Keitum. Hunderte Schaulustige warten stundenlang vor der Sylter Kirche. Nicht alle feiern das Brautpaar – es gibt auch scharfe Kritik.
Ein Glück, dass die Journalistin Franca Lehfeldt (33) und FDP-Bundesfinanzminister Christian Lindner (43) am Sonnabend bereits als standesamtlich getrautes Ehepaar in die Kirche St. Severin in Keitum auf Sylt gekommen sind, wo sie am Sonnabend kirchlich getraut wurden.
Denn es gibt eine Sage um zwei Sylter Schwestern namens Ing und Dung, die einst den Kirchturm gestiftet hatten. Als eine der beiden Schwestern verstarb und die Kirchengemeinde der Toten kein feines Begräbnis ausrichtete, verfluchte die hinterbliebene Schwester der Sage nach das Bauwerk. „Möge, wenn die Keitumer sich weiter so verhalten, dem hochmütigsten Jüngling und der eitelsten Jungfrau die Glocke auf den Kopf fallen.“ Pastorin Susanne Zingel, die die Kirchengemeinde St. Severin 2005 übernommen hat, sagte einmal: „Wir warten immer darauf, dass es bei einer Hochzeit einen Bräutigam erwischt, der es vielleicht nicht ganz ernst meint“. Bislang ging aber jeder wieder mit heiler Haut raus.
Lindner und Lehfeldt feiern die Sylter Hochzeit des Jahres
Und auch am Sonnabend lief alles planmäßig. Wie es sich gehört, erreichte die Braut als letzte die Kirche – mit etwa 20 Minuten Verspätung. Franca Lehfeldt fuhr mit ihrem Vater im offenen Porsche Targa vor. Sie trug ein rückenfreies Kleid mit langer Schleppe und einer Schleife im Nacken, das sehr viel gebräunte Haut zeigte, und offenes Haar. Ihr Bräutigam war eine halbe Stunde früher eingetroffen – im dunkelblauen Anzug, mit silberfarbener Krawatte und weißer Rose am Revers.
Neben Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD), der mit Ehefrau Britta Ernst (Bildungsministerin in Brandenburg) kam, war auch Oppositionsführer Friedrich Merz (CDU) mit Frau Charlotte unter den Gästen, außerdem der ehemalige CDU-Kanzlerkandidat Armin Laschet mit Ehefrau Susanne. Ebenfalls geladen waren unter anderem TV-Moderatorin Bärbel Schäfer mit Mann Michel Friedman.
Hochzeit auf Sylt: Promis aus Politik und Gesellschaft feiern mit
Nicht eingeladen, dafür umso lauter war ProSieben-Moderator Sebastian Pufpaff (TV total), der gelbe T-Shirts mit Lindner-Konterfei und Bier unter den Zaungästen verteilte. Als der Bräutigam ankam, rief er: „Christian, ich brauche noch eine Einladung. Ich habe auch ein Geschenk für Dich“ und hielt einen kleinen Geschenkkorb in die Höhe.“ Die Show, die der Kabarettist veranstaltete, sorgte für viele Lacher bei den Schaulustigen.
Inken Wölk, Petra Kriesten und Inken Löser saßen mit Sekt auf der Mauer gegenüber der beliebten Kirche. Die drei Freundinnen machen mit ihren Familien gerade Urlaub auf dem Campingplatz in Rantum und wollten sich das Spektakel nicht entgehen lassen. „Unsere Männer wollten nicht mitkommen, aber jetzt fragen sie immer, wo die Bilder bleiben“, sagt Inken Löser aus Kiel. Inken Wölk aus Flensburg hat 2010 selbst in der Kirche St. Severin geheiratet.
Kritik übte eine andere Schaulustige: „Wir alle zahlen das hier“, sagte sie und zeigte auf die vielen Polizisten und Absperrungen. Sie habe von einem Polizisten gehört, dass eine Zeitschrift die Foto-Exklusivrechte habe. Das finde sie nicht in Ordnung, sagt sie angesichts der hohen Kosten für die Sicherheit, die die Allgemeinheit übernehmen müsse.
