Kiel/ Hamburg. Jahrelang blockierten die seltenen Nager den Bau der Autobahn. Jetzt sollen sie umgesiedelt werden. Ist der Preis dafür zu hoch?

Die Haselmaus hat schon einige Bauprojekte gestoppt, zumindest zeitweise. Nicht etwa, weil sie über geheime Superkräfte verfügt – ihre Superkraft sind ihre Unterstützer: die Naturschützer in ganz Deutschland. Und eben auch in Schleswig-Holstein.

Vor sieben Jahren setzten sie vor dem Bundesverwaltungsgericht noch einmal strengere Auflagen für den Weiterbau der Autobahn 20 im Norden durch. Eine Sorge des Gerichts: Der Streckenbau könnte die dort sehr seltene und streng geschützte Haselmaus gefährden. Nun sollen die dort lebenden 300 kleinen Nager umgesiedelt werden – für Gesamtkosten von rund eine Million Euro.

A20-Bau in Schleswig-Holstein: Tierschützer sehen Haselmäuse bedroht

Zum Projekt: Die A20 von der Uckermark nach Niedersachsen, wenn sie denn mal fertig gebaut ist, wird nach Angaben der ausführenden Deges Projektgesellschaft die „wichtigste Ost-West-Verbindung Norddeutschlands“. Anwohner, Pendler, die Wirtschaft, der Tourismus – alle sollen massiv von der neuen Schnelltrasse profitieren.

Doch wie bei so vielen größeren Bauprojekten in Deutschland haben enorme Widerstände den Neubau in Schleswig-Holstein seit 2013 blockiert. Dass es seit Jahren nicht weitergeht, hat unter anderem mit der Schutzbedürftigkeit von rund 30.000 Fledermäusen in ihrem Winterquartier Segeberger Kalkberghöhlen zu tun – und eben auch mit der vom Aussterben bedrohten Haselmaus, die in dem Gebiet heimisch ist.

Gegen den Bau des betroffenen Abschnittes der A20 von Wittenborn bis zur A7 hatten Naturschützer erfolgreich vor dem Bundesverwaltungsgericht geklagt. 2018 kassierte das Gericht den alten Planfeststellungsbeschluss als „rechtswidrig“, kritisierte unter anderem, dass die Fledermäuse und Haselmäuse nicht ausreichend erfasst worden seien. Durch zusätzliche Schutzmaßnahmen für die Fledermäuse, Haselmäuse und andere Tiere soll die Reststrecke der A20 statt 3,1 Milliarden nun 5,2 Milliarden Euro kosten. 38 Zusatzbauwerke sind deshalb geplant.

A20-Bau: Umzug von Haselmäusen mit hohen Kosten verbunden

Nun sollen also die 300 Haselmäuse umziehen – nur wie soll das vonstattengehen? Auf Abendblatt-Anfrage sagt dazu Deges-Sprecher Ulf Evert, dass es zwei Möglichkeiten gibt. Zum einen könnten die Haselmäuse „vergrämt“ werden, sie würden dann Zuflucht in geeigneten „trassenahen“ Ersatz-Habitaten finden. Die zweite Möglichkeit: Es werden Nistkästen aufgestellt und die Tiere dann mit der Hand eingesammelt.

Diese Kästen würden mehrfach von Haselmäusen bezogen, die Prozedur müsse bis zu dreimal wiederholt werden. In der Summe von einer Million Euro seien allerdings auch die Kosten für das Aufspüren der kleinen Nager, das Kartieren der Lebensräume und das Anlegen neuer Habitate enthalten. Die „Bild-Zeitung“ hat ausgerechnet, dass pro Haselmaus mehr als 3000 Euro fällig werden.

Darüber kann man sich mokieren – oder es bleiben lassen. „Als Fernstraßen-Planungsgesellschaft sind wir an geltende Gesetze und Rechtsprechung gebunden – und darüber hinaus der festen Auffassung, dass eine Autobahn, die eine Chance auf Realisierung haben will, zwei Dinge braucht: eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung und die Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Naturschutzes“, sagt dazu Deges-Sprecher Evert. „Schutz und Erhaltung von Umwelt kosten eine Gesellschaft Geld, auch beim Fernstraßenbau. Diesen Schutz ihres Lebensraums, ihrer Lebensumgebung sollte sich eine Gesellschaft stets leisten.“

Haselmäusen stoppten auch Hamburger Bauprojekt

Hamburg hat seine eigene Artenschutzgeschichte im Widerstreit mit großen Bauprojekten der jüngsten Vergangenheit. Die Liste ist lang: Da ist etwa die „zierliche Tellerschnecke“, die einem Gewerbegebiet in Bergedorf den Garaus machte. Jahrelang hielt zudem die seltene Pflanze Schierlings-Wasserfenchel die letzte Elbvertiefung auf. Und auch die possierliche Haselmaus hatte schon ihre Pfötchen bei aus dem Takt gebrachten Hamburger Bauvorhaben im Spiel: So entschied 2019 das Verwaltungsgericht, dass das Gewerbegebiet Victoria-Park an der Grenze zwischen Rahl­stedt und Stapelfeld mit Rücksicht auf den Schutz der seltenen Tiere vorerst nicht weitergebaut darf.

Umzug von 300 Haselmäusen: Minister Madsen begrüßt Vorrang des Natursschutzes

Auch der schleswig-holsteinische Verkehrsminister Claus Ruhe Madsen (CDU) begrüßt, dass der Naturschutz bei großen Bauprojekten Berücksichtigung findet. „Diese vom Bundesverwaltungsgericht auferlegte Maßnahme zeigt wie durch ein Brennglas, welch hoher Stellenwert in Deutschland der Natur beim Autobahnbau eingeräumt wird“, sagte Madsen dem Abendblatt.

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„Die A20 führt zweifellos durch ökologisch sensible Gebiete – und der Staat unternimmt nicht nur im Fall der Haselmäuse größte Anstrengungen, die Autobahn mit der Natur und nicht gegen sie zu bauen.“ Sanfte Kritik an der Naturschutz-Lobby sparte der Minister indes nicht aus. „Vor diesem Hintergrund wünsche ich mir allerdings manchmal, dass auch die Naturschutzverbände dies anerkennen und sich konstruktiver in die Planungen einbringen, um Klagen zu vermeiden.“

A20-Bau: Deges hofft auf Baustart im kommenden Jahr

Die Deges geht davon aus, dass mit den Maßnahmen zum Schutz der Haselmaus die vom Gericht gerügten Fehler im Planfeststellungsverfahren „geheilt“ werden können. „Wir hoffen auf den Planfeststellungsbeschluss noch in 2024“, so Evert, „und dass wir mit dem Bau 2025 beginnen können.“