Brokstedt. Ann-Marie und Danny sind die beiden jungen Menschen, die im Zug ermordet wurden. Wie ihre Eltern damit umgehen, worin sie Trost finden.

Ann-Marie ist ihren Eltern Halt und Stütze. Gibt ihnen Kraft, macht Mut. Die Eltern richten sich auf an der jungen Frau, sagen sie. Nur: Ann-Marie ist tot. Danny ist seinem Vater ein Vorbild. Zielstrebig, hilfsbereit, sozial, kreativ. Dannys Vater richtet sich auf an seinem Sohn wie Ann-Maries Eltern an ihr, sagt er. Danny ist auch tot. Ermordet wie Ann-Marie.

Ann-Marie und Danny, sie 17, er 19, sind die beiden Toten aus der Regionalbahn von Kiel nach Hamburg – erstochen in Brokstedt vor elf Monaten. Der heute 34 Jahre alte Palästinenser Ibrahim A. muss sich seit Sommer vor dem Landgericht Itzehoe wegen zweifachen Mordes und vierfachen Mordversuchs verantworten.

Bluttat in Regionalbahn: Eltern von Ann-Marie und Danny vor erstem Weihnachten ohne die Kinder

Die Eltern von Ann-Marie haben – gemeinsam mit Dannys Vater - das Abendblatt wenige Tage vor Weihnachten zu sich nach Hause eingeladen. Auf der Anrichte im Wohnzimmer brennen kleine Kerzen vor den gerahmten Porträts der getöteten Kinder. Mit Blick auf ein großes Bild von Ann-Marie, das an der Wand hängt, wird es ein intensives Gespräch über die beiden jungen Leute, über den 25. Januar 2023, die Frage, was trotz des furchtbaren Verlusts Kraft und Hoffnung gibt, und über Behördenfehler, von denen es unvorstellbar viele gab.

Bei Ann-Maries Mutter und Dannys Vater verzichten wir auf deren Bitte auf die Nennung ihrer Namen. Ann-Maries Vater heißt Michael Kyrath. Er hat durch seine öffentlichen Auftritte längst eine bundesweite Öffentlichkeit für den Fall geschaffen. Auch wenn Michael Kyraths Leben damit viel an Privatsphäre verloren hat.

Über Trost, Mut, Hoffnung und Kraft, mit diesem furchtbaren Ereignis umzugehen

Ann-Marie war eine gläubige junge Frau. Messdienerin in der katholischen Kirche, warmherzig, offen, interessiert, hilfsbereit. Ihr Lachen war ansteckend. „Aufgeben ist keine Option“, lautete das Lebensmotto des Teenagers. „Und das sagen wir uns heute jeden Tag 50-, 60- oder 80-mal, wenn die Verzweiflung kommt. Aufgeben ist keine Option.“ Die Kyraths haben Ann-Maries Credo zu ihrem gemacht. Es gibt ihnen Halt und Kraft.

Aufzugeben wäre nicht in Ann-Maries Sinne gewesen. „Sie war immer eine Kämpferin für Gerechtigkeit. Das leben wir weiter: Wir nehmen den Kampf an“, sagt Michael Kyrath. Dieser Kampf ist hart. Die beiden Familien müssen nicht nur als Eltern mit dem abrupten Tod ihrer Kinder leben. Sie werden niemals eine Hochzeit feiern, nicht sehen, wie Ann-Marie und Danny im Beruf vorankommen, werden keine Enkelkinder heranwachsen sehen.

Dannys Vater beschreibt seinen Sohn als fröhlich, liebenswert und sehr hilfsbereit. Jeder Vater wäre stolz auf einen Sohn wie Danny, sagt er. „Ich nenne Ihnen ein Beispiel: Ein älterer Mann kippt in Neumünster mit seinem Rollstuhl um und fällt aus dem Rollstuhl. Er liegt auf dem Gehweg, und die Leute gehen an ihm vorbei. Einfach so. Danny, der das sieht, schnappt sich einen Arbeitskollegen und hilft.“ Sein Arbeitgeber, die Bahn, hat ihn dafür offiziell belobigt. „Er war so stolz darauf. Und gleichzeitig hat er überhaupt nicht verstanden, wie andere Leute den hilfsbedürftigen Mann haben liegen lassen und vorbeigelaufen sind. So war Danny“, sagt sein Vater.

