Kiel/Berlin. Gemeinsam mit Bundeskanzler Olaf Scholz wollen sich Ministerpräsidenten am 6. November auf Begrenzung der Zuwanderung einigen.

Die Zeit drängt. Bei einem Spitzentreffen am 6. November wollen sich die Bundesländer mit Bundeskanzler Olaf Scholz auf neue Regeln einigen, um die Zuwanderung zu begrenzen und Flüchtlinge ohne Bleibeperspektive schneller abzuschieben. Am Montag soll es auch um die strittige Frage gehen, wie viel Geld der Bund den Ländern und Kommunen für die Unterbringung der Asylsuchenden zahlt.

Im Vorweg der Verhandlungen hat Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) mit dem Abendblatt über Änderungen bei der Asylpolitik, Akzeptanz bei der Bevölkerung und seinen etwas anderen Politikstil gesprochen.

Schleswig-Holstein: Daniel Günther macht Druck in Flüchtlingsdebatte

Hamburger Abendblatt: Herr Günther, was haben Bund und Länder 2015 und 2016 in der ersten großen Flüchtlingswelle anders und besser gemacht als heute?

Daniel Günther: Ich würde mich nicht der These anschließen, dass damals alles besser gelaufen ist. Es hat aber eine bessere Zusammenarbeit des Bundes mit den Ländern und Kommunen gegeben. Nach dem Regierungswechsel 2021 hat sich der Bund in erheblicher Weise aus der Finanzierung der Flüchtlingskosten herausgezogen. Wenn der Bund den Zuzug nicht begrenzt und Länder und Kommunen dann auch noch mit den Kosten hängen lässt, kann das nicht funktionieren. So lässt sich eine Krise nicht bewältigen. Wir dürfen auch nicht ausblenden, dass wir im vergangenen Jahr bereits eine Million Menschen aus der Ukraine aufgenommen haben. Zudem kommen aktuell erheblich mehr Menschen über andere Fluchtrouten zu uns. Und so stoßen wir an Kapazitätsgrenzen und sind in Teilen schon darüber hinaus.

Daniel Günther ist seit 2017 Ministerpräsident von Schleswig-Holstein.
Daniel Günther ist seit 2017 Ministerpräsident von Schleswig-Holstein. © picture alliance/dpa | Marcus Brandt

Aber die Akzeptanz, die Empathie und die Hilfsbereitschaft waren damals deutlich höher als heute.

Die sind grundsätzlich nach wie vor hoch. Aber immer mehr Menschen sind mit der Situation überfordert. Sie sorgen sich, dass angesichts des enormen Zuzugs eine vernünftige Integration nicht mehr zu schaffen ist. Dann leiden Hilfsbereitschaft und Akzeptanz natürlich irgendwann. Dass Menschen vor Krieg zu uns fliehen, dafür hat wirklich jeder Verständnis. Aber dass wir es eben nicht hinbekommen, Menschen ohne Bleibeperspektive abzuschieben, dass es an Rückführungsabkommen fehlt, dass wir die Zahlen nicht begrenzen und dass wir keine faire Verteilung der Flüchtlinge in der EU hinbekommen, das frustriert einen Teil der Menschen. Darunter leidet auch die Akzeptanz.

Schnellere Rückführung? Migrationsgipfel am 6. November im Kanzleramt

Das Problem ist lange bekannt, aber bis heute hat die Politik es nicht geschafft, die Anerkennungsverfahren und die Abschiebungen schneller hinzubekommen. Woher rührt denn die Hoffnung, dass es jetzt auf einmal gehen soll?

Auch wenn es definitiv zu lange gedauert hat, wird auf EU-Ebene jetzt ein Asylkompromiss verhandelt, der zum einen verpflichtende Verfahren an der Außengrenze bei geringer Schutzquote innerhalb von drei Monaten und einen Verteilmechanismus vorsieht. Das hatte Deutschland allein nicht in der Hand. Und natürlich müssen auch bei uns die Verfahren beschleunigt werden. Die Länder haben sich bei der letzten MPK darauf verständigt, dass auch hier bei niedriger Schutzquote Asylverfahren innerhalb von drei Monaten beschieden werden sollen. Ziel ist dann auch deren schnelle Rückführung bei einer Ablehnung. Das wollen wir nun beim Migrationsgipfel am 6. November mit dem Bundeskanzler vereinbaren.

Und wohin wollen Sie abschieben? In Deutschland gelten neben den EU-Staaten gerade einmal acht Länder als sichere Herkunftsstaaten, mit Ghana und dem Senegal liegen gerade einmal zwei außerhalb Europas. Demnächst kommen Moldau und Georgien hinzu.

Sichere Herkunftsstaaten sind das eine, es bedarf aber vor allem Länder, die zurücknehmen. Wir brauchen weitere Rücknahmevereinbarungen. Vor allem mit den Ländern, die ohnehin eine niedrige Schutzquote haben. Der Bund ist in der Pflicht, es ist höchste Zeit, das Thema mit Nachdruck zu verfolgen.

