Neumünster. CDU in Schleswig-Holstein zeigt demonstrativ Geschlossenheit. Minutenlanger Applaus nach Rede. Besseres Ergebnis als 2021.
Parteitage gelten nicht gerade als Orte leiser Töne und nachdenklicher Betrachtungen. Hier wird in Richtung des politischen Gegners gepoltert und ausgeteilt, es fallen Sprüche für die Seele der Partei. Das alles gab es auch beim Parteitag der schleswig-holsteinischen CDU am Donnerstagabend in Neumünster. Was hier aber in ihrer Deutlichkeit und Klarheit überraschte, war Daniel Günthers Abrechnung mit dem eigenen Parteichef Friedrich Merz.
Ohne den Namen zu nennen, kritisierte der schleswig-holsteinische CDU-Vorsitzende seinen Parteifreund für dessen Politikstil, Auftreten und Umgang mit der AfD. „Mit der AfD machen wir keine gemeinsame Sache“, sagte Günther in Richtung Merz. Und: „Wir müssen klar sagen, dass wir mit der AfD keine gemeinsamen Mehrheiten erreichen“, forderte Günther. Genau diese klaren Aussagen vermisst er bei seinem Parteichef.
Parteitag in Schleswig-Holstein: Merz hält die Grünen für den Hauptgegner der CDU
Der Bruch zwischen beiden ist offensichtlich. Zu unterschiedlich die Charaktere, zu weit auseinander liegt der Politikstil, den die beiden Christdemokraten pflegen. Hier im Norden der in gesellschaftspolitischen Fragen liberale Konsenspolitiker Günther, in Berlin der populistische Haudrauf Merz. Bei einem Besuch im Norden, ausgerechnet als Günther mit seinem schwarz-grünen Kabinett das Einjährige feierte, polterte Merz im Sommer gegen die Grünen als „Hauptgegner der CDU“. Der Norddeutsche wird den unfreundlichen Akt des Sauerländers nicht vergessen. Als Merz wenig später gegen NRW-Ministerpräsident und CDU-Widersacher Hendrik Wüst austeilte, sprang Günther Wüst demonstrativ zur Seite.
Der Konflikt Günther/Merz spitzte sich zuletzt über die Frage zu, wie umgehen mit der AfD? Die oppositionelle Thüringer CDU hatte im Landtag einen Antrag zur Steuersenkung durchgebracht, von dem sie schon vorher wusste, dass es eine Mehrheit nur mit der AfD um Björn Höcke gibt. Das hatte Günther als „schwerwiegende Fehlentscheidung“ kritisiert. Es müsse klar sein, dass die CDU in keinem Parlament in Deutschland eine Mehrheit abbilden dürfe, wenn diese sich auf die Stimmen der AfD stütze. Das sei immer Grundkonsens in der CDU gewesen, so Günther im September im ZDF.
Günthers Replik beim Landesparteitag: Keine Zusammenarbeit mit der AfD
Merz‘ Reaktion zeigte, wie zerrüttet das Verhältnis der beiden prominenten CDU-Politiker ist: Er kanzelte Günthers Äußerungen als „Einzelmeinung in der CDU“ ab. Es gebe niemanden sonst, „der das teilt“, keilte Merz im Privatfernsehen zurück.
Jetzt beim CDU-Parteitag, an dem statt Merz dessen Generalsekretär Karsten Linnemann teilnahm, folgte die Antwort Günthers. Er sei auch deshalb in die CDU eingetreten, weil für die Partei immer klar gewesen sei: Es gebe kein Zusammenwirken mit Rechtsextremen und Rechtsradikalen. Das sei für die CDU eine unverrückbare Position gewesen. „Da muss die CDU klar sein!“, forderte Günther am Donnerstag. Das bedeute für ihn, dass man „keine Mehrheiten bildet, wenn man auf die Stimmen der AfD angewiesen ist“, erneuerte Günther seine Kritik.
„AfD ist eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung“
Die CDU stehe für Nächstenliebe, für Solidarität und Respekt auch gegenüber dem Andersdenkenden. „Die AfD aber ist gegen die EU, gegen den Euro, gegen die Nato, gegen Europa. Sie will alles zerstören, was großartige Menschen aufgebaut haben.“ Die AfD hetze gegen Menschen und sei eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung. „Deswegen heißt das für mich: Wir müssen dieser Partei entschlossen entgegentreten“, forderte Günther. Was er nicht sagte: Genau diese Entschlossenheit fehlt ihm in Teilen seiner Partei.
Dass er nicht zufrieden ist mit dem Oppositionskurs von Merz, machte Günther auch mit diesem Satz deutlich: Es sei bitter, dass es der Union nicht gelinge, die Menschen, die unzufrieden seien mit der Bundesregierung, zur CDU herüberzuholen.
CDU auf Bundesebene in Umfragen beständig unter 30 Prozent
Und so dümpelt die Union bundesweit trotz großem Ärger der Menschen über die „Ampel“ in Meinungsumfragen konstant unter 30 Prozent. Die Menschen erwarteten von einer staatstragenden Partei wie der CDU Mitverantwortung. „Wir müssen ihnen erklären, was wir besser machen würden, wenn die CDU in der Verantwortung wäre.“ Die Ampel nur schlecht zu machen, sei falsch, kritisierte Günther. Das stärke radikalen Parteien.