Bluttat in Regionalbahn – Rückblende auf den schrecklichen Angriff von Brokstedt

Der 25. Januar ist ein kalter, ein ungemütlicher Tag. In Kiel steigt ein Mann voller Frust und Wut in den ICE nach Hamburg. Eine Fahrkarte hat er nicht. Dass Ibrahim A. bewaffnet ist und unberechenbar, kann der Schaffner nicht wissen. Und so wirft er den Mann ohne Ticket in Neumünster aus dem Zug. Wenig später hält RE70 hier – wie der ICE mit Ziel Hamburg. Ann-Marie und Danny nehmen diese Bahn. Ibrahim A. tut es auch, bewaffnet mit einer Alltagswaffe – einem Küchenmesser.

Erst wenige Tage zuvor war der staatenlose Palästinenser aus der Haft in der JVA Billwerder entlassen worden, ohne dass Hamburg andere Dienststellen informierte hätte, die früher mit Ibrahim A. zu tun hatten. Acht Minuten dauert die Fahrt von Neumünster nach Brokstedt. Es werden acht Minuten, die Ann-Marie und Danny das Leben kosten, in denen vier weitere Fahrgäste lebensgefährlich verletzt werden, acht Minuten, die eines der Opfer Monate später noch in den Selbstmord treiben.

Nach Bluttat in Brokstedt: Die Kinder kommen nicht nach Hause

Dannys Eltern wohnen nur gut 700 Meter vom Bahnhof in Brokstedt entfernt. Als sein Vater um 15 Uhr Feierabend hat und nach Hause kommt, sieht er nur: Blaulicht. Er rechnet mit einem Unfall. Auf dem Feld sieht Dannys Vater einen Rettungshubschrauber, Notarztwagen und viel Polizei. Plötzlich liegt da ein blutverschmiertes Handtuch auf dem Weg. Dannys Vater versteht nicht, was hier los ist.

Und er versteht auch nicht, warum Dannys Fahrrad nicht zu sehen ist. Normalerweise fährt der Junge mit dem Rad zum Bahnhof und schließt es hinter der kleinen Brücke über die Brokstedter Au an. Nur: Das Rad ist nicht da. „Mein erster Gedanke war: Ein Glück, dann ist Danny zu Hause.“ Was er nicht weiß: Der Junge hat morgens verschlafen, seine Mutter brachte ihn mit dem Auto zum Bahnhof.

Als in Kiel die ersten Alarmrufe eingingen

Und so fährt sie mittags wieder mit dem Auto hin, um Danny vom RE70 abzuholen. „Nur Danny kam nicht. Aber drei Mädchen haben in Todesangst an die Scheibe geklopft. Meine Frau hat sie in den Wagen gelassen und gleich wieder verriegelt“, sagt Dannys Vater. Die Verzweiflung steigt von Minute zu Minute, dann wenden sich Dannys Eltern an die Polizei. Irgendwann abends heißt es dann, sie mögen zum Feuerwehrgerätehaus kommen. „Und dort fiel der schlimmste Satz in meinem Leben: Ihr Sohn ist tot“, erinnert sich Dannys Vater.

