Hamburg/Kiel. Handelskammer und UV Nord positionieren sich gegen Rechtsextremismus und für Weltoffenheit. Was der Fachkräftemangel damit zu tun hat.

Die Wirtschaft im Norden macht mobil gegen Rechtsextremismus – und gegen die AfD. So hat die Handelskammer einstimmig das „Hamburger Bürgerbekenntnis für Zivilcourage“ aus dem Jahr 2000 erneuert. „Hamburg lebt von Toleranz, Respekt und Weltoffenheit. Ohne diese Tugenden wäre unsere Welthandels- und Industriemetropole undenkbar. Extremistische Bestrebungen, die unsere freiheitlich demokratische Grundordnung infrage stellen, sind Gift für die Wirtschaft. Diesen Kräften müssen wir entschlossen entgegentreten.“ So hat es Handelskammer-Präses Norbert Aust formuliert.

Unternehmer aus Hamburg und dem Norden warnen vor Fremdenfeindlichkeit

Der Präsident der „Vereinigung der Unternehmensverbände in Hamburg und Schleswig-Holstein“ (UV Nord), Philipp Murmann, nennt die zunehmende Fremdenfeindlichkeit „bedrohlich“. Sie gefährde den Wohlstand in Deutschland. „Unser Wirtschaftsstandort lebt vom Vertrauen in die Demokratie und von der Stabilität des Standortes“, sagte Murmann.

Wer die AfD wähle, wähle eine in wesentlichen Teilen gesichert verfassungsfeindliche Partei, warnt Murmann im Gespräch mit dem Hamburger Abendblatt. Damit stelle man sich „zumindest indirekt auch gegen unsere freiheitliche Grundordnung. Und allein das Signal schadet auch unserem Wirtschaftsstandort, solange die Partei so aufgestellt ist.“

130.000 Arbeitskräfte fehlen – Wirtschaft wirbt um Zuzug

Die Belegschaft in den Firmen sei vielfältig und international. „Wir haben Flüchtlinge in die Betriebe integriert. Die Menschen zahlen Steuern, haben ihre Familien hierhergeholt, nehmen am gesellschaftlichen Leben teil“, so Murmann. Deutschland sei auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen. Fremdenfeindlichkeit oder Antisemitismus aber hielten potenzielle Arbeitskräfte davon ab, zu uns zu kommen, sagt der Unternehmer. „Allein in Schleswig-Holstein brauchen wir bis 2030 noch 130.000 neue Arbeitskräfte, nur um die demografische Fluktuation aufzufangen. Diese Menschen müssen das Gefühl haben, hier willkommen zu sein.“

Murmann nennt die Demonstrationen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rechtsextremismus – er war bei einer in Hamburg dabei – ein wichtiges Signal. Man dürfe diese „Welle jetzt nicht abebben“ lassen. „Wir müssen dranbleiben, auch in einer gewissen Fröhlichkeit und in einer nicht aufgeheizten Stimmung“, sagt Murmann.

Mehrheit gegen ein AfD-Verbotsverfahen

Zuletzt waren auch im Norden Deutschlands bei zahlreichen Kundgebungen weit mehr als hunderttausend Menschen gegen Fremdenfeindlichkeit, Rechtsextremismus und Rassismus auf die Straße gegangen. Der Protest aus der Mitte der Gesellschaft scheint inzwischen auch in den Meinungsumfragen Wirkung zu entfalten. So verliert die AfD laut jüngstem „Deutschlandtrend“ der ARD an Zustimmung auf Bundesebene. Demnach würden 19 Prozent der Befragten die Partei wählen, wenn jetzt Bundestagswahl wäre. Das ist ein Minus von drei Prozentpunkten im Vergleich zur Umfrage im Vormonat. Die Partei um den Rechtsextremisten Björn Höcke büßt auch im „Politbarometer“ des ZDF drei Prozentpunkte gegenüber der Umfrage zuvor ein – bliebe aber mit 19 Prozent immer noch zweitstärkste Kraft.

Für Arbeitgeber-Präsident Murmann ist es wichtig, sich nicht allein mit Demonstrationen zu begnügen. „Gerade die besonders verunsicherten und frustrierten Menschen, die mit ihrer Wahlentscheidung einen Denkzettel verbinden, erreichen wir schlecht. Unsere Hauptaufgabe ist, auch mit ihnen in aller Sachlichkeit ins Gespräch zu kommen, als Politik, als Unternehmen, als Gewerkschaften, als Kirchen oder Vereine“, fordert er. Murmann hat in seinem Unternehmen gemeinsam mit dem Betriebsrat einen Aufruf an die Mitarbeiter gestartet, sich für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit einzusetzen. „Man muss klar sagen: Fremdenfeindlichkeit geht gar nicht!“

Philipp Murmann (l.) im Gespräch mit Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, und Hamburgs Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard
Philipp Murmann (l.) im Gespräch mit Daniel Günther, Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, und Hamburgs Wirtschaftssenatorin Melanie Leonhard © dpa | Marcus Brandt

Man sollte aber auch versuchen, rät Murmann, mit den „normalen Leuten in der AfD“ ins Gespräch zu kommen und dabei klarzumachen: ,Ihr müsst das Thema Verfassungsfeindlichkeit in eurer Partei klären.‘ Solange das aber nicht geklärt sei, könne es auf keiner politischen Ebene zur Zusammenarbeit mit der AfD kommen.

Handelskammer sieht wachsende fremdenfeindliche und antisemitische Strömung

72 Prozent der im Auftrag des „Politbarometers“ befragten Wähler glauben, dass von der AfD eine Gefahr für die Demokratie ausgeht. Aber weder beim ZDF noch in der ARD-Umfrage zeichnet sich eine Mehrheit für den Start eines Verbotsverfahrens der Partei ab. UV-Nord-Präsident Murmann warnt davor, die AfD in eine Opferrolle zu bringen, und spricht sich deshalb gegen ein Verbotsverfahren aus. „Wenn man es mit Unternehmen vergleichen will: Man wird ja auch nicht den Wettbewerber oder sein Produkt verbieten, wenn man unter Druck gerät, sondern versuchen, sein eigenes Produkt besser zu machen“, sagt der Unternehmer. Seine Einschränkung: „Wenn ein fremdes Produkt allerdings nicht mehr den geltenden Normen entspricht, dann muss man schon handeln.“

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Als Vertretung der Hamburger Wirtschaft beklagt auch das Plenum der Handelskammer eine „wachsende fremdenfeindliche und antisemitische Strömung in Deutschland“. Das von der Interessenvertretung jetzt einstimmig erneuerte Bürgerbekenntnis lautet wörtlich: „Wir wollen, dass alle Menschen in unserem Land in Frieden und sicher in ihrer Religion leben können. Wir wollen die Gotteshäuser aller Religionen und die Gräber achten. Wir wollen, dass alle wachsam sind, den Intoleranten widersprechen und den Gewaltbereiten mutig entgegentreten. Wir wollen, dass überall und jederzeit für diese Haltung eingetreten wird. Wir wollen, dass alle mitmachen. Alle, das sind die Menschen, die Zivilcourage zeigen. Wir, das sind alle, die dieses Bekenntnis unterschrieben haben und unterschreiben werden.“