Hamburg. Sie verhandelt für die CDU in Schleswig-Holstein mit den Grünen über eine Koalition. Was die beiden Parteien eint, was sie trennt.

Sie ist das liberale Aushängeschild der CDU, hat die inzwischen wieder aufgelöste „Union der Mitte“ als Gegenentwurf zur ultrakonservativen „Werteunion“ mitgegründet, kämpft für die Frauenquote, arbeitet am neuen Grundsatzprogramm ihrer Partei mit. Sie ist stellvertretende CDU-Chefin in Schleswig-Holstein und auch Stellvertreterin von Friedrich Merz. Und „nebenbei“ ist Karin Prien auch die alte – und vermutlich neue – Bildungs­ministerin im Norden.

Mit ihrem Regierungschef Daniel Günther und zehn weiteren CDU-Spitzen verhandelt die drei­fache Mutter aktuell mit den Grünen über einen Koalitionsvertrag für die nächsten fünf Jahre. Karin Prien spricht im Abendblatt-Interview über Trennendes und Gemeinsames mit den Grünen, über einen neuen Feiertag, den Bau der A 20 und Religionsunterricht an Schulen im Norden.

Hamburger Abendblatt: Frau Prien, hat die CDU das Zocken der Grünen auf eine Zweierkoalition und deren Risikospiel honoriert, in dem Sie der Partei Koalitionsverhandlungen angeboten haben?

Karin Prien: Wir wollten gerne die Jamaika-Koalition fortführen. Dafür gab es am Ende nach Überzeugung aller drei Parteien aber keine tragfähige Lösung. Wir wollen an den erfolgreichen Kurs der Jamaika-Koalition anknüpfen. Aber wir haben auch auf das Wahlergebnis geschaut. Die CDU ist klarer Wahlsieger, aber die Grünen haben auch deutlich zugewonnen. Das war zu berücksichtigen. Mit einer schwarz-grünen Koalition können wir die großen Transformationsprozesse, vor denen unser Land steht, auf eine möglichst breite gesellschaftliche Mehrheit stützen.

Prien: CDU und Grüne wollen Klimaschutz, der Arbeit schafft

Daniel Günther, Sie und Ihre CDU hätten sich auch für die FDP entscheiden können. Dann hätte die Union mehr eigene Programmatik durchgesetzt und mehr Ministerposten bekommen. Was hat denn gegen die Koalition mit der FDP gesprochen?

Prien: Nochmals: Jamaika wäre uns die liebste Lösung gewesen. Aus Gründen, die aufseiten von Grünen und FDP liegen, war eine Neuauflage nicht erfolgreich möglich. Um die großen Transformationsprozesse auf eine breite gesellschaftliche Basis zu stellen, haben wir uns für die Grünen entschieden. Diese Entscheidung haben wir uns nicht leicht gemacht.

Wo sehen Sie nach den Sondierungen beim Thema Transformation der Wirtschaft die größten Schnittmengen mit den Grünen?

Prien: Wir sind uns einig, dass der Klimaschutz und insbesondere die Entwicklung unseres Bundeslandes hin zu einem klimaneutralen Industrieland eine gemeinsame Aufgabe und eine riesengroße Chance ist. Wir wollen Klimaschutz, der Arbeit schafft. Und wir können darin Vorreiter in Deutschland werden. Dieses Ziel teilen wir mit den Grünen. Uns ist es dabei wichtig, Planungs- und Genehmigungsverfahren bei großen Projekten deutlich zu beschleunigen. Das ist eine zentrale Aufgabe in den nächsten Jahren. Ein weiteres wichtiges Thema ist, den Fachkräftemangel im Land wirksam bekämpfen zu können. Auch da gibt es große Schnittmengen.

Sie fordern Planungsbeschleunigung und Bürokratieabbau. Aber wie soll das gehen, ohne Umweltstandards zu senken und Bürgerbeteiligung zu minimieren – worauf sich die Grünen kaum einlassen dürften?

Prien: Auch wir sind für eine gute Bürgerbeteiligung! Man wird aber Verfahren und Prozesse neu ordnen und die Abläufe so anpassen müssen, sodass man schneller zu Entscheidungen kommt. Das schaffen unsere Nachbarn, wie zum Beispiel Dänemark, die derselben europäischen Gesetzgebung unterliegen, ja auch.