Michael Kyrath ist der Vater von Ann-Marie. Er möchte aufrütteln, auf Missstände aufmerksam machen. er sagt: „Nur wer die Probleme offen anspricht, wird sie erkennen und lösen können!“
 
Michael Kyrath ist der Vater von Ann-Marie. Er möchte aufrütteln, auf Missstände aufmerksam machen. er sagt: „Nur wer die Probleme offen anspricht, wird sie erkennen und lösen können!“   © FUNKE Foto Services | Michael Rauhe

Zur selben Zeit in Elmshorn: Ann-Marie kommt nicht wie geplant nach Hause. Kein Anruf, keine Nachricht, wie sonst, wenn sie sich verspätet. „Dann hörte ich, dass in einem Zug bei Brokstedt etwas passiert und der ganze Verkehr zusammengebrochen ist. Ich bin dann gegen 17.30 Uhr mit dem Auto die rund 35 Kilometer nach Brokstedt gefahren“, erinnert sich Herr Kyrath an diesen Mittwoch. Am Bahnhof war da längst alles abgesperrt. „Ich wusste in dem Moment genau, dass etwas Furchtbares passiert ist.“

Zur selben Zeit in Kiel: Die Landtagssitzung geht langsam zu Ende. Hier streiten sich Regierung und Opposition über den Etat für das neue Jahr, als Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack über die Bluttat im Zug informiert wird. Die Nachrichten aus Brokstedt überschlagen sich. Die erfahrene Politikerin eilt in das 50 Kilometer entfernte Dorf. Am Abend informiert sie dort die Presse, vor allem aber ist sie für die Opfer und deren Angehörige da. Dannys und Ann-Maries Eltern werden das Sütterlin-Waack nie vergessen.

Nach Bluttat in Regionalbahn: Tage, die für die Familien kaum zu ertragen sind

Die Tage, die folgen, sind für die beiden Familien kaum zu ertragen. „Es kam mir vor, als lebe eine der beiden Gehirnhälften in der realen Welt, die andere aber in einer künstlichen. In der künstlichen sind die ganzen Erinnerungen, und du kannst nicht glauben, dass das jetzt vorbei ist. Man akzeptiert nicht, dass die Kinder so ums Leben gekommen sind. Es gab keine letzten Worte, keinen Abschied. Es ist wie eine Kerze, die einfach ausgepustet wurde“, beschreibt Dannys Vater die erste Zeit nach dem Angriff auf die wahl- und wehrlosen Opfer.

In den ersten Wochen hätten sie sich wie in einem Dauernebel gefühlt. „Oder wie in Watte gepackt“, sagt Frau Kyrath. „Das Kind geht morgens aus dem Haus, und du rechnest fest damit, dass es abends wiederkommt. Nur tut es das nicht. Es kommt nie mehr“, sagt ihr Mann. So wuchs der Wunsch, Ann-Marie wenigstens noch einmal zu sehen. Nur: Die Rechtsmediziner zählten bei der Obduktion insgesamt 27 tiefe Wunden, 16 allein in Gesicht und Hals. Die Verletzungen sind so schlimm, dass der Sarg eigentlich geschlossen bleiben soll. „Doch als wir im Leichenschauhaus ankamen, stand er offen. Das war erst einmal ein Schock. Aber sie haben Ann-Marie sehr hübsch hergerichtet und aufgebahrt. Wir haben ihr noch einmal die Hände streicheln können. Die waren eiskalt in den weißen Handschuhen, die man ihr übergestreift hatte“, erinnert sich Herr Kyrath.

Wie die Freundschaft der Eltern entstanden ist

„Ich wollte, ich musste Ann-Marie unbedingt noch einmal sehen. Trotz der schlimmen Verletzungen. Ich hatte ein hübsches Kleid für sie ausgesucht und einen Hut“, sagt seine Frau. Mit diesem bedecken die Leichenbestatter den Kopf der Toten. So können die Eltern Abschied nehmen.

Der Glaube hilft ihnen, diese Zeit durchzustehen. Und gute Freunde. „Wir haben einen fantastischen Freundeskreis. Bis zu 40 Leute waren nach dem Mord bei uns im Haus. Sie haben sich um uns gekümmert, haben Urlaub genommen, eingekauft, gekocht“, sagt Herr Kyrath. Auch nachts gucken die Freunde, ob die Kyraths noch leben oder ob sie sich etwas angetan haben. „Unsere Freunde unterstützen und tragen uns noch heute.“

Die „Bonuskinder“ der Familie Kyrath

Vor dem Tod ihrer Kinder kannten sich die Eltern von Ann-Marie und Danny noch nicht. Dafür war die Liebe der beiden zu frisch. Fünf Tage erst waren sie ein Paar. „Ich habe dann Dannys Eltern einen langen Brief geschrieben und vorgeschlagen, dass wir uns aus Liebe zu unseren Kindern treffen und kennenlernen müssen. Daraus ist diese wichtige Freundschaft entstanden“, sagt Frau Kyrath.