Flüchtlingspolitik: Was die Ministerpräsidenten fordern

Welche Staaten sind denn für Sie Länder, mit denen es Rückführungsabkommen braucht?

Wir reden über alle Länder, die regelmäßig eine Anerkennungsquote von unter fünf Prozent haben, wie Algerien, Tunesien oder Marokko. Die Ministerpräsidentenkonferenz fordert geschlossen, dass die Verfahren von Asylbewerbern aus diesen Ländern binnen drei Monaten abgeschlossen werden und es bei Ablehnungen dann auch zu schnellen Rückführungen kommt. Da sehe ich auch keine Konfliktpunkte zwischen den demokratischen Parteien. Denn schnelle Verfahren sind deutlich menschenwürdiger, dann wissen die Betroffenen rasch, ob sie eine Bleibeperspektive haben oder nicht. Zu einer humanitären Flüchtlingspolitik gehört, die Leute nicht langer im Ungewissen zu lassen.

Sie machen sich stark für eine Arbeitspflicht für Migranten mit Bleibeperspektive und sprechen sich gegen eine „Überversorgung“ aus. Ist diese Politik mit Ihrem grünen Koalitionspartner machbar?

Wer in unserem Land lebt, egal ob von Anfang an oder neu dazugekommen, und arbeiten kann, sollte für seinen Lebensunterhalt sorgen. Ich glaube nicht, dass es da einen Konflikt in der Koalition in Schleswig-Holstein gibt. Auch wir als Union haben in der Vergangenheit verhindert, dass Menschen, die zu uns kommen, schnell Arbeit bekommen. Das war ein Fehler. Wir hatten zu lange die Sorge, dass es für diejenigen, die kommen und für diejenigen, die hier sind, nicht genügend Arbeit gibt. Aber heute wissen wir: Wir brauchen in Deutschland jede und jeden, der arbeiten kann. Deswegen müssen wir die Hürden absenken.

Flüchtlingsdebatte: Daniel Günther fordert rasche Umsetzung und Verbesserungen

Was ist mit Ihrer Forderung, die „Überversorgung“ zu überprüfen?

Menschen, die noch in Gemeinschaftsunterkünften untergebracht sind und dort vollverpflegt werden, sollten nicht parallel den vollen Regelsatz an Geldleistung erhalten. Hier muss es zu Anrechnungen kommen. Außerdem sollte eine Harmonisierung der EU-weiten Sozialstandards erfolgen, natürlich unter Beachtung unserer Verfassungsrechtsprechung. Dann wäre es auch weniger attraktiv, nach Deutschland zu kommen.

Sie haben das Treffen mit Olaf Scholz am 6. November angesprochen. Was erwarten Sie vom Bundeskanzler, auch was die Finanzierung der Flüchtlingsunterbringung betrifft?

Ich erwarte vor allem, dass es bei den inhaltlichen Punkten wie der Migrationsbegrenzung eine klare gemeinsame Linie der Bundesregierung gibt und keinen Streit zwischen den Koalitionspartnern. Und ich erwarte, dass die Dinge, die wir vereinbaren, auch rasch umgesetzt werden. Das ist das oberste Ziel. Viele Menschen wollen sehen, dass wir wirklich zu einer besseren Steuerung und Begrenzung kommen.

Und die Kostenregelung?

Der Bund muss sich wieder angemessen an den finanziellen Lasten beteiligen. Bis 2021 hatten wir ein faires System, dass sich an den Zuzugszahlen orientiert hat. Jetzt zahlt der Bund einen Pauschalbetrag, egal wie viele Flüchtlinge kommen. Der Bund hat uns eine Neuregelung zugesagt. Aber alles, was bisher im Gespräch ist, ist im Verhältnis zu den Kosten, die wir zu tragen haben, vollkommen unangemessen. Ich erwarte vom Bundeskanzler den vernünftigen Vorschlag, den er schon mehrfach den Ländern signalisiert hat.

So will Daniel Günther Wähler von der AfD zurückgewinnen

Sie haben kürzlich mehr Anstrengungen von Bund und Ländern gefordert, um die Probleme durch unkontrollierte Zuwanderung gemeinsam zu lösen. Ist das Ihre Antwort auf das Erstarken der AfD?

Viele Menschen zweifeln, dass die Politik Themen mit einer solchen Relevanz noch gelöst bekommt. Aber wenn wir die Probleme vernünftig abarbeiten, demonstrieren wir Handlungsfähigkeit. Das wird das Vertrauen in die demokratischen Parteien wieder stärken. Wir müssen das Thema Migration gemeinsam lösen. Das ist unsere Verantwortung, um radikale Parteien, die zwar laut sind, aber keine Lösung vorlegen, kleinzuhalten.

In Hessen wurde die AfD klar zweitstärkste Kraft. Ihr Erfolg ist also längst kein rein ostdeutsches Phänomen mehr. Wie wollen Sie die Wähler zurückgewinnen für die demokratischen Parteien?