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Das Kirchengelände war bereits am frühen Nachmittag abgesperrt worden. Und während es am Anfang vielleicht drei Dutzend Schaulustige waren, wurden es irgendwann mehrere Hundert. Unter ihnen ist auch Elma Krotke (47) aus Hamm (Westfalen). Die Urlauberin outete sich als Lindner-Fan, sagte aber, sie finde die dreitägige Hochzeitsfeier etwas übertrieben.
An der Sansibar gibt's Hugo in Flaschen – als kleiner Trost
Bei der Sansibar liefen unterdessen den ganzen Tag lang die Vorbereitungen auf die Hochzeitsgesellschaft am Abend. Schon am Vormittag war der Parkplatz in Rantum gesperrt. Freundliche Mitarbeiter erklärten Autofahrern auch warum. Jürgen, einer der Mitarbeiter, versorgte Autofahrer zum Trost sogar mit Alkohol, genauer gesagt verteilte er Sansibar- Hugo-Flaschen an enttäuschte Gäste. Und auch Bier wie an die paar Punks, die schon am Vormittag vorbeigeguckt hatten.
Ein paar mehr Punks, nämlich 35, hatten sich in der Nacht vor der kirchlichen Trauung auf den Weg nach Keitum zum Hotel des Brautpaars, das Severin*s Resort und Spa in Keitum, gemacht. „Sie haben alle einen Platzverweis bekommen“, sagte Jan Krüger, Sprecher der Polizeidirektion Flensburg dem Abendblatt. Sie seien von den Kollegen zum Bahnhof begleitet worden und in den Zug um 0.44 Uhr von Keitum nach Westerland gefahren – unter den wachsamen Augen der begleitenden Polizisten. Auch in der Nacht sei es auf der Insel ruhig geblieben.
Linder trat aus der Kirche aus – dennoch kirchliche Trauung
Dass Lindner schon in jungen Jahren aus der (katholischen) Kirche ausgetreten war und nun mit seiner Braut dennoch den religiösen Rahmen suchte, sorgte bei Kirchenmitgliedern und evangelischen Theologen für Verstimmung und heftige Kritik, gar für einen Shitstorm gegen Pastorin Susanne Zingel. Nicht bestätigt ist, dass auch Franca Lehfeldt aus der Kirche ausgetreten ist.
Doch selbst wenn: Annegret Wegner-Braun, die Pröpstin der Nordkirche in Nordfriesland, hatte betont, dass es keine „Lex Lindner“ gebe und verweist auf einen Beschluss der Nordkirchen-Synode von 2020, laut dem eine Trauung auch dann möglich ist, „wenn Menschen, die nicht Kirchenmitglieder sind, danach fragen“. In St. Severin gebe es einen Beschluss des Kirchengemeinderats, dass die Pfarrerin in „besonderen Ausnahmefällen“ an diesem „besonderen Ort“ auf der Insel Sylt auch Nichtmitglieder trauen dürfe.
Kritik: Dreitgägiges Festival auf Sylt falsches Signal für die Insel
Kritik an der Hochzeit kam vom SPD-Ortsverein: „Von diesem dreitägigen Festival geht ein völlig falsches Signal aus für unsere Insel und auch für die Politik im allgemeinen“, so der Gemeindevertreter Gerd Nielsen und der Ortsvereinsvorsitzende Peter Marnitz. Die Kommunalpolitiker kritisierten, dass in Zeiten eines Krieges, der Corona-Krise und der auch auf der Insel wachsenden Armut, öffentlichkeitswirksam „höfische Pracht und hemmungsloses Luxusgehabe“ präsentiert werden müsse.“ Das fördere die schon weit verbreitete Politik-Verdrossenheit.
Die Hochzeit blieb auch in der Nacht zu Sonntag frei von Störungen. Allerdings hatte es in der Innenstadt von Westerland am Sonnabendnachmittag einen Polizeieinsatz gegeben. Am Wilhelminenbrunnen hatte eine Gruppe Rauchtöpfe gezündet. Noch bevor die alarmierten Beamten eintrafen, flüchteten einige Personen, die den 9-Euro-Ticketgästen (allerdings nicht den Punks) zugerechnet werden, Richtung Friedrichstraße. Fünf Personen erhielten einen Platzverweis und wurden von der Polizei in einen Zug gesteckt und aufs Festland geschickt. Sie hatten nach Angaben eines Polizeisprechers zuvor Böller in Geschäfte geworfen.