Ann-Marie und Joud waren beste Freundinnen. Joud, das Mädchen aus Syrien, war 2017 mit den Eltern nach Deutschland geflohen, plötzlich stand sie in Ann-Maries Klasse, ohne Deutsch zu können. Ann-Marie hat sie an die Hand genommen. Joud und Familie Kyrath treffen sich auch nach dem Tod Ann-Maries mindestens einmal die Woche. Auch zu den anderen Jugendlichen aus der alten Clique halten die Kyraths Kontakt. „Mindestens einmal die Woche kommen ihre Freunde bei uns zusammen“, sagt Herr Kyrath. Sie sitzen zusammen, reden, gehen in Ann-Maries Zimmer oder fahren an ihr Grab. Frau Kyrath nennt die Jugendlichen ihre „Bonuskinder“.

Bluttat von Brokstedt: Wenn beim Fest der Liebe die Liebe fehlt

Auch Dannys Freunde halten Kontakt zu dessen Eltern. Einer von ihnen hat sich sogar ein Tattoo für Danny stechen lassen. „Mein Vater ist vor drei Jahren gestorben. Ganz natürlich, aufgrund seines Alters. Die Erinnerung beginnt irgendwann zu verblassen. Aber bei Danny ist der Schmerz wie am ersten Tag. Ich sehe und höre ihn jeden Tag“, sagt sein Vater. Er spricht über die Zielstrebigkeit seines Jungen. „Damit ist er uns jetzt ein Vorbild. Wir müssen weitermachen für ihn. Unser Zusammenhalt in der Familie ist umso größer geworden.“

Weihnachten, das Fest der Liebe, kann eine sehr schwere Zeit sein - wenn die Liebe fehlt. In den vergangenen Jahren haben beide Familien viel mit den Kindern unternommen. Haben gemeinsam Weihnachtsgeschenke gekauft, gebacken, den Baum geschmückt. „Das alles fällt weg“, sagt Herr Kyrath. Weihnachten sei nicht mehr, was es immer war. Auch Dannys Familie hat das bevorstehende Fest in den Wochen zuletzt komplett ausgeblendet. „Danny hatte immer gefragt: Mama, Papa, was wünscht ihr euch? Was kann ich euch basteln oder schenken? Jetzt fehlt Danny – für immer. Statt Vorfreude auf Weihnachten sind da nur Schmerzen.“

Über die Menschen Ann-Marie und Danny

Danny war bei der Bahn mitten in der Ausbildung zum Mechatroniker. Sein Plan war, später die Meisterschule zu besuchen. „Irgendwann kam er zu mir und sagte: ,Papa, ich würde so gern 3-D-Druck testen. Das Gerät, das mir vorschwebt, kostet 1000 Euro. Aber wenn wir es in Einzelteilen bestellen und ich es dann zusammenbaue, sind es nur 700 Euro.‘ Er hatte mich überzeugt, und ich gab ihm die Hälfte dazu. Tag und Nacht hat er dann die Einzelteile zusammengesetzt und dann seine ersten Sachen gedruckt. Irgendwann war er so weit, für seine Chefs bei der Bahn komplette Miniaturzüge drucken zu können“, erzählt Dannys Vater und zeigt stolz Fotos auf seinem Smartphone.

