Keitum. Norddörfer Gemeinde kritisiert die Trauung des Promi-Paares in St. Severin in Keitum. Ein Besuch in dem besonderen Bau.

Vor einem Monat standen hier zahlreiche Kamerateams und Schaulustige, nun kommen wieder die Besucher, die sich gezielt für die älteste Kirche Norddeutschlands interessieren: St. Severin steht trutzig wie eh und je vor den Friesenwällen von Keitum auf Sylt. Sie ist nicht irgendeine, sondern die Kirche von Sylt.

Das Gotteshaus, das seinen Namen dem Bischof von Köln verdankt, hat alle Katastrophen überstanden – die Pest von 1350 und die großen Fluten von 1354 und 1362. Und auch die pompöse Hochzeit des Promipaares Franca Lehfeldt und FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner Anfang Juli. Im Zuge dieser Hochzeit war eine heftige Diskussion entbrannt, ob Menschen, die aus der Kirche ausgetreten sind, den kirchlichen Segen bei ihrer Hochzeit bekommen sollen.

Sylt: Kirchengemeinden nach Lindner-Hochzeit uneins

Diese Kontroverse geht nun auch unter den Sylter Kirchengemeinden weiter. In einer Stellungnahme der Norddörfer Kirchengemeinde (Wenningstedt-Braderup und Kampen) heißt es: „Der Kirchengemeinderat der Norddörfer Kirchengemeinde hat beschlossen, dass eine kirchliche Trauung in der Norddörfer Kirchengemeinde weiterhin nur möglich ist, wenn wenigstens einer der beiden Mitglied der Kirche ist.“ Wie shz.de berichtet, wenden sich die Norddörfer damit gegen die Entscheidung von St.-Severin-Pastorin Susanne Zingel, die die kirchliche Trauung ermöglicht hatte, obwohl weder Lindner noch seine Frau Mitglied der evangelischen Kirche sind.

Pastorin Zingel hatte die Entscheidung kürzlich in einem offenen Brief verteidigt: Eine solche Trauung sei in Ausnahmefällen möglich und stehe in Übereinstimmung mit den Grundlinien der Nordkirche. Der Kirchengemeinderat der Norddörfer hält dagegen. Er sieht sich mit seiner Auffassung in Übereinstimmung mit dem Beschluss der Synode der Nordkirche vom November 2020, berichtet shz.de: Dort sei in den „Grundlinien kirchlichen Handelns bei Taufe und Abendmahl sowie bei Gottesdiensten anlässlich der Konfirmation, der Eheschließung (Trauung) und der Bestrafung“ unter „kirchliche Trauung“ folgende Voraussetzung festgehalten: „Bei einem Gottesdienst anlässlich einer Eheschließung (Trauung) ist mindestens eine Partnerin bzw. ein Partner Mitglied einer evangelischen Kirche.“ Es sei nicht bekannt, dass dies geändert worden sei.

Lindner-Trauung auf Sylt: St. Severin wird dem Streit weiter trotzen

Auch diesem Streit wird zumindest die kleine Kirche weiter trotzen. Pastorin Susanne Zingel hat seit Christian Lindner weiterhin viele Hochzeitspaare getraut – der kleinere Teil stammt von der Insel. In den Sommermonaten, in denen laut Zingel bis zu 1000 Besucher pro Tag in die Kirche kommen, seien es manchmal bis zu fünf Hochzeiten am Tag. Denn in der ältesten Kirche Nordfrieslands, die von Bauarchäologen auf das Jahr 1194 datiert ist, wurde immer schon gern geheiratet. Zur Sylter Walfängerzeit wurden Hochzeiten nicht bevorzugt im Sommer, sondern meist am 1. Advent gefeiert. Die Männer kamen erst im Spätherbst von See zurück, da war nicht viel Zeit für die Brautschau. Da sei geguckt worden, wer überlebt hatte, „dann wurde sofort geheiratet“, sagt Zingel. „Die hatten gar keine Zeit, sich kennenzulernen.“

