Kiel. Seit Jahrzehnten wird die Küstenautobahn geplant, begutachtet, beklagt. Deges treibt das Projekt voran – trotz aller Widerstände.

Dieser Film gilt als eine der besten Komödien überhaupt. Beim 30 Jahre alten Hollywood-Blockbuster „Und täglich grüßt das Murmeltier“ hängt ein mies gelaunter Mann in einer Zeitschleife fest, erlebt einen wenig erfreulichen Tag alle 24 Stunden aufs Neue. Immer und immer wieder. Als Komödienthema ist der Bau der A20 kaum geeignet, als Filmstoff für eine Tragödie taugt die Geschichte hingegen bestens.

Der Weiterbau der Küstenautobahn ist so ein Murmeltiertag-Thema. Eine Zeitschleife, in der Gutachter, Planer, Kläger, Richter und Politiker seit jetzt rund 50 Jahren gefangen scheinen. Aktuell wird wieder einmal geklagt und geplant und ausgelegt. Aber wie steht es konkret um die offenen sechs Bauabschnitte?

A20: Für keinen der sechs Abschnitte liegt noch keine Baureife vor

Für diesen Dienstag hat die schleswig-holsteinische Industrie- und Handelskammer Unternehmen und Anwohner nach Glückstadt eingeladen, um über den aktuellen Planungsstand zu informieren. Motto der IHK: „Trotz Klagen ruhen die Planungen nicht.“

Von Glückstadt aus soll die A20 die Elbe in einem neuen Tunnel unterqueren, um dann auf niedersächsischer Seite ans Autobahnnetz angebunden zu werden. Soll. Tatsächlich endet die von Rostock kommende Straße seit 13 Jahren östlich von Bad Segeberg. Politik, Umweltverbände und Planer schieben sich seither den Schwarzen Peter hin und her. Auf Planungsmängel folgten Klagen, dann neue, zeitaufwendige Gutachten und schließlich wieder Klagen. Baureife gibt es auf keinem der sechs Bauabschnitte. Und so spricht die SPD von einer „Ansammlung von Pleiten, Pech und Pannen“.

Bei A20 gilt immer noch „vordringlicher Bedarf“ und wird vorangetrieben

Aber wie geht es jetzt weiter? Geht es überhaupt weiter? Schließlich hatte sich die Bundesregierung zum Entsetzen der norddeutschen Wirtschaft und des CDU-Teils in der schwarz-grünen Landesregierung im Frühjahr geweigert, die Küstenautobahn überhaupt auf die Liste der dringlichsten deutschen Ausbauprojekte zu setzen. Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther nannte das einen „absoluten Rückschlag“ und eine „katastrophale Meldung“ für den Norden.

Sebastian Haß ist der Norddeutschlandchef der bundeseigenen „Deges“. Das ist die „Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und -bau GmbH“, die Straßenplanungen beschleunigen soll. Haß treibt trotz der negativen Entscheidung der „Bundes-Ampel“ den Bau der Autobahn zur schleswig-holsteinischen Westküste „intensiv voran. Die A20 steht weiter im ,vordringlichen Bedarf‘“, sagt er. Daran habe sich nichts geändert.

A20-Bau: So geht es in den kommenden Monaten weiter

Und so geht es in den nächsten Monaten weiter: Gegen das „Highlight dieses Jahres 2023“, gemeint ist der Planfeststellungsbeschluss für den Tunnel-Bauabschnitt aus dem Januar, sind aktuell zwei Verfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht anhängig. „Deren Verlauf sehe ich wegen der guten Vorarbeit relativ entspannt“, sagt Autobahnplaner Haß. „Im sogenannten Fehlerbereinigungsverfahren hatten wir vorher unter anderem sichergestellt und nachgewiesen, dass sich durch den Bau des Tunnels die Wasserqualität der Elbe nicht verschlechtert. Daran haben Wissenschaftler verschiedener Fachrichtungen, darunter Chemiker und Biologen, gearbeitet.“ Europäisches Recht verlangt nicht nur, dass sich die Gewässergüte bei Bauarbeiten nicht verschlechtern darf, sondern die Wasserqualität soll sich sogar möglichst verbessern. „Das erreichen wir unter anderem durch den Bau eines eigenen Klärwerks“, sagt Haß.

