großgezogen. Das nennt sich Outgrowing", erklärt Betriebsleiter Bohlig. Aber: "Die Austernzucht steht auf der Abschussliste der Umweltverbände", sagt der 46-Jährige. Umweltschützer fürchten durch den Import aus Irland die Einschleppung invasiver Arten ins Wattenmeer.
Deshalb muss die Compagnie in Zukunft Mini-Austern aus den Niederlanden beziehen und neben dem Outgrowing auch die Phase der Nursery selbst stemmen. "Ein gigantischer Aufwand! Infrastrukturell sind wir da nicht drauf ausgelegt. Es mangelt überall: an Platz, Personal und Kapazitäten", klagt Bohlig.
Er, ein Mann des Meeres, hält dagegen. Wenn es den Umweltschützern wirklich um die Einschleppung fremder Arten ginge, müssten sie doch zuallererst die vielen Kreuzfahrtschiffe infrage stellen, die am Lister Hafen vor Anker gehen. Außerdem führe die Meeresströmung sowieso von der irischen Küste ins Wattenmeer. Ein Artenaustausch finde demnach auch natürlicherweise statt.
Austern haben positiven ökologischen Effekt
Zumal die Ansiedlung der Auster im Wattenmeer ihm zufolge bisher vor allem positive Effekte hatte: "Diverse Untersuchen haben sogar festgestellt, dass dort, wo Austern angesiedelt wurden, wieder natürlich Habitate entstehen", berichtet Bohlig. "Die Auster schützt zum Beispiel Miesmuscheln vor Fressfeinden. Sie hat die Natur hier extrem bereichert. Seenadeln, Seepferdchen, Schwämme - die sind alle zurückgekehrt."
Auch die Filterleistung der Spezies wird immer wieder betont. Bis zu 240 Liter Meerwasser durchfließen eine Auster täglich. Das Tier filtert dabei Nährstoffe aus dem Wasser und gibt es geklärt wieder ab, was die Muschel ökologisch ziemlich wertvoll macht.
Eine Sylter Royal ist eigentlich eine Pazifische Auster
Übrigens: Der Begriff Sylter Royal bezeichnet nicht die Spezies, das ist ein bloßer Markenname. Bei den Tieren handelt es sich um Pazifische Austern, die in der Nordsee seit den 60er-Jahren von den Niederländern kultiviert wurden und sich mit der Strömung bis ins Wattenmeer verbreitet haben.
- Westerland will Dauercamper loswerden – die wehren sich
- Seltenes Schauspiel auf Sylt: Wenn das Meer nachts leuchtet
- Sechs Millionen Euro? Damit kommt man in Kampen nicht weit
"Durch den Nordatlantischen Drift sind sie bis Stavanger, bis Kiel und in die Ostsee vorgedrungen", sagt der Fachmann. Versuche, die Muscheln im Wattenmeer zu züchten, gab es seit den 1970er-Jahren. Der große Vorteil bei der Austernzucht in der Blidselbucht ist die herausragend gute Qualität des Wattenmeerwassers. Im Gegensatz zu französischen Austern müssen die Sylter Royal daher nicht wochenlang in Tanks gespült werden.
"Bei uns ist das Wasser so sauber, wenn’s nicht salzig wäre, könnten wir es trinken", schwärmt Bohlig. Die Sylter Royal landen deshalb oft nur über Nacht im Tank, zum entsanden.
Sylt: Der Austernfischer weiß, wie man Austern richtig genießt
Soweit so appetitanregend. Aber wie schlürft der Liebhaber seine Auster nun am besten? Zunächst: Das Wort "schlürfen" ist unter Kennern beinahe Todsünde. Wer die Muschel einfach herunterschluckt, schmeckt schließlich kaum mehr als pures Salz.
Der feine nussige, gurkenähnliche oder zitronige Geschmack einer guten Auster stellt sich erst nach mehrmaligem Kauen ein. Bohlig, der eigenen Angaben im Schnitt eine Auster am Tag ist, "und heute schon zwei - wir müssen ja die Qualität prüfen", mag die Muscheln am liebsten pur oder gedämpft. "Und im Frühjahr und Herbst schmecken sie mir besser als im Sommer, da sind sie so milchig", sagt er.
Was den Geschmack außerdem verfälsche, sei der Zitronensaft, mit dem viele Meeresfruchtfans ihre Austern benetzen. Ursprünglich diente das Beträufeln auch gar nicht dem Genuss, sondern fungierte als eine Art Frischeprüfung. Rohe Austern sind in totem Zustand nämlich giftig. Leben sie noch, zucken sie unter der Zitronensäure leicht zusammen.
Bohlig wiederum legt Wert darauf, das mit der "Lebendigkeit" der Auster beim Verzehr nicht zu ernst zu nehmen. "Das sind ja wirklich niedere Lebewesen", sagt er, "und wenn die Austern offen sind, sind sie sowieso nicht mehr lebensfähig - also quasi tot."