Kiel. Schleswig-Holsteins Innenministerin stellt die Jahresbilanz des Nachrichtendienstes vor. Rechtsextremistische Gewalt ist deutlich gestiegen.

Schon mehr als 800 Tage ist es jetzt her, dass Putins Armee die Ukraine überfallen hat. Und seit mehr als 800 Tagen führt Russland auch einen Krieg gegen Europa: Seit dem 24. Februar 2022 mehren sich die Cyberangriffe auf Behörden, Ämter, Firmen, Kliniken und Verbände, die deutsche Sicherheitsbehörden Russland zuschreiben. Spionage und Sabotage im Netz hat massiv zugenommen. Das sagte Schleswig-Holsteins Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack am Donnerstag, als sie den Verfassungsschutzbericht des Landes für 2023 vorstellte. „Speziell für Unternehmen der kritischen Infrastruktur bedeuten die Ausforschung und Instrumentalisierung der eigenen Internet-Infrastruktur durch fremde Nachrichtendienste eine hohe und stetig zunehmende Gefährdungslage“, sagte die CDU-Politikerin.

Ausspähung, Destabilisierung, Verbreitung von Fake News, Cyberspionage, digitale Angriffe auf die kritische Infrastruktur – die Attacken, mit denen der Verfassungsschutz zu tun habe, würden immer anspruchsvoller und aufwendiger, hatte Hamburgs Verfassungsschutzchef Torsten Voß erst Anfang dieser Woche gewarnt. Und Innensenator Andy Grote sprach bei der Vorstellung des Jahresberichts des Hamburger Nachrichtendienstes von einer „hohen Aktivität ausländischer Nachrichtendienste, insbesondere Russlands, Chinas und des Iran. Cyberspionage wird im großen Umfang bei einer stetig steigenden Komplexität betrieben“, so Hamburgs Innensenator.

Cyberkriminalität: Jede dritte Firma in Schleswig-Holstein betroffen

Cybercrime ist zu einem zentralen Problem für Unternehmen im Norden geworden. Jede dritte Firma in Schleswig-Holstein ist zuletzt laut einer Umfrage der IHK unter 713 Unternehmen ein- oder sogar mehrmals im Netz angegriffen worden. Mal werden Rechner gekapert, neu verschlüsselt, um Lösegeld zu fordern, mal werden sensible Daten im Darknet veröffentlicht, mal sind es Überlastungsangriffe wie der auf das Internetportal des Landes Schleswig-Holstein, die die Server abstürzen lassen, mal ist es Sabotage.

„Das Aufklärungs- und Sabotageinteresse Russlands richtet sich sowohl gegen militärische und politische Ziele, aber auch Wirtschaftsunternehmen liegen dabei im Fokus“, heißt es im Verfassungsschutzbericht. Weil ukrainische Soldaten in Putlos an der Ostsee ausgebildet würden, bestehe die „große Gefahr, dass Schleswig-Holstein noch stärker in den Fokus russischer Nachrichtendienste rückt“.

Zahl antisemitischer Straftaten steigt deutlich

Neben dem russischen Angriffskrieg wirkte sich auch der Überfall der Hamas auf Israel und der „daraufhin wieder entflammte Nahostkonflikt“ wahrnehmbar auf die Sicherheitslage in Schleswig-Holstein aus. So hat es im Land laut Innenministerin Sütterlin-Waack einen deutlichen Anstieg antisemitischer Straftaten gegeben. Während sich Anhänger der Hamas und der Hisbollah bei Demonstrationen wegen des „staatlichen Verfolgungsdrucks“ zurückhielten, instrumentalisierten andere islamistische Gruppierungen die Stimmung, um ein „Opfernarrativ der Muslime in der westlichen Welt zu festigen und Kritik am deutschen Staat zu äußern“, so die Ministerin.

Die Gefahr von islamistischem Terrorismus in ganz Deutschland sei unverändert abstrakt hoch. Die Bedrohung könne jederzeit durch dschihadistisch motivierte Anschläge real werden. Im Blick hat der Verfassungsschutz 825 islamistische Gefährder und Sympathisanten. Sie haben im vergangenen Jahr 31 Straftaten begangen, im Jahr zuvor waren es noch zwölf.

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Vom Rechtsextremismus geht laut der CDU-Innenministerin die größte Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung aus. Das bewertet übrigens Hamburgs Innensenator genauso. Beide sehen die Demokratie durch Rechtsextremisten von innen bedroht. Der Nachrichtendienst in Schleswig-Holstein hat 350 gewaltbereite Rechtsextremisten identifiziert. Auf ihr „Konto“ gingen 2023 insgesamt 975 Straftaten. Das ist ein erhebliches Plus – 2022 waren es noch 276.

Eine linksextremistische Gruppe steht im Fokus

Auch die „Reichsbürger“ haben weiter starken Zulauf im Norden, ihre Zahl ist von 640 auf 700 gestiegen. „Die gesteigerten Aktivitäten einzelner Gruppierungen aus diesem Spektrum und die hohe latente Gewaltbereitschaft bis hin zu konkreten Umsturzplänen machen auch diese Szene zu einer Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung und die öffentliche Sicherheit“, warnte Sütterlin-Waack.

745 Schleswig-Holsteinerinnen und Schleswig-Holsteiner sind laut Verfassungsschutz Linksextremisten. Die Zahl ist leicht gestiegen. Sie verübten im vergangenen Jahr 137 politisch motivierte Straftaten. Das sind fünf Prozent weniger als 2022. Im Fokus hat der Verfassungsschutz hier die linksextremistische „Turboklimakampfgruppe“. Die „TKKG“ habe sich über die vergangenen Jahre „zu einer festen Größe im schleswig-holsteinischen Linksextremismus entwickelt.“