Wer Ann-Marie einmal begegnet ist, dürfte sie kaum vergessen haben. Ihr Stil war auffällig, für eine 17-Jährige untypisch. Ann-Marie hat die 1950er- und 60er-Jahre geliebt, war ein riesiger Fan von Grace Kelly und Audrey Hepburn. Wie ihre Ikonen hat sich Ann-Marie dann auch gekleidet und frisiert. So ist sie zur Schule in Neumünster gefahren, wo sie das Abitur fachbezogen in Marketing und Design machen wollte, so ist sie ausgegangen, so hat sie Freunde getroffen. Selbst den Baumarkt hat sie nicht anders betreten. „Wenn ich ihr sagte, eine Jogginghose reiche im Baumarkt doch auch, hat sie Karl Lagerfeld zitiert: ,Wer eine Jogginghose trägt, hat die Kontrolle über sein Leben verloren‘“, erinnert sich ihr Vater.

Der Jaguar aus dem Hollywood-Film

Wie diese Vorliebe gekommen ist, die Eltern wissen es nicht so genau. „Sie fand diese alten Filme und die Mode der Zeit einfach großartig“, sagen beide. Einer ihrer Lieblingsfilme war „Wie klaut man eine Million“ mit Audrey Hepburn von 1966. In dem Film fährt Peter O‘Toole einen beigen Jaguar E-Type. „Und dann stehen wir vor drei Jahren mit ihrer Cousine aus Österreich an den Landungsbrücken in Hamburg, und plötzlich hält ein Jaguar wie aus dem Film neben uns. Es war tatsächlich der Originalwagen aus Ann-Maries Lieblingsfilm. Sie durfte sich reinsetzen und war total ergriffen“, erinnert sich Herr Kyrath. „Fünf Tage haben wir von ihr nur gehört: ,Hier hat Audrey gesessen.‘“

Die Eltern wollen Ann-Marie immer als lebensfrohe, hübsche junge Frau sehen. Das ist einer der Gründe, warum sie den Prozess nicht besuchen. Von überall waren sie gewarnt worden, es sein zu lassen: „Tut euch das nicht an“, hieß es. „Behaltet die Kinder im Kopf, wie sie morgens das Haus verlassen haben, und nicht, wie sie auf den Ermittlungsbildern aussehen.“ Frau Kyrath drückt es so aus: Das Böse soll in Itzehoe bleiben. Ein Besuch im Prozess würde sie nur vergiften.

Bluttat von Brokstedt: Viele Fehler und das Versagen der beteiligten Behörden

Dieses „Böse“, das ist der heute 34 Jahre alte Ibrahim A. Seit er 2004 nach Deutschland gekommen ist, beging er Straftaten. Strafrechtlich hatte die kriminelle Karriere keine großen Folgen für ihn. So war, als ein Beispiel, ein Messerangriff mit einem schwer verletzten Opfer dem Amtsgericht St. Georg nicht mehr als ein Jahr und ein paar Tage Haft wert. Während Ibrahim A.s Taten strafrechtlich eher geringe Folgen hatten – ausländerrechtlich hatten sie gar keine. Egal, was sich der staatenlose Palästinenser auch leistete, die Behörden verzichteten darauf, sich gegenseitig ausreichend zu informieren. „Es ist sehr viel schiefgelaufen aufseiten der Justiz. Keine Behörde wusste, was dieser hochkriminelle Mann machte oder wo er sich aufhielt. Der Staat hat hier versagt“, sagt Michael Kyrath.

„Wenn ein Autofahrer zweimal bei Rot über die Kreuzung fahre, werde ihm der Führerschein entzogen“, sagt Dannys Vater. Aber für den kriminellen Ibrahim A. habe sein Tun keine Folgen gehabt. „Unsere Kinder sind nicht bei einem Unfall gestorben, mit dem man vielleicht rechnen muss. Oder an einer schlimmen Krankheit. Der Täter hat wahllos zugestochen. Das wäre zu verhindern gewesen. Unsere Erwartung ist klar, dass so etwas nicht mehr passiert und dass die Politik die Gesetze entsprechend ändert“, sagt Dannys Vater.