Günther appellierte an die anderen demokratischen Parteien, im „Kampf“ gegen die AfD mitzuziehen. „Das ist nicht nur Aufgabe von uns als CDU.“ Alle demokratischen Mitbewerber seien aufgerufen, gemeinsam die AfD zu bekämpfen.
Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident, dessen Name immer wieder neben denen von Merz, Wüst und Markus Söder fällt, wenn es um einen möglichen CDU-Spitzenkandidaten für die kommende Bundestagswahl geht, forderte einen neuen Politikstil ein. Konstruktive Zusammenarbeit statt Streits auf offener Bühne. Einen Stil, wie er ihn seit der Amtsübernahme in Schleswig-Holstein 2017 pflegt. Erst in einer Jamaikakoalition mit Grünen und FDP, jetzt allein mit den Grünen. Gestritten und gerungen wird möglichst nach innen, nach außen wird geschlossen und respektvoll (auch gegenüber dem politischen Gegner) aufgetreten.
Günther wirbt für seinen Regierungsstil: Schafft Vertrauen
Ganz offensichtlich honorieren die Menschen einen solchen Stil. Bei der Landtagswahl vor gut einem Jahr hat Günthers CDU nur äußerst knapp die absolute Mehrheit der Mandate verfehlt. Zur Erinnerung: Zur selben Zeit dümpelte die CDU auf Bundesebene bei 26 Prozent. Viel besser steht sie auch heute unter dem Oppositionsführer Friedrich Merz nicht dar, während zwei Drittel der Schleswig-Holsteiner laut einer NDR-Umfrage vom Frühjahr zufrieden sind mit Günther und der Arbeit, die er als Regierungschef abliefert.
Günther hat seine Philosophie, ein Land zu regieren, in der Parteitagsrede von Donnerstag in nur einem Satz so zusammengefasst: „Wie soll eine Regierung Vertrauen bei den Menschen bekommen, wenn sie selbst ihre Arbeit schlecht macht, wenn sie sich selbst Erfolge nicht gönnt.“ Gerade in Krisenzeiten müssten sich die zutiefst verunsicherten Menschen an Regierungen aufrichten können. Politik müsse Mut machen und Zuversicht verbreiten. Entgegengesetzt agiere die Bundesregierung. „Dieser Vertrauensverlust ist wirklich bitter“, so der CDU-Politiker.
Günther: Menschen sehnten sich nach Normalität
Für ihn ist Vertrauen gerade in Zeiten von Krisen der wichtigste Wert, gerade weil Regierungen auf Bundes- oder Landesebene aktuell die Normalität nicht bieten könnten, nach denen sich die Menschen sehnten. „Und deshalb bitte ich Sie herzlich darum, dass wir in Schleswig-Holstein unseren anderen Weg auch fortsetzen“, warb Günther vor den 230 Delegierten in Neumünster für seinen Kurs.
Natürlich sei es mit den Grünen als Regierungspartner manchmal anstrengend. Aber: Aus unterschiedlichen Parteien zu kommen, heiße nicht, dass man nicht menschlich gut zusammenarbeiten und im Diskurs vernünftige Lösungen finden könne. „Dass mit uns deutlich mehr Menschen zufrieden sind, liegt daran, dass wir kompromissfähig und in der Lage sind, gute Politik gemeinsam zu machen. Wir wollen diese Arbeit in Schleswig-Holstein erfolgreich fortsetzen.“ Davon profitiere am Ende gerade die CDU.
CDU-Parteitag in Schleswig-Holstein: Eine Koalition mit der FDP wäre auch möglich gewesen
Lange nicht jeder in der Nord-CDU hält Günthers Koalition mit den Grünen für die richtige Wahl. Zumal es auch für eine Regierungsmehrheit mit der FDP gereicht hätte. Bei der Frage nach einem möglichen Nationalpark Ostsee (der Parteitag sagte nahezu einstimmig Nein zu der Idee) oder beim Umgang mit Flüchtlingen (Günther am Donnerstag: „Wir müssen die Zahlen begrenzen“) liegen CDU und Grüne zum Teil weit auseinander. Günther war hinter den Parteikulissen in Kritik geraten. Im konservativen Flügel grummelte es, er setze sich nicht hinreichend gegen die Grünen durch.
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Und so galt der Parteitag auch als Test für die Stimmung in der CDU. Und die scheint gut zu sein: Günther konnte bei der Wiederwahl zum Landesvorsitzenden sein Ergebnis von vor zwei Jahren sogar noch verbessern. 85,3 Prozent der CDU-Delegierten wählten den Merz-Widersacher und feierten ihn minutenlang mit stehendem Applaus.
Der von Günther vorgeschlagene Generalsekretär Lukas Kilian - das Amt war mehr als 20 Jahre verwaist - brachte es nach einer kämpferischen Rede, bei der auch er Merz kritisierte („schrille Vergleiche nützen uns nichts“) sogar auf mehr als 90 Prozent Zustimmung.
Von den vier stellvertretenden Parteichefs fuhr übrigens Bildungsministerin Karin Prien das schlechteste Ergebnis ein. Sie kam auf gut 65 Prozent Zustimmung.