Kiel. Die Neuntklässler aus Schleswig-Holstein haben beim IQB-Bildungstrend vor allem in Deutsch massiv enttäuscht. Die Forderungen der SPD.
Das Ergebnis ist alarmierend: Schleswig-Holsteins Neuntklässler haben bei der jüngsten Bildungsstudie nicht nur unterdurchschnittlich abgeschnitten – sie haben sich beim Lesen, Zuhören und in der Rechtschreibung in Deutsch gegenüber der Untersuchung zuvor nochmals verschlechtert. Die SPD-Fraktion bringt deshalb einen Forderungskatalog in die nächste Sitzung des schleswig-holsteinischen Landtages ein: So soll die Zahl der Ganztagsschulen deutlich erhöht, ein „Masterplan Deutsch“ in Zusammenarbeit mit externen Experten entwickelt, die Konzepte für Deutsch als Zweitsprache überprüft und verbessert sowie die Lernstände der Schüler durch geeignete Testverfahren regelmäßig ermittelt werden.
So ganz anders als die schleswig-holsteinischen Neuntklässler haben die aus Hamburg auch beim jüngsten IQB-Bildungstrend überzeugt. Kein anderes Bundesland habe sich in den vergangenen 13 Jahren so stark verbessert wie die Hansestadt, kommentierte Bildungssenator Ties Rabe bei der Vorstellung der Studie im Oktober. „Dieses erneut gute Abschneiden Hamburgs ist ein überzeugender Beleg für den Erfolg datengestützter Unterrichtsentwicklung und der Überprüfung des Sprachstandes bereits bei Viereinhalbjährigen“, fordert der Bildungsexperte der schleswig-holsteinischen SPD, Martin Habersaat, sich Hamburg als Vorbild zu wählen.
Schlechte Schüler in Schleswig-Holstein: SPD fordert verpflichtende Tests für Viereinhalbjährige
Eine wirksame Förderung der Schüler sei davon abhängig, dass deren Wissenszuwachs durch Tests regelmäßig ermittelt werde. „Lehrkräfte benötigen für jede Schülerin und jeden Schüler gut aufbereitete diagnostische Informationen, um gezielte Fördermaßnahmen anschließen zu können“, begründet Habersaat den SPD-Antrag.
Er verweist auf die Ergebnisse der IQB-Studie: Die Zahl der Kinder, die die Mindeststandards verfehlen, steige in Schleswig-Holstein. Der Anteil derer, die den Optimalstandard erreichen, gehe hingegen zurück. Und die Streuung der sogenannten Kompetenzwerte nehme daher zu. Heißt: Gute und schlechte Leistungen spreizen sich. „Es gelang unseren Schulen zwischen 2015 und 2022 weniger gut als im vorangegangenen Untersuchungszeitraum, alle Schülerinnen und Schüler mitzunehmen.“
Migrationsanteil bei Schleswig-Holsteins Schülern im Verhältnis eher gering
Nur am Anteil migrantischer Kinder in den Klassen scheint es nicht zu liegen. In Deutschland hat mehr als jeder dritte Neuntklässler einen Migrationshintergrund, während Schleswig-Holstein mit 28,1 Prozent den niedrigsten Wert aller westdeutschen Länder hat. „Trotzdem fielen hier Kinder mit Migrationshintergrund besonders stark zurück“, kritisiert Habersaat.
Der Kinderschutzbund Schleswig-Holstein nennt die Ergebnisse des IQB-Bildungstrends „besorgniserregend“. Einige Entwicklungen widersprächen dem Ziel, soziale Gerechtigkeit und bestmögliche Förderung aller Kinder und Jugendlichen zu erreichen, sagte die Landesvorsitzende Irene Johns. Sie kritisierte scharf, dass die festgestellten Kompetenzen von Schülern in erheblichem Umfang vom sozialen Hintergrund des Elternhauses abhängig seien.