„Ich kann sehr lange über diese Kirche reden“, sagt Susanne Zingel, die seit 2005 auf Sylt lebt. Vor ihrem Wechsel auf die Nordseeinsel war Zingel Pastorin in Hamburg – in der Christianskirche im Stadtteil Ottensen und in der Hamburger Hauptkirche St. Katharinen. Seit dem Beginn ihrer Tätigkeit in der bekannten Sylter Kirche war Zingel nicht nur Seelsorgerin, sondern auch gleichzeitig Bauherrin, denn St. Severin musste für zwei Millionen Euro aufwendig restauriert werden. „Wir haben in dem Dachstuhl der Kuppel über dem Altar russisches Holz und über dem Kirchenschiff Holz aus Norwegen und wissen heute – nach chronodendrologischen Untersuchungen – fast punktgenau die Gegend, aus der es kommt und dass es im Jahr 1194 verbaut wurde“, sagt die Pastorin.

Im dänischen Kloster Odense gibt es ihren Angaben zufolge eine alte Kirchensteuerliste von 1240, wo die Kirche erwähnt wird. Zwölf weitere dort aufgeführte Kirchen liegen mittlerweile rund um Sylt auf dem Meeresgrund, St. Severin in Keitum dagegen steht bis heute. Die Wände des Kirchenschiffs, an denen davor mehr als zwanzig Farb- und Latexschichten hafteten, seien bei der Renovierung vollständig abgebeizt worden. Unter dem neuen Anstrich befinden sich laut Zingel nur noch Tuffstein und Backsteine.

Manche Entwicklung scheint eine fast göttliche Fügung zu sein

Die Kirche präsentiert sich von außen recht schlicht, der rote Backsteinturm sieht unprätentiös aus. „Es gibt auch die witzige Frage, warum wir uns kein richtiges Dach leisten können. ,Warum habt ihr so ein billiges Blechdach‘, fragen Touristen und bekommen zur Antwort, dass unser tonnenschweres Bleidach zwar hochgiftig ist, aber gerade dadurch die originalen Eichenbalken konserviert hat. So etwas finden Sie sonst nur im dänischen Wikingermuseum in Ribe“, schwärmt die 61 Jahre alte Seelsorgerin.

Susanne Zingel, Pastorin von St. Severin in Keitum, lebt seit 2005 auf Sylt.
Susanne Zingel, Pastorin von St. Severin in Keitum, lebt seit 2005 auf Sylt. © Elisabeth Jessen | Elisabeth Jessen

Und manche Entwicklung scheint eine fast göttliche Fügung zu sein. Vor ein paar Jahren hatte ein gefährlicher Schädling das historische Gebälk befallen. Die Pastorin entdeckte ihn zufällig: „Wir hatten den aggressivsten Holzzerlegekäfer, den es überhaupt gibt, im Dachstuhl – den Gescheckten Nagekäfer oder auch Totenuhr genannt. Diese Insekten leben zehn Jahre als Larve. Da haben sie dann lange Zeit, das Holz zu zersetzen und sich tausendfach zu vermehren.“ Durch Zufall sei sie damals mit Konfirmanden auf dem Dachboden gewesen und in den Hochzeitsflug hineingeraten. So ein Ereignis passiere nur alle zehn Jahre. Daraufhin sei die Sanierung angeschoben worden. Sonst wäre unter der Last des Bleidachs vielleicht irgendwann das Dach eingestürzt.

St. Severin auf Sylt: "Organisten lieben diese Kirche“

„Pastoren sind nicht dafür da, Kirchen zu sanieren. Aber es war eine Herzensangelegenheit, diesen einmaligen Sakralbau zu erhalten“, sagt Zingel. Eine moderne Abluft-Anlage wurde inzwischen auch eingebaut – sie reguliert den Feuchtigkeitsgehalt in der Kirche. Zu sehen ist sie nicht, weil die Technik gut versteckt ist.

Berühmt ist die Mühleisen-Orgel aus dem Jahr 1999. „Unser Organist Alexander Ivanov spielt sie meisterlich“, schwärmt die Pastorin. Jeden Mittwoch gibt es ein Konzert. Auch prominente Gastmusiker kommen regelmäßig in die Kirche, etwa der Organist von Notre Dame in Paris, Olivier Latry, der sogar in St. Severin geheiratet hat. Auch sein Landsmann Frederic Blanc sei häufig in Keitum zu Gast, sagt Zingel: „Die Organisten lieben diese Kirche.“