Kiel. Bildungstest belegt: Mindeststandards werden oft nicht erfüllt. Landtag von Schleswig-Holstein streitet über Folgen.

Das Ergebnis sei „besorgniserregend“ und „dramatisch“, man habe die „Rote Laterne“ übernommen, Mindeststandards würden verfehlt, „Ausflüchte und Nebelkerzen“ seien völlig fehl am Platz, wichtig seien jetzt die „richtigen Konsequenzen“, hieß es. Als diese Sätze am Mittwoch fielen, ging es nicht um das parallel laufende WM-Spiel der Deutschen in Katar gegen Japan – sondern um das Bildungsniveau der schleswig-holsteinischen Grundschüler.

Die hatten gerade erst beim bundesweiten Vergleichstest ziemlich dürftig und deutlich schlechter als bei der Überprüfung 2016 abgeschlossen. So erreichen, nur als ein Beispiel, mehr als 20 Prozent der schleswig-holsteinischen Grundschüler die Mindest­standards im Fach Mathematik nicht.

Schüler im Norden: Leistungsabfall auch durch Corona-Pandemie bedingt

Dieser Leistungsabfall bei den jüngsten Schülerinnen und Schülern im Norden und in ganz Deutschland – anders und deutlich positiver sieht es in Hamburg aus – hat Landtag und Landesregierung alarmiert. Laut Bildungsministerin Karin Prien, die am Mittwoch im Parlament einen Bericht zum Zustand an den Schulen und die geplanten Konsequenzen aus dem schlechten Abschneiden bei dem IQB-Bildungstrend vorstellte, haben die Schulschließungen in der Pandemie besonders die Grundschüler hart getroffen.

Bundesweit hätten deshalb so viele Kinder die Mindeststandards nicht erreicht. „Kinder mit Migrationshintergrund hatten besonders deutliche Nachteile“, sagte die CDU-Politikerin. Man müsse aber ehrlich sein: „In der Pandemie hat sich ein negativer Trend fortgesetzt und verstärkt, der vorher schon da war.“

Balasus: „Schulschließungen darf es nicht mehr geben“

Prien kritisierte, dass Schulen in der Pandemie Förderprogramme nicht überall wie gewünscht umgesetzt hätten. Die Bildungsministerin kündigte einen Maßnahmenkatalog an, der jetzt entwickelt werde, um dem Abwärtstrend entgegenzuwirken. Schon jetzt scheint klar. Die Konzentration auf Kernfächer wie Deutsch und Mathematik soll weiter verstärkt, das Zusammenspiel von Eltern, Kitas und Schulen verbessert werden. „Das Ziel aller Maßnahmen ist klar: Die schleswig-holsteinischen Schüler sollen beim nächsten Test besser abschneiden“, forderte die Ministerin.

„Schulschließungen darf es nicht mehr geben“, sagte CDU-Bildungsexperte Martin Balasus. Corona habe wie ein „Katalysator“ gewirkt für Entwicklungen, die es vorher schon gab: „Unsere Schülerschaft hat sich gewandelt. Sie ist weitaus heterogener als vor einigen Jahren: Stadt oder Land, bildungsfern oder bildungsnah, steigender Migrationsanteil durch die Flüchtlingskrise, immer weniger Unterstützung in den Elternhäusern, in denen immer seltener vorgelesen wird.“

Lehrermangel belastet das Bildungssystem

In der Folge hätten Lehrkräfte Grundschüler mit ganz unterschiedlichen Startvoraussetzungen zu unterrichten: „Manchmal haben sie es in ihren ersten Klassen mit Kindern zu tun, die kaum Deutsch sprechen, bis hin zu jenen, die bereits sicher lesen können.“ Balasus kündigte an, dass Schwarz-Grün im Norden die Förderprogramme intensiviere. „Wir brauchen mehr Lehrkräfte und müssen junge Menschen für den Beruf begeistern. Das ist eine große Herausforderung“, sagte der CDU-Abgeordnete.