Das geht nur, indem wir die Herausforderungen lösen, die den Menschen auf den Nägeln brennen. Öffentliche Scheingefechte führen zu Politikverdrossenheit. Die Migrationspolitik ist nur eines von vielen drängenden Themen. Ein anderes ist die Planungs- und Genehmigungsbeschleunigung. Wir müssen schneller werden, Probleme lösen und aus den Krisen das Beste für unser Land machen. Dann entziehen wir der AfD auch den Nährboden – wie in Schleswig-Holstein mit einem Parlament ohne Rechtsextreme.

Sie haben beim Landesparteitag der CDU gesagt, die Regierungspartner müssten sich Erfolge gönnen, statt sich die Arbeit immer nur gegenseitig schlecht zu machen. Ist Politik so einfach, wie Sie es in Neumünster formuliert haben?

Nein, Politik ist nicht einfach. Aber es gibt schon Erfolgsgeheimnisse. Eines ist, dass eine Koalition funktioniert und Vertrauen stiftet, wenn die Leute das Gefühl haben, dass an einem Strang gezogen wird. Gerade in Krisenzeiten. Die Menschen sind bereit, Zumutungen mitzutragen. Aber sie wollen wissen, wofür sie das machen, und sie wollen das Gefühl haben, dass es ihnen, wenn sie das jetzt tun, in den nächsten 10, 20 Jahren auch besser gehen wird. Aber dieses Gefühl wird nicht erzeugt, wenn sich eine Koalition wie die Ampelregierung permanent streitet.

Was bedeutet das für die Union auf Bundesebene?

Wir müssen uns der Verantwortung stellen und zu den großen Themen Antworten geben. Friedrich Merz hat die Gesprächseinladung des Kanzlers zur Migration angenommen. Wir haben als Länder konkrete Vorschläge gemacht, mit einer deutlich erkennbaren christdemokratischen Handschrift. Die jüngsten Wahlergebnisse zeigen, dass wir als CDU in der Mitte genau richtig verortet sind.

Flüchtlinge in Deutschland: Wer sein Aufenthaltsrecht verwirkt

Kommen wir noch mal zurück zur Migrationspolitik. Seit der Welle 2015/2016 ist Deutschland faktisch ein Einwanderungsland. Aber wenn wir auf die Integration, auf die Vermittlung von Werten, auf die Chancen für den Arbeitsmarkt schauen: Haben wir uns je darauf eingestellt?

Wir hatten als politisch verantwortliche Parteien sehr lange einen unterschiedlichen Blick auf das Thema. Es ist uns nie gelungen, eine gemeinsame positive Geschichte zu erzählen und den Leuten klarzumachen, dass wir auf Einwanderung einfach angewiesen sind. Bei unserer demografischen Entwicklung werden wir den Wohlstand nicht erhalten können ohne Menschen, die zu uns kommen und mit anpacken. Wir brauchen nicht nur hochspezialisierte Fachkräfte, wir brauchen auch Menschen, die ganz einfache Tätigkeiten übernehmen. Aber wir müssen stark darauf achten, dass wir denjenigen, die kommen, unser Wertegerüst mitgeben. Menschen, die die Gleichberechtigung von Frauen nicht akzeptieren, die unsere Werte nicht anerkennen oder zwischen Religionen unterscheiden, passen nicht zu unserem freiheitlichen Verständnis und sie passen nicht zu unserem Land.

Öffentlich bejubeln arabischstämmige Menschen bei uns den Terror in Israel. Es kommt zu Übergriffen, israelische Flaggen brennen. Menschen, die hier leben, treten offen antisemitisch auf. Verwirkt, wer das tut, sein Aufenthaltsrecht?

Solche Einstellungen haben in unserem Land nichts zu suchen. Das akzeptiere ich auch von keinem, der seine Wurzeln in Deutschland hat. Deswegen müssen wir über Bildung, über Ansprache und zur Not eben auch mit harter Bestrafung gegen diese Menschen vorgehen. Wer zu uns kommt, Juden hasst und keine Bleibeperspektive in unserem Land hat, den sollten wir auch in sein Heimatland zurückschicken.

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Gerade in Großstädten wie Berlin und Hamburg haben sich Parallelgesellschaften entwickelt. Haben wir zu lange weggeschaut und die Probleme nicht wahrhaben wollen?

Wir haben noch nicht die notwendigen Instrumente gefunden, um so dagegen anzugehen, wie es notwendig wäre. Jetzt, nach dem Überfall auf Israel, sieht man gerade in größeren Städten, welches erhebliche Problem das in Deutschland ist. Wegschauen dürfen wir mit unserer Geschichte nie beim Thema Antisemitismus. Wir gucken mit Abscheu auf die Bilder aus Israel, wo durch die Hamas Zivilisten, Alte, Frauen und Kinder abgeschlachtet wurden. Und wir dürfen in Deutschland gleichzeitig nie ausblenden, dass unsere Vorfahren in unserem Land in riesiger Potenz dasselbe mit jüdischen Mitmenschen gemacht haben. Auch aus dieser Verantwortung heraus darf in Deutschland niemand ein Antisemit sein. Das gehört zu unserer Staatsräson dazu. Und das gilt für alle, die in unserem Land leben, egal wo sie herkommen.