Selbst wenn das Bundesverwaltungsgericht die Klagen – Umweltverbände und Fährbetreiber sind strikt gegen einen neuen Elbtunnel – abweisen sollte: Grünes Licht für den Start des Tunnelbaus wäre das noch lange nicht. Diese Arbeiten dürfen erst beginnen, wenn die Anbindungen ans Straßennetz in Niedersachsen und in Schleswig-Holstein sichergestellt sind. Das heißt für die Deges, dass sie auch Baurecht haben muss für den Bauabschnitt 7 in der Wilstermarsch.

A20: Ein Jahr nur für neue Klagen bereits eingeplant

„Hier haben wir alle offenen Fragen beantwortet und vor einigen Tagen Antrag auf die vierte Planänderung gestellt. Diese Pläne werden Anfang 2024 für vier Wochen ausgelegt, damit startet das Anhörungsverfahren. Für Ende des Jahres 2024 rechnen wir mit einem Planfeststellungsbeschluss“, gibt sich Haß optimistisch, wenngleich die Deges auch hier Klagen erwartet. In dem wahrscheinlichen Fall dürften sich die Verfahren vermutlich durch das komplette Jahr 2025 ziehen. Die Deges rechnet mit vollziehbarem Baurecht nicht vor Ende 2025/Anfang 2026.

Nur ob sie dann tatsächlich auch bauen kann, steht und fällt mit einer Finanzierungszusage des Bundes. Und der weiß schon bei aktuell zugesagten Projekten nicht, wie er sie finanzieren soll. Allein der Bau des Tunnels dürfte grob geschätzt zwei Milliarden Euro kosten und samt der Anbindungen sechs bis sieben Jahre dauern.

Umfahrung fehlt: In Bad Segeberg staut sich jeden Tag der Verkehr

Prioritär für die Deges ist neben den Bauabschnitten an und unter der Elbe Bauabschnitt 3. Das ist die Umfahrung von Bad Segeberg. „Wir wollen endlich das Nadelöhr mit täglichen Staus beseitigen. Die Beteiligungsfrist für die betroffenen Anwohner und Naturschutzverbände ist beendet, es wurden weniger als 50 Einwendungen vorgetragen“, sagt Autobahnplaner Haß. Jetzt ist die Genehmigungsbehörde am Zug.

Um dem Arten- und Biotopschutz gerecht zu werden, habe die Deges den geplanten Streckenverlauf leicht modifiziert. Dadurch würde die A20 gegen den Widerstand von Betroffenen 17,5 Meter näher an die dortige Traveschule heranrücken. „Ursprünglich war dort als Schutz ein sieben Meter hoher Lärmschutzwall geplant. Diesen am Sockel breiten Wall ersetzen wir jetzt durch eine genauso hohe, aber schmale Lärmschutzwand, die zur Schulseite bepflanzt werden kann“, verspricht Chefplaner Haß.

Verkehr Hamburg: A20 würde Elbtunnel in Hamburg deutlich entlasten

Die Deges will „schnellstmöglich“ mit diesem Bauabschnitt 3 loslegen. „Die Verkehrssituation dort ist eine Zumutung“, sagt Sebastian Haß. Er würde es verstehen, wenn die Menschen in Bad Segeberg und die Pendler jeden Tag aus Protest auf die Straße gingen, sagt auch Wirtschaftsminister Claus Ruhe Madsen.

Der Däne, der inzwischen auch über die deutsche Staatsbürgerschaft verfügt, nennt die A20 ein „transeuropäisches Verkehrsprojekt“, das die boomenden Regionen um Malmö, Kopenhagen und Hamburg verbinden würde. Laut Madsen ist der Weiterbau der Autobahn für die wirtschaftliche Entwicklung der gesamten schleswig-holsteinischen Westküste elementar. Madsen spricht zudem von einer „Bypass-Funktion“: Eine neue Elbquerung im Westen entlaste das Nadelöhr Hamburger Elbtunnel entscheidend.

Mehr zum Thema

Zuletzt vor einem Jahr hatte sich der schleswig-holsteinische Landtag zum Weiterbau der A20 bekannt – aus Koalitionsdisziplin mit den Stimmen der Grünen, wenngleich die Ökopartei die Küstenautobahn für „besonders teuer und klimaschädlich“ hält. So komplett anders hat sich Ministerpräsident Daniel Günther positioniert. „Die A20 ist für Schleswig-Holstein und ganz Norddeutschland von zentraler Bedeutung für die Transformation unserer Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität, für die wirtschaftliche Entwicklung und für die Sicherung unseres Wohlstandes insgesamt“, sagt Günther.