Für die SPD rechnete Martin Habersaat, selbst Lehrer, mit der Bildungspolitik von Schwarz-Grün ab. Schleswig-Holstein habe die „Rote Laterne“ bei der Nutzung von Ganztagsunterricht, zu vielen Lehrern an Grundschulen mangele es an einer abgeschlossenen Pädagogen-Ausbildung, zu oft falle Unterricht aus.

Die einzige konkrete Idee von Bildungsministerin Prien, wie der Misere zu begegnen sei, habe die für Kitas zuständige grüne Sozialministerin Aminata Touré abgelehnt – nämlich Viereinhalbjährige verpflichtenden Sprachstandstests zu unterziehen und sie bei starken Defiziten zum Kita-Besuch zu verdonnern. „Jetzt, wo das koalitionsintern abgeräumt wurde, steht Schleswig-Holstein blank dar“, kritisierte SPD-Bildungsexperte Martin Habersaat.

Krüger: „Wir müssen die Inklusion verbessern“

Der Grüne Malte Krüger forderte, die Basiskompetenzen zu stärken – also einen Fokus auf Lesen, Schreiben und Rechnen zu legen. Um eine schlüssige „Gesamtstrategie“ entwickeln zu können, brauche man zunächst wissenschaftliche Untersuchungen zu den besten Fördermaßnahmen für die Grundschüler. Obwohl diese Untersuchungen noch nicht vorliegen, ist für Krüger schon heute klar: „Wir müssen die Inklusion verbessern.“ Aus Sicht des grünen Politikers macht der Bildungsbericht der Ministerin deutlich, dass es in Schleswig-Holstein zu wenig Pädagogen gibt. „Wir brauchen mehr Lehrkräfte.“

Für FDP-Fraktionschef Christopher Vogt kommt das „dramatische Abschneiden“ der schleswig-holsteinischen Grundschüler beim PISA-Nachfolgetest nicht „wirklich überraschend“. Der Trend gehe kontinuierlich nach unten. Corona sei nur ein Teil des Problems. „Die Schulen können nicht alle gesellschaftlichen und familiären Defizite auffangen“, sagte Vogt. Der FDP-Bildungsexperte warb für frühzeitige Sprachtests, die Erhöhung der Unterrichtsstunden, forderte, Mathematik und Deutsch nur noch von ausgebildeten Fachlehrern unterrichten zu lassen, Lehrer besser und zielgerichteter auszubilden und den Ganztagsunterricht auszubauen.

Kinder in einkommensschwachen Schichten sollen mehr gefördert werden

Aus Sicht des SSW belegt der Bildungstest, dass sich die sozialen Ungleichheiten verstärkten. „Und deswegen sind Schlagworte wie ,Bildungsgerechtigkeit‘ und ,Chancengleichheit‘ keine altertümlichen Phrasen“, sagte Jette Waldinger-Thiering. „Es darf nicht sein, dass uns Schülerinnen und Schüler systematisch abhandenkommen, wo es zu Hause an Ressourcen mangelt“, kritisierte die SSW-Abgeordnete.

Denn ansonsten sei Armut der größte Verhinderer eines erfolgreichen Bildungswegs. „Da, wo die soziale Schere auseinandergeht, muss unbedingt gehandelt werden“, sagte Jette Waldinger-Thiering.

„Vorlesen ab dem Kleinkindalter bleibt eine der wichtigsten Fördermaßnahmen“

Das Bildungsministerium erarbeitet jetzt gemeinsam mit dem Institut für Qualitätsentwicklung an Schulen Schleswig-Holstein (IQSH) einen „Handlungsplan basale Kompetenzen“. Das Ziel ist, „Kinder in der Entwicklung ihrer grundlegenden Kompetenzen zu fördern“. Auch will Prien die Eltern stärker in die Verantwortung nehmen – in der Kita und in der Schule.

„Vorlesen ab dem Kleinkindalter bleibt eine der wichtigsten Fördermaßnahmen.“ Zudem erwartet die Landesregierung noch im Dezember Handlungsvorschläge, die Wissenschaftler im Auftrag der Kultusministerkonferenz entwickeln. Diese Vorschläge und die Anträge der Fraktionen werden dann in den Parlamentsausschüssen weiter beraten.