Kiel. Fehlerhafter Umweltschutz: Auf zwei Abschnitten der A20 kommt es jetzt zu Nachbesserungen, die Jahre beanspruchen werden.

Deutschlands langsamste Autobahn wird noch ein bisschen langsamer. Seit 1992 wird in Schleswig-Holstein an der A 20 gebaut, 39 von 112 Kilometern sind fertig. Doch seit anno 2009 ward kein Bagger mehr auf der Trasse gesehen. Knapp zehn Jahre Stillstand also. Und das wird nach dem aktuellen Urteil des Leipziger Bundesverwaltungsgerichts (BVG) noch schlimmer. Eine „bittere Niederlage“ sei dieses Urteil, sagte der sichtlich angefressene Verkehrsminister Bernd Buchholz (FDP) am Mittwoch in Kiel. „Wir haben damit so nicht gerechnet.“

Das klang erstaunlich anders als das, was die Leiterin des Amts für Planfeststellung Verkehr im Ministerium, Gesa Völkl, nach der Urteilsverkündung in Leipzig gesagt hatte. Ein Großteil der Planungen sei bestätigt worden, frohlockte sie. Völkl: „Es sind nur ganz wenige kleine Bereiche, wo wir nachbessern müssen.“

Planfeststellung ist "rechtswidrig und nicht nachvollziehbar"

In der Tat hatte der Vorsitzende Richter Wolfgang Bier in seiner kurzen Urteilsbegründung festgestellt, die Planung sei „in erheblichen Teilen – aber nicht vollständig – frei von Fehlern“. Andererseits sind diese Fehler offenbar so gewichtig, dass der Planfeststellungsbeschluss (PFB) nun das vernichtende Prädikat „rechtswidrig und nicht vollziehbar“ trägt. Was bedeutet: Auf die Planer der A 20 kommt ein jahrelanges Fehlerheilungsverfahren zu. „Zwei bis drei Jahre“ würde man wohl brauchen, sagte Buchholz.

Ein aus Sicht des Gerichts nicht ausreichend umfangreiches Wassergutachten und Fehler beim Artenschutz haben zu den Verzögerungen geführt. In dem Gutachten wird beschrieben, wie die Gewässer am Rande der Autobahn vor dem winterlichen Streusalz geschützt werden. „Es stammt aus dem Jahr 2015/16 und war nach dem damaligen Stand der Technik angefertigt“, so Buchholz.

Das Gericht urteilte hingegen, das Gutachten bleibe „in Systematik und Prüfungstiefe erheblich hinter den rechtlichen Anforderungen zurück“. Nun müssen für alle Gewässer am Rand des knapp 20 km langen Abschnitts zwischen der A 7 und Wittenborn neue Lösungen gefunden werden.

Richter: Einfluss auf Fledermäuse untersuchen

Unzufrieden waren die BVG-Richter auch mit dem Fledermausschutz. Zwar beginnt der fragliche Strecken­abschnitt erst in rund sieben Kilometern von den Segeberger Kalkberghöhlen, der Heimat der Tiere. Dennoch verlangt das Gericht nun eine aufwendige Verträglichkeitsuntersuchung.

Und auch die Schleiereule soll noch zu ihrem Recht kommen. Gibt es sie am Rand der Autobahn? Wie kann sie geschützt werden? Buchholz: „Wir haben in 300 Metern Abstand von der Trasse nach Schleiereulen gesucht und keine gefunden. Aber wenn das Gericht verlangt, 500 Meter abzusuchen, dann werden wir auch das machen.“

Das Urteil ist nicht nur für den Verkehrsminister Buchholz eine Niederlage, sondern auch für den Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU). Er hatte im Landtagswahlkampf 2017 versprochen, die Autobahn bis 2022 fertig zu bauen. Das ist nun Makulatur. Buchholz gestand ein: „Bis 2022 wird es auf der Autobahn keinen Spatenstich mehr geben.“ Denn nicht nur der jetzt erfolgreich beklagte Abschnitt, sondern auch die anderen Abschnitte inklusive des Elbtunnels bei Glückstadt sind weit von der Baureife entfernt.

Verlassener Seeadler-Horst muss betrachtet werden, als gäbe es ihn noch

Für die Abschnitte fünf, sechs und sieben gibt es noch nicht einmal Planfeststellungsbeschlüsse. Hier muss noch viel Arbeit investiert werden, um wenigstens dieses Zwischenziel zu erreichen. In einem Abschnitt haben sich mittlerweile Zwergschwäne einen Rastplatz gesucht. Ein Problem, dessen Lösung um einiges schwieriger sein dürfte als das einer Fledermauspopulation in sieben Kilometern Entfernung. Auf einem anderen Abschnitt wurde ein Seeadlerhorst gefunden. Er ist verlassen, muss aber naturschutzrechtlich für drei Jahre so behandelt werden, als sei er besiedelt. Der Seeadler könnte ja zurückkommen.

Besonders skurril ist die Lage im achten Abschnitt. Hier hatte das BVG zwar schon 2016 alle Klagen gegen den Planfeststellungsbeschluss abgewiesen, dennoch kleine Änderungen verlangt. Diese sollen nun, so der aktuelle Zeitplan, bis 2021 eingearbeitet sein. Fünf Jahre Verspätung also, obwohl die Klagen erfolglos waren. Die Klagen gegen die Abschnitte drei und vier waren erfolgreich. Hier gibt es nun zeitaufwendige „Fehlerheilungsverfahren“.

Die politischen Reaktionen auf das Urteil waren gespalten. Die Kläger, BUND und Nabu, begrüßten die Entscheidung. „Mit dem Urteil zeigt sich erneut, dass die gemeinsame Klage von BUND und Nabu als Anwalt von Natur und Umwelt notwendig war“, sagte die BUND-Landesvorsitzende Claudia Bielfeldt. Der Landtagsabgeordnete An­dreas Tietze (Grüne) kritisierte die Buchholz unterstellte Landesplanungsbehörde: „Wieder einmal ist sie in ihrer Systematik und Prüfungstiefe erheblich hinter den rechtlichen Anforderungen zurückgeblieben – wie schon so oft bei der Planung der A 20.“

Der FDP-Landtagsabgeordnete Christopher Vogt fordert: „Das deutsche Planungsrecht ist quasi ein Verhinderungsrecht geworden. Da braucht es dringend weitere Reformen.“ Hamburgs Verkehrssenator Michael Westhagemann (parteilos) sagte: „Das Urteil ist eine Enttäuschung.“