Politik beschließt harte Maßnahmen im Umgang mit den neuen 9-Euro-Gästen. Eingemauertes Reformhaus verliert Großteil der Kunden.
- Sylter Hauptausschuss beschließt Sicherheitsdienst in der Fußgängerzone
- Durch die Betonmauer kommt keine Laufkundschaft mehr ins Reformhaus
- Streetworker soll sich in der 9-Euro-Phase um Problem-Gäste kümmern
- Sylter Bürgermeister bittet Ministerium in Kiel um Hilfe
Bei der Hauptausschusssitzung in Westerland waren sich am Dienstagabend Lokalpolitiker, Verwaltung sowie die Bürger und betroffenen Anlieger einig: Die 9-Euro-Gäste, die sich seit Anfang Juni 2022, also seit der Einführung des günstigen Nahverkehrtickets in der Sylter Inselhauptstadt aufhalten, vor allem rund um die Wilhelmine, dem Brunnen in der Fußgängerzone, sorgen für Situationen, mit denen Großstädte möglicherweise routinierter umgehen, die Sylt mit seinen eher dörflichen Strukturen aber deutlich überfordern. Besonders die Geschäftsleute machten ihrem Unmut in der Einwohnerfragestunde Luft.
So wie die Inhaber des Edeka-Supermarkts, eines Restaurants, eines Biomarktes und einer Crêperie am Brunnen an der Wilhelmstraße, die seit Wochen massive Umsatzverluste beklagen und eine ständige Präsenz von Ordnungskräften fordern. „Ich akzeptiere auch die Mauer nicht“, sagte die Inhaberin eines Reformhauses. Die Zuwegung von der Wilhelmstraße zu ihrem Laden ist seit einer Woche mit dicken Betonblöcken versperrt, die verhindern sollen, dass der Durchgang als Toilette missbraucht wird.
Sylt: Händlerin klagt über Punks: „Sie campieren überall“
Allerdings ist ihr Geschäft nun auch für ihre Kunden von einer Seite gesperrt. Laufkundschaft bleibt dadurch völlig aus, Stammkunden müssen einen beträchtlichen Umweg machen. Die Händlerin klagt über die Punks: „Sie campieren überall.“ Auch in ihrem Eingang, sie müsse dort jeden Morgen jemanden wecken.
Nach langer Diskussion wurden schließlich drei Maßnahmen beschlossen. Für die Punks und jungen Obdachlosen sollen mobile Toiletten aufgestellt werden, weil die öffentlichen WCs nachts geschlossen werden. Außerdem soll künftig ein Sicherheitsdienst an den neuralgischen Punkten in der Innenstadt Präsenz zeigen und zwar täglich von 13 Uhr bis 1 Uhr nachts. Den bisher tätigen sogenannten Stadtlotsen, die bislang stets von Donnerstagmittag bis Sonntagabend durch die Stadt patrouillieren, wird diese Aufgabe nicht zugetraut.
Sylt sucht jetzt Streetworker für die Punks
Der Ausschussvorsitzende Holger Flessau (CDU) sagte, die Stadtlotsen, die in Pandemiezeiten eingesetzt wurden, um auf die Corona-Regeln hinzuweisen, seien mit der neuen Aufgabe komplett überfordert. „Eine ständige Präsenz eines Sicherheitsdienstes ist sicher sinnvoll“, so Flessau.
Ordnungsamtsleiterin Gabriele Gotthardt sagte, bislang hätten die Stadtlotsen auf Deeskalation gesetzt, das werde man ändern. Die neuen Sicherheitskräfte sollten auch tatsächlich so aussehen, dass es über ihre Aufgabe keinen Zweifel gibt. Sie müssten schon eine entsprechende Statur und Auftreten haben. „Das müssen gestandene Männer sein“, sagte der Ausschussvorsitzende Flessau.
Außerdem wird für die Zeit vom 1. Juli bist 31. August, also für den Zeitraum, in dem das 9-Euro-Ticket gilt, ein Streetworker gesucht, der mit den 9-Euro-Ticket-Gästen ins Gespräch kommt.
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Sylt baut Zaun gegen Punks ab – Situation hat sich beruhigt
Aus Sicht von Ordnungsamtsleiterin Gabriele Gotthard, seit mehr als 40 Jahren für die Gemeinde tätig, hat sich in den vergangenen eineinhalb Wochen immerhin schon etwas zum Positiven verändert. Die Situation am Brunnen habe sich etwas beruhigt, nachdem er zwischendurch mit einem Bauzaun abgesperrt war und das Wasser abgelassen wurde. Am Montag war der Zaun wieder abgebaut worden. Bürgermeister Häckel hatte im Abendblatt-Interview gesagt, der Bauzaun habe seinen Zweck erfüllt.
In den vergangenen Tagen hat sich eine größere Gruppe von Punks und Obdachlosen mehr und mehr in den Stadtpark beim Rathaus verlagert. Die Anlieger fordern, dass Regelüberschreitungen dennoch strikt geahndet werden. "Wenn ein Betrunkener in Unterhose Gäste auf einer Restaurantterrasse aggressiv anbettelt", oder in der Fußgängerzone gegrillt werde, "ist das nicht hinzunehmen", sagt ein Gastronom.
Ein Problem, das die Geschäftsleute ausmachen, formulierte ein Einzelhändler so: Die neuen Gäste „trinken und trinken und trinken und belästigen Passanten mit Betteln.“
Ordnungsamtschefin Gotthardt bekräftigte erneut, dass es nicht möglich sei, Restriktionen wie beispielsweise ein Alkoholverbot etwa am Wilhelminenbrunnen zu erlassen, solange die Menschen keine Straftaten begingen. Und auch Platzverweise dürfe das Ordnungsamt nur erteilen, wenn ein Vorkommnis das rechtfertige. Da seien die Grenzen eng gesteckt.
Extremisten-Demos im Juli – Sylt plant Runden Tisch
„Dann kapitulieren wir vor allem“, sagte ein Geschäftsmann resigniert. Ein anderer sagte, er sehe stündlich Straftaten. „Man darf schlafen, laute Musik machen und grillen“, sagte ein Restaurantbetreiber. Er habe auch ein Dutzend Schlägereien gesehen.
„Die Mauer beim Durchgang muss weg, das Wasser muss wieder rein und dann muss da jemand sein, der das Geschehen beim Brunnen überwacht“, forderte der Wirt. Die Polizei rufe er nicht mehr an, weil die davon nur genervt sei und ohnehin gefühlt erst Stunden später komme. „Wir sind mit unserem Latein am Ende. Wir können alle so kein Geld verdienen.“
Bislang habe man auf Deeskalation gesetzt, das werde man ändern. „Wir werden aber nicht jede geplante Maßnahme öffentlich machen“, sagt Gotthardt. Bürgermeister Häckel informierte im Ausschuss, er habe auch das Ministerium in Kiel angeschrieben, aber noch keine Reaktion erhalten.
Am Mittwochabend soll ein Runder Tisch, an dem nach Abendblattinformationen außer der Verwaltung auch Vertreter des Tourismus, des Dehoga, der Feuerwehr und Polizei teilnehmen, zusammenkommen, um über das kommende Wochenende zu beraten.