Brunsbüttel. Regierungschefs von Hamburg und Schleswig-Holstein attackieren auf der gemeinsamen Kabinettssitzung die Pläne der Bundesregierung.
Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern positionieren sich gegen die Bundesregierung und kämpfen zusammen für den Bau der Autobahn 20. Bürgermeister Peter Tschentscher nannte das Vorhaben nach der gemeinsamen Kabinettssitzung der Hamburger und der schleswig-holsteinischen Landesregierung am Dienstag in Brunsbüttel ein „ganz wichtiges Autobahnprojekt“. „Die A 20 muss verwirklicht werden“, so Tschentscher.
Damit distanzierte sich der Sozialdemokrat zumindest indirekt von der SPD-geführten Bundes-Ampel. Nach dreitägigem Krisengipfel hatten sich SPD, FDP und Grüne vergangene Woche erst auf eine Liste von 144 Straßen geeinigt, die vorrangig auszubauen seien. Nur: Auf der Prioritätenliste aus dem Haus des rheinland-pfälzischen Bundesverkehrsministers Volker Wissing von der FDP standen zwar jede Menge Straßen in West- und Süddeutschland, aber keine einzige im Norden oder Osten des Landes.
Autobahn Schleswig-Holstein: Günther attackiert Bundesregierung
Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) hatte die Entscheidung der Bundesregierung tags darauf „unsinnig“ und „komplett gegen die Interessen Norddeutschlands gerichtet“ genannt. Günther wirft der Bundesregierung vor, sie bevorzuge einseitig den Westen und Süden Deutschlands. Um den Druck auf die Ampel in Berlin zu verschärfen, sucht CDU-Politiker Günther die Unterstützung der SPD-Regierungschefs im Norden.
Günther sieht in der Strecke von Bad Segeberg zur Westküste des Landes nicht einfach nur irgendeine Autobahn, sondern „eins der großen Infrastrukturprojekte“, um den Norden voranzubringen. „Die A 20 ist für ganz Norddeutschland von zentraler Bedeutung für die Transformation unserer Wirtschaft, in Richtung Klimaneutralität, für die wirtschaftliche Entwicklung und für die Sicherung unseres Wohlstandes insgesamt“, argumentiert Günther. Im Zentrum seiner Kritik steht FDP-Verkehrsminister Wissing. Der hatte laut Günther die Priorisierung der Westküstenautobahn vor Kurzem erst bei einem Besuch im Norden zugesagt.
Tschentscher: Die Autobahn 20 würde auch Hamburg entlasten
Tschentscher sieht es ähnlich. „Auch aus Hamburger Sicht ist das Interesse am Bau groß.“ Die Autobahn würde helfen, den Verkehr in Hamburg zu entlasten. So ist geplant, die A 20 von der Westküste, etwa in Höhe von Glückstadt, in einem neuen Elbtunnel nach Niedersachsen zu führen. Dann müsste sich der Nord-Süd-Verkehr nicht weiter durch Hamburg quälen. „Eine dritte Unterschrift unter einen entsprechenden Aufruf an die Bundesregierung leiste ich gern“, sagte Tschentscher.
Zuvor hatten sich Günther und Mecklenburg-Vorpommerns Regierungschefin Manuela Schwesig – wie Tschentscher in der SPD – bei einem Treffen der norddeutschen Ministerpräsidenten zu einem Protestbrief an die Bundesregierung bekannt. An dem Treffen aber konnte Tschentscher nicht teilnehmen – er hatte gleichzeitig König Charles von England zu Besuch.
Gemeinsame Kabinettssitzung war offenbar effektiv
Seit mehr als 30 Jahren treffen sich, wenn Corona nicht dazwischen kommt, die Landesregierungen einmal im Jahr zur gemeinsamen Kabinettssitzung. Günther nennt das eine „lieb gewonnene Tradition“. 2022 war Hamburg Gastgeber der 50er-Runde mit Ministern, Senatoren und Staatsräten. Ganz so feierlich wie 2022 im Hamburger Rathaus ging es dieses Jahr dann nicht zu – in der schmucklosen Brunsbütteler Turnhalle, an zum großen Viereck aufgestellten Tischen unter einem hochgeklappten Basketballkorb.
Effektiv scheint es dennoch gewesen zu sein: Neben dem Kompromiss zur Verbringung des Hamburger Hafenschlicks und dem gemeinsamen Plädoyer für die A 20 ging es in Sichtweite zum stillgelegten Brunsbütteler Atomkraftwerk um die Energiewende. Also darum, wie die Dekarbonisierung vorangetrieben wird. Wie die Transformation hin zu einer klimaneutralen Industrie gelingen kann. Wie erneuerbare Energie günstiger für Verbraucher und Wirtschaft werden kann.
Entgelte für Stromnetze sorgen wieder für Ärger
Schleswig-Holstein produziert mehr Strom aus Windkraft als im Land verbraucht wird. Was gut klingt, hat aber zwei Nachteile. Nachteil 1: Oft kann der Strom mangels Leitungen gar nicht abtransportiert werden, die Produktion muss dann abgeriegelt werden. Nachteil 2: Weil es so viele Windparks gibt, die ans Stromnetz angeschlossen werden müssen, sind hier die Netzentgelte, die alle Verbraucher zahlen, besonders hoch.
Heißt: Weil im Süden Deutschlands der Ausbau der Windenergie stockt, ist der Strom dort billiger als im Norden. Das halten Tschentscher und Günther für eine „Unwucht im System“. Sie suchen jetzt im Bundesrat nach Mehrheiten für eine Gesetzesänderung. „Wir brauchen ein neues Strommarkt-Design“, forderte Günther.
Nordländer wollen Wasserstoff-Wirtschaft ausbauen
Mit dem schleswig-holsteinischen Überangebot an Strom aus Windkraft wollen beide Nordländer die Wasserstoff-Wirtschaft ausbauen. „Wir wollen unseren grünen Strom nutzen, um auch die Industrie zu Klimaneutralität zu transformieren“, sagte Günther. Er und Tschentscher forderten vom Bund, beide Länder frühzeitig an das entstehende europäische Wasserstofffernleitungsnetz „HyPerLink III“ anzubinden. Es soll von der dänischen Grenze bis südlich der Elbe verlaufen.
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„Der Norden ist die Zukunftsregion für Produktion, Nutzung und die Verteilung von grünem Wasserstoff in Deutschland“, sagte Tschentscher. Um vor allem die norddeutsche Industrie frühzeitig mit Wasserstoff versorgen zu können, müsse der Bund sicherstellen, dass dieses Vorhaben bis 2028 in Betrieb genommen werden könne, hieß es in Brunsbüttel.
Landesregierungen treffen sich am neuen Flüssiggas-Terminal
Vor ihrer gemeinsamen Sitzungen hatten sich die beiden Landesregierungen beim Terminalschiff „Hoegh Gannet“ im Brunsbütteler Hafen getroffen. Von hier wird Flüssigerdgas (LNG) ins schleswig-holsteinische Leitungsnetz eingespeist. Das schwimmende Terminal – eins von vieren im Norden – war in Rekordzeit von acht Monaten geplant, genehmigt und ans Netz angeschlossen worden, um unabhängig von russischen Gaslieferungen zu werden.