Als Bildungsministerin: Fokus auf Lehrermangel

Sie sind die Bildungsministerin. Wo sehen Sie die größten Übereinstimmungen mit den Grünen in diesem Bereich?

Prien: Für uns steht Bildungsgerechtigkeit im Mittelpunkt. Erfreulicherweise ist es uns in den letzten fünf Jahren gelungen, die großen ideologischen Gräben zu überwinden. Wir wollen jetzt keine großen Strukturreformen im Bildungssystem. Was die Schulen jetzt brauchen, sind Zeit und Unterstützung, um ihre Qualität zu verbessern. Wir wollen die Unterstützung von Kindern und Jugendlichen ausbauen, die es schwerer haben. In den Kitas wollen wir den Bildungsauftrag und die Vorbereitung auf die Schulzeit verbindlicher gestalten.

Eines der großen Themen der nächsten Jahre ist die Lehrkräftegewinnung und die Qualität der Lehrerbildung. Darüber sind wir uns gemeinsam im Klaren. Ansonsten gilt es in diesem Bereich, Kurs zu halten und das, was wir im Bereich der MINT-Bildung (das sind Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft, Technik, die Red.) und in der Internationalisierung von Schulen begonnen haben, weiter voranzubringen.

Und wo sehen Sie die größten Differenzen in der Bildungspolitik?

Prien: Da müssten Sie die Grünen fragen. Ich sehe wenig Differenzen. Für uns spielt nach wie vor das Thema Leistung und Erreichen von Bildungsstandards eine große Rolle. Auch der Informatikunterricht als Pflichtfach in der Sekundarstufe I und eine Stunde mehr Mathe und Deutsch in der Grundschule sind uns für die Zukunft unserer Kinder sehr wichtig. Den Grünen ist das Thema Bildung und nachhaltige Entwicklung wichtig. Das ist aber auch für uns inzwischen eine Selbstverständlichkeit. Ich schaue also mehr auf Gemeinsamkeiten und weniger auf Trennendes.

Die Grünen fordern, den klassischen Religionsunterricht zurückzudrängen und durch ein bekenntnisunabhängiges Lehrfach „Philosophie und Religionskunde“ zu ersetzen. Konfessionsgebundener Unterricht müsste dann zusätzlich besucht werden. Ist das mit der CDU zu machen?

Prien: So etwas wäre mit der CDU nicht zu machen. In unserem Wahlprogramm steht ein klares Ja zum bekenntnisorientierten Religionsunterricht, aber wir bieten bereits jetzt auch Philosophieunterricht als Alternative an. Man kann die Situation in Schleswig-Holstein auch nicht mit der in Stadtstaaten wie Hamburg vergleichen. Wir setzen uns sehr für interreligiösen Dialog ein. Die Kirchen selbst haben ein großes Interesse an mehr Kooperation.

Beide Parteien betonen das Gemeinsame. Und doch sind Konfliktthemen offensichtlich. Wie bei der Inneren Sicherheit und der CDU-Forderung, zur Bekämpfung der Schwerstkriminalität Onlinedurchsuchungen, Vorratsdatenspeicherung und Quellen-TKÜ einzusetzen, also Telekommunikation vor ihrer Verschlüsselung abzuschöpfen. Das nennen die Grünen „Massenüberwachung“, die sie kategorisch ablehnen. Wie kann man da zusammenfinden?

Prien: Auch im Bereich der Inneren Sicherheit sollten wir erst einmal auf die gemeinsamen Ziele schauen. Eine bessere Ausstattung und eine weitere personelle Stärkung der Polizei – da kommen wir, glaube ich, schnell zusammen. Ich denke, wir können auch darüber diskutieren, wie Bodycams sinnvoll eingesetzt werden sollten. Wir müssen effektiver gegen Kriminalität im Internet vorgehen. Dafür hat die CDU im Wahlprogramm die Cyberhundertschaft gefordert.

Gerade im Lichte der jetzt bekannt gewordenen furchtbaren Straftaten gegenüber Kindern müssen auch die Grünen mithelfen, dass die Polizei einen zeitgemäßen Werkzeugkasten an die Hand bekommt, mit dem sie solcher Verbrecher Herr werden kann. Deshalb stehen die Themen Quellen-TKÜ und Onlinedurchsuchung bei uns im Wahlprogramm. Wir schauen natürlich, was im Rahmen der Verfassungsrechtsprechung in Europa und in Deutschland möglich ist. Aber wir sehen in anderen Bundesländern, dass man das sehr wohl verfassungskonform lösen kann.

Sie haben Bodycams angesprochen, also Wohnungsdurchsuchungen über eine am Körper angebrachte Kamera zu filmen. Im CDU-Wahlprogramm steht: „Wir setzen uns zum Schutz unserer Polizei und zur Deeskalation dafür ein, im Landespolizeirecht den Einsatz von Bodycams auch in Wohnungen zuzulassen.“ Bei den Grünen heißt es: „Den Einsatz von Bodycams in Wohnungen lehnen wir ebenfalls ab.“ So einfach wird das Thema wohl doch nicht zu lösen sein.

Prien: CDU und Grüne haben eine vertrauensvolle Gesprächskultur. Wir werden über dieses Thema sprechen und dann gemeinsam sehen, wo eine Einigung möglich ist. Das Thema Innere Sicherheit ist für uns von großer Bedeutung. Die CDU wird auch in dieser Regierung eine Brückenbauerin sein. Aber denken Sie daran: Uns fehlt eine Stimme zur absoluten Mehrheit. Ein zukünftiger Koalitionsvertrag muss daher eine deutlich christdemokratische Handschrift tragen.

Kernklientel der CDU sind Landwirte. Hier drohen neben der Inneren Sicherheit weitere Konflikte. Die Grünen fordern, mindestens 30 Prozent der landwirtschaftlich genutzten Flächen für Ökolandbau und die Reduzierung der Tierdichte auf „maximal zwei Großvieheinheiten pro Hektar“ Fläche. Wie wollen Sie das Ihren Anhängern in der Landwirtschaft verkaufen?

Prien: Die Landwirtschaft ist für die Menschen in unserem Land wichtig. Wie wichtig der Beitrag ist, den die Landwirtinnen und Landwirte für unsere Versorgungssicherheit leisten, wird uns gerade aktuell wieder bewusst. Landwirtschaftspolitik muss so gestaltet sein, dass die Landwirte Planungssicherheit haben und von ihrer Arbeit auch gut leben können. In diesem Sinne werden wir im Interesse der Landwirtschaft auch die Koalitionsverhandlungen führen. Über die Details werden die Fachleute in den Verhandlungen sprechen, das machen wir nicht in den Medien.

Die Grüne Jugend lehnt den Weiterbau der A 20 kategorisch ab, die Verhandlungsführerinnen der Partei sähen es am liebsten, wenn die Bundesregierung die Planung stoppen würde. Mit welcher Position zur A 20 geht die CDU in die Verhandlungen?

Prien: Die A 20 muss weitergebaut werden. Das Thema ist für die CDU nicht verhandelbar. Wir sind uns mit den Grünen einig, dass wir insbesondere an der Westküste innovative Unternehmen mit zentraler Bedeutung für die Energiewende und die Bekämpfung des Klimawandels ansiedeln wollen. Ein erstes riesiges Projekt ist der Bau der Batteriefabrik des schwedischen Unternehmens Northvolt bei Heide.

Das ist aber nur ein Anfang. Wenn es uns gemeinsam als Koalition ernst ist mit dieser Entwicklung an der Westküste, dann kann man auf die A 20 nicht verzichten. Wir brauchen eine moderne Infrastrukturanbindung der Westküste sowohl auf der Schiene als auch auf der Straße.

Hamburgs grüner Verkehrssenator zeigt, wie viel Parteiprogrammatik man durchsetzen kann, wenn man die zuständige Behörde führt. Erhebt die CDU in Schleswig-Holstein Anspruch auf das Verkehrsministerium, um zusätzliche Hürden für den Bau von Straßen wie der A 20 zu verhindern?

Prien: Ich bitte um Verständnis: Aber über die Ressortaufteilung und -vergabe werde ich nicht im Abendblatt spekulieren.

Wenn Schwarz-Grün im ländlich geprägten Norden gelingt – ist das dann auch eine Blaupause für den Bund?

Prien: Landesregierungen aus CDU und Grünen können für die Aufgaben der Zukunft prägend sein. Wir haben jetzt die große Chance zu beweisen, dass Schwarz-Grün in der Lage ist, die großen Transformationsprozesse mit einer breiten gesellschaftlichen Akzeptanz zu gestalten. Den Nachweis müssen wir jetzt gemeinsam erbringen.