Warum es Lob für die Kieler Politiker gibt

Das Versagen der Behörden wurde und wird detailliert aufgearbeitet. So soll die Behördenkommunikation verbessert werden, Messerverbote im Nahverkehr sind genauso geplant wie eine verstärkte Videoüberwachung. Auch ausländerrechtlich sollen Konsequenzen folgen. „Jemand, der in unserem Land solche, zum Teil schwere Straftaten begangen hat und deswegen auch zu einer Freiheitsstrafe verurteilt wurde, hat sein Gastrecht verwirkt“, sagte Ministerpräsident Daniel Günther wenige Wochen nach der Tat dem Abendblatt. Und: „Es gibt einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass wir in diesem Bereich bei Straftätern wirklich viel, viel schneller und effizienter werden müssen.“

Die schleswig-holsteinische Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) steht am Abend des 25. Januar 2023 am Bahnhof in Brokstedt.
Die schleswig-holsteinische Innenministerin Sabine Sütterlin-Waack (CDU) steht am Abend des 25. Januar 2023 am Bahnhof in Brokstedt. © dpa | Jonas Walzberg

„Die Behörden haben so viele Fehler gemacht im Umgang mit diesem Mann. Uns ist wichtig, dass diese Fehler abgestellt werden und sich nicht wiederholen können“, erklärt Michael Kyrath, warum er die Öffentlichkeit sucht. „Wer bei uns Schutz sucht, muss unsere Regeln und Gesetze akzeptieren. Wer das nicht tut, verwirkt sein Gastrecht“, sagt Ann-Maries Vater, der seit jenem 25. Januar engen Kontakt zu Ministerpräsident Günther und Innenministerin Sütterlin-Waack hält. „Sie haben politische Konsequenzen aus dem Tod unserer Kinder gezogen. Aber sie waren zudem auch als Menschen für uns Eltern da.“

Bluttat in Regionalbahn in Brokstedt: Kritik an der Bundesinnenministerin

Nach dem Tod ihrer Kinder hätten sie sehr große Unterstützung erfahren, sagen die Eltern: Durch die Politik in Schleswig-Holstein, die Polizei, den Weißen Ring, vom Amt für Opferschutz. Sie hätten hervorragende Arbeit geleistet. Traurig sei aber das Verhalten der zuständigen Bundesinnenministerin Nancy Faeser. „Wir haben sie bereits fünf- oder sechsmal eingeladen, sich mit uns zusammenzusetzen. Bis heute ist keine Reaktion gekommen, noch nicht einmal eine Gedenkkarte. Kein Wort der Trauer, nichts.“

Nach einem Stern-TV-Interview hatten sich mehr als 250 Elternpaare bei den Kyraths gemeldet. „Wir reden fast immer über dasselbe Täterprofil, über dasselbe Tatwerkzeug, denselben Tathergang, dieselben Tatmotive. Das sind nicht alles nur bedauerliche Einzelfälle, wie es gern heißt“, sagt Michael Kyrath. Es gehe ihnen nicht darum, Menschen zu beschuldigen, nur weil sie Migranten sind. „Aber da, wo Fehler passieren, wo Unrecht geschieht oder etwas grundsätzlich falsch läuft, muss man es auch dezidiert ansprechen, ohne zu stigmatisieren und ohne zu pauschalisieren. Nur wenn wir Probleme ansprechen, können wir sie lösen.“

Mehr zum Thema

Es ist wie eine Schicksalsgemeinschaft, die sich hier gefunden hat: Familie Kyrath hält Kontakt zu anderen Familien, die es ähnlich hart getroffen hat wie sie. Demnächst treffen sie auch wieder die Eltern von Ece. Das ist das Mädchen, das vor einem Jahr auf dem Schulweg in Illerkirchberg ermordet wurde. Und auch die Mutter der 13-jährigen Leonie werden sie sehen, die in Wien von drei Afghanen vergewaltigt worden ist, nachdem die Männer sie unter Drogen gesetzt hatten. „Das Mädchen ist an den Folgen gestorben. Die Mutter hat sich die entsetzlichen Handyfilme, die die Männer von ihrer Tat gemacht hatten, im Gerichtssaal anschauen müssen. Das ist auch ein Grund, warum wir nicht zum Prozess in Itzehoe gehen“, sagt Ann-Maries Vater.