„Dass der Anteil der Schüler ohne Abschluss in Schleswig-Holstein im Gegensatz zum Bundesdurchschnitt auf fast acht Prozent gestiegen ist, ist schlichtweg nicht hinnehmbar“, erklärte Johns. „Dass hier eine wachsende Anzahl an Schülerinnen und Schülern die Mindeststandards sowohl für den ersten Schulabschluss als auch für den Mittleren Schulabschluss verfehlt, ist ein unhaltbarer Zustand“, konstatiert Irene Johns.
Wenige Schulen in Schleswig-Holstein bieten „vollgebundenen Ganztagsunterricht“
Das sieht die SPD im Norden ähnlich. Einen Grund für das schlechte Abschneiden hat sie im unzureichenden Ganztagsangebot ausgemacht. Während in Deutschland im Schnitt 19,2 Prozent aller Schulen „vollgebundenen Ganztag“ anbieten – hier haben alle Schüler und Klasse an mindestens vier Tagen verpflichtend Ganztagsunterricht –, liegt Schleswig-Holstein mit 1,8 Prozent weit abgeschlagen auf dem letzten Platz, sagt Habersaat. „Ganztagsangebote sind eine wichtige Chance, die Bildungsgerechtigkeit zu steigern“, sagt auch Kinderschützerin Johns.
Als Konsequenz soll versucht werden, das Interesse der Schüler am Deutschunterricht zu stärken, fordert die SPD. Das gehe am besten über einen Lebensweltbezug, wie Deutschlehrer Habersaat sagt. „Wir lernen am besten, wenn wir wissen, warum wir lernen. Wenn Jugendliche eine Schülerfirma betreiben und mit Geschäftspartnern korrespondieren, ist ihnen völlig klar, dass der Brief eine bestimmte Form haben muss und keine Fehler enthalten sollte.“
Habersaats Rat: Wenn in der Schule Texte erstellt werden, sollten es möglichst oft solche sein, die auch gebraucht werden. Auch ein Handyvertrag könne mal in den Deutschunterricht geholt werden, um zu sehen, was man da eigentlich unterschreibt.
Welche Rolle spielte Corona für Ergebnis des IQB-Bildungstrends?
Die SPD fordert zudem, den Bereich „Deutsch als Zweitsprache“ (DaZ) zu überprüfen. „Kinder und Jugendliche, wie auch Erwachsene, lernen am besten eine Sprache, wenn sie sie anwenden. Es sollte also nicht so sein, dass die ,DaZ-Kinder‘ von 8 bis 11.30 Uhr unter sich sind und dann nach Hause gehen. Der Ganztag muss auch Angebote für sie bereithalten, Vereine und Verbände müssen eingebunden werden“, so die SPD.
Aus Sicht von Bildungsministerin Karin Prien (CDU) hatte sich beim IQB-Bildungstrend fortgesetzt, was sich bereits in der Grundschule angedeutet habe. Mit Blick auf die Corona-Maßnahmen sagte sie: „Erneut zeigt sich, dass Schulschließungen, Wechsel- und Distanzunterricht sich negativ auf die Lernentwicklung der Jugendlichen ausgewirkt haben.“
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Das Argument, Corona sei schuld am schlechten Abschneiden der schleswig-holsteinischen Neuntklässler, lässt Habersaat hingegen nicht gelten. „Corona hat überall stattgefunden und taugt nicht zur Erklärung von länderspezifischen Entwicklungen.“
Es liege auch nicht an der Zahl der Unterrichtsstunden in Deutsch und Englisch in den Jahrgangsstufen 5 bis 10. Die sei in Schleswig-Holstein eher höher als in den anderen Ländern. Und so erhofft sich die SPD mit ihrem Antrag einen Qualitätsschub: „Wir werden endlich mal mehr über die unterrichteten Stunden sprechen müssen als nur über die zu unterrichtenden.“