Hamburg. „It‘s the migration, stupid“: Die illegale Zuwanderung entscheidet mit über die Zukunft der Demokratie in Deutschland.

Vielleicht sollte Kanzler Olaf Scholz in Kürze in die Toskana reisen: Dort lebt der letzte Sozialdemokrat, der Zuwanderungspolitik nicht nur mit dem Herzen, sondern auch dem Hirn gemacht hat. Otto Schily. Der mittlerweile 91-Jährige rote Sheriff deckte die rechte Flanke ab. Er stand auf der einen Seite für eine moderne Einwanderungspolitik, auf der anderen Seite aber für einen konsequenten Grenzschutz: Vor knapp 20 Jahren mahnte er eine Lösung an, Flüchtlinge aus Seenot zu retten, ohne dabei anderen Anreize für die Überfahrt zu geben: Er schlug Aufnahmelager in Afrika vor, um nur anerkannte Asylbewerber ins Land zu lassen. Wer bis vor wenigen Tagen in der SPD Ähnliches gefordert hätte, wäre in die rechte Ecke gestellt worden.

Nur: Zu Schilys Zeiten lag die SPD bei rund 40 Prozent der Wählerstimmen. Seit Sonntag ist die stolze Sozialdemokratie in Bayern die Nummer 5. Und in der alten Hochburg Hessen sind 15,1 Prozent geblieben. Deutlich davor liegt mit der AfD eine in Teilen rechtsextreme Partei.

Wahlergebnisse sind kein Erdrutsch, sondern eine gewaltige Mure

Die Wahlergebnisse sind kein kleiner Erdrutsch, sondern eine gewaltige Mure. Links der Mitte rutscht vieles ins Tal. In Bayern liegt das rechte Spektrum bei mehr als 70 Prozent, während die linken Parteien weniger als ein Viertel der Stimmen erhalten, in Hessen ist das Verhältnis mit 61,5 zu 33 Prozent ähnlich deutlich.

Nach Zahlen der Forschungsgruppe Wahlen waren für 41 beziehungsweise 36 Prozent Flucht und Asyl das Spitzenthema. Abgestraft wurde eine Innenministerin, die das Thema Zuwanderungsbegrenzung nicht rechtzeitig erkannt hat, und eine bayerische SPD, die als Politsekte bald um den Einzug ins Parlament bangen muss. In Hessen wählten 29 Prozent der Arbeiter die AfD, aber nur 15 Prozent die SPD, in Bayern ging das Duell 23 zu 6 aus. Wann lernt die SPD daraus?

Zuwanderung: Hamburger SPD hat verstanden und drängt auf Kurswechsel

Es ist kein Wunder, dass die Hamburger SPD nun auf einen radikalen Kurswechsel in der Migration drängt. Die „CSU des Nordens“ vertrat stets eine rationalere Politik in Zuwanderungsfragen als viele Parteifreunde. Helmut Schmidt, Henning Voscherau oder der langjährige Innensenator Michael Neumann standen für eine Politik von Maß und Mitte.

Dieser Kurswechsel wird nicht einfach werden: Irreguläre Migration ist nicht auf Knopfdruck zu beenden, wie Olaf Scholz zu Recht sagt. Es sind viele Stellschrauben nötig; aber man muss den Menschen auch zeigen, dass man diese jetzt anzieht. Es muss Grenzkontrollen zu Polen geben, erst recht nach dem Visa-Skandal, und auch an der Schweizer Grenze. Dass Tausende aus dem reichsten Flächenland Europas nach Deutschland „fliehen“, führt Teile der Debatte ad absurdum.

Illegale Zuwanderung: Es wird Zeit für lagerübergreifenden Migrationskompromiss

Transferzahlungen müssen gekürzt und auf Sachleistungen umgestellt werden. Mit der Opposition muss ein großer Migrationskompromiss her. Und zur europäischen Einigung gehört auch, nicht weiter mit deutschem Steuergeld Seenotretter zu finanzieren, die die Menschen dann nach Italien bringen. All das wird den Zustrom nicht sofort drosseln, es wird massive Widerstände von Gerichten, Kommentatoren und sozialen Bewegungen geben. Diese Debatte wird helfen, das Kind nicht mit dem Bade auszuschütten und an Leib und Leben Verfolgten weiterzuhelfen.

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Zur Wahrheit gehört das Eingeständnis: Wir schaffen es nicht mehr. Die Migration hat enorme Sprengkraft. Sie entscheidet nicht nur über die Zukunft der SPD, die das Land groß gemacht hat, oder der AfD, die es zerstören könnte – sie entscheidet mit über die Zukunft der Demokratie in Deutschland. Das Land benötigt nun nicht nur einen Otto Schily, sondern viele.