Hamburg. Die Deutsche Bahn will die IC-Verbindung nach Dagebüll vorerst streichen – und zeigt sich von einer Drohung Schleswig-Holsteins unbeeindruckt.
Unter allen Orten in Deutschland, in denen regelmäßig Intercitys halten, ist Dagebüll einer der kleinsten: Die Gemeinde an der Westküste Schleswig-Holsteins zählt nicht einmal 1000 Einwohner. Ihren Fernverkehrsanschluss hat sie ihrem Hafen zu verdanken: Von dort verbinden Fähren die Nordseeinseln Föhr und Amrum mit dem Festland.
Doch wenn es nach der Deutschen Bahn (DB) geht, ist es mit der Direktanbindung Dagebülls an Metropolen wie Hamburg und Köln, Berlin und Frankfurt bald vorbei. Sie will 2027 auf der Strecke Hamburg–Sylt die alten Fahrzeuge vom Typ Intercity 1 durch den neuen ICE L ersetzen. Der ist zwar barrierefrei, kann aber anders als das aktuelle Modell nicht geteilt werden. Statt wie bisher in einem der von April bis Oktober bereitgestellten Kurswagen sitzen zu bleiben, der dann ab Niebüll von einem Triebwagen der Norddeutschen Eisenbahngesellschaft (NEG) nach Dagebüll gezogen wird, müssten Fernreisende somit am Bahnhof Niebüll in einen NEG-Zug umsteigen.
Föhr und Amrum: Streit um Intercity zu den Fähren – Schleswig-Holstein fordert von Bahn Garantien
Den Fußweg zum NEG-Bahnhof gibt die Bahn mit 106 Metern an. Die aber bergen reichlich Konfliktstoff. In einem Brief des schleswig-holsteinischen Verkehrsministeriums an DB-Fernverkehrschef Michael Peterson fordert Staatssekretär Tobias von der Heide eine „Garantie, dass die Anschlusszüge nach Dagebüll am gleichen Bahnhof abfahren, an denen die Fernzüge nach Westerland halten“. Gleiches gelte für die Gegenrichtung. Auch möge die Bahn barrierefreie Anschlusszüge anschaffen und den Betrieb finanzieren.
Außerdem fordert von der Heide eine Zusage, nach Abschluss der Elektrifizierungen der Bahnstrecken Itzehoe–Niebüll und Niebüll–Dagebüll wieder „umgehend und in angemessener Taktung Direktzüge nach Dagebüll anzubieten“. Andernfalls, so droht der CDU-Politiker, könne das Land „nicht mehr sicher“ zusagen, die Planungskosten für die Elektrifizierung der Marschbahn nach Sylt zu 100 Prozent zu übernehmen. Zuerst hatte der SHZ aus dem Brief zitiert.
DB Fernverkehr lehnt Garantie für Wiederaufnahme der Dagebüll-Verbindung ab
Die 238 Kilometer lange Marschbahn Hamburg–Sylt ist auf einem 173 Kilometer langen Stück zwischen Itzehoe und Westerland nicht elektrifiziert – als eine der letzten unter den viel befahrenen Strecken in Deutschland. Züge aus dem Rest des Bundesgebietes müssen deshalb in Itzehoe von E- auf Diesellok umgekuppelt werden, was allein zehn Minuten dauert.
Die Planung für die Elektrifizierung der Strecke wurde im vergangenen November europaweit ausgeschrieben. Noch im Sommer soll der Auftrag vergeben werden. Die Planungskosten in Höhe von etwa 20 Millionen Euro werden von Schleswig-Holstein übernommen, so war es zumindest zugesagt. Anfang der 2030er-Jahre soll die Elektrifizierung abgeschlossen sein – auch die des knapp 14 Kilometer langen Abzweigs nach Dagebüll.
Schleswig-Holsteins Drohung zielt offenbar ins Leere
In seiner Antwort an von der Heide beteuert DB-Vorstand Peterson die „feste Absicht“, die Direktverbindungen nach Dagebüll im Fernverkehr dann wieder aufzunehmen. Auf eine Zusage allerdings lässt er sich nicht ein, zumal der Fernverkehr von den Trassenzuteilungen durch die Bahn-Tochter DB InfraGo abgängig sei. Aus dem gleichen Grund könne es auch keine Garantie für einen bahnsteiggleichen Umstieg in Niebüll geben. „Eine Aussage hierzu wird möglich sein, wenn die Trassenzusagen für alle Eisenbahnverkehrsunternehmen für den Fahrplan 2027 vorliegen“, schreibt Peterson.
Schon gar nicht könne die DB Fernverkehr AG als eigenwirtschaftliches Unternehmen barrierefreie Anschlusszüge zwischen Niebüll und Dagebüll finanzieren, wie es von der Heide fordert. Hierfür gebe es auch keine rechtliche Grundlage. „Für die Anbindung der Regionen im Kurzstreckenbereich ist in der Regel der staatlich finanzierte Regionalverkehr zuständig“, schreibt Peterson. Man könne aber „beispielsweise diskutieren, ob zusätzliche Mitarbeitende vor Ort als Unterstützung und Hilfe beim Umstieg eine Verbesserung für die Reisenden darstellen würden“.
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Die Drohung, Schleswig-Holstein könne sich von der Finanzierung der Planung für die Elektrifizierung zurückziehen, kann der Bahnvorstand in diesem Zusammenhang „nicht nachvollziehen“, da die Infrastruktur dem Bund und der DB InfraGo obliege. Anders gesagt: Sie zielt offenbar ins Leere.
Tatsächlich hat das Land „wenig Einfluss auf die wirtschaftlichen Entscheidungen der DB Fernverkehr“, wie das Wirtschaftsministerium am 31. Mai in einer Antwort auf eine Kleine Anfrage der SSW-Landtagsabgeordneten Sybilla Nitsch einräumen musste. Die Landesregierung gehe aber „davon aus, dass die DB Fernverkehr für eine geeignete Weiterbeförderung ihrer Fahrgäste bis zu den Fähren nach Amrum und Föhr verantwortlich ist und entsprechende Anschlusszüge finanziert“.
Bahn: ICE L soll Fahrzeit von Hamburg nach Sylt und Dagebüll verkürzen
Vier Tage später ging Petersons abschlägige Antwort im Ministerium ein. Wie Fernreisende ab 2027 zum Fährhafen Dagebüll kommen, stehe aber noch nicht fest, betont eine Bahnsprecherin auf Abendblatt-Anfrage. Eine „attraktive Anbindung von Dagebüll und den Inseln Föhr und Amrum“ sei für DB Fernverkehr „ein wichtiges langfristiges Ziel“. Die DB prüfe „derzeit eng abgestimmt mit den regionalen Vertretern mögliche Szenarien“.
Immerhin: Nach Sylt-Westerland seien mit dem neuen ICE L weiterhin täglich bis zu vier Direktverbindungen aus weiten Teilen Deutschlands geplant. Da dank hybrider Loks dann auch das Kuppeln in Itzehoe entfallen soll, könnte sich die Fahrzeit im Vergleich zum Intercity 1 um 20 Minuten verkürzen, wie der Fahrgastverband Pro Bahn vorrechnet – und damit auch die Fahrzeit nach